Montag, 7. März 2011

Ein lesenswerter Beitrag (Quelle PERSOENLICH.COM):


Herr Luginbühl, welches sind typische Wortschöpfungen im aktuellen Diskurs, die auf die SVP als Urheberin zurückzuführen sind?


- "Scheinelite" zum Beispiel, "Balkanisierung der IV" oder "Asyl-Missbrauch". Ob die SVP die Urheberin dieser Begriffe ist, habe ich nicht untersucht. Wichtig ist aber vor allem, dass die SVP diese Begriffe intensiv verwendet und ihnen eine bestimmte Bedeutung zuschreibt.




Sie nennen den Begriff "Scheinelite". Damit geht die SVP von der Vorstellung einer "falschen Elite" aus. Wer ist gemeint?


- Es handelt sich hier um eine in vielen Texten der SVP konstruierte Gruppe, welche laut SVP im Moment gesellschaftliche Macht hat, diese aber aus Sicht der SVP missbraucht oder nicht mit ihr umzugehen weiss. "Scheinelite" meint die "aufgeblasenen Bluffer", "Privilegienreiter", "unfähige Manager", ganz allgemein die "Oberen".


Und wer gehört auf der anderen Seite zur "wahren Elite"?


- Als "oberste, wichtigste und entscheidendste Elite" werden die Bürgerinnen und Bürger konstruiert, wobei zu dieser 'Wir-Gruppe' dann neben Gewerbetreibenden, Landwirten und Arbeitnehmern auch die nationalkonservativen Volksvertreter selbst gehören. So positioniert sich die SVP ausserhalb der von ihr so genannten "classe politique". Sie präsentiert sich als einzige Partei, welche die falsche Elite bekämpft, volksnah ist und die "wahre Elite" kennt.


Plakate sind für Schweizer Politik mit zahlreichen Volksabstimmungen typisch und entfachen jeweils heftige Diskussionen. Welche Mittel nutzt die SVP dabei?


- Zentral sind Tabubrüche. Mit teilweise stigmatisierenden Darstellungen ganzer Bevölkerungsgruppen, deutlichen Abwertungen politischer Gegner oder gezielten provokativen Zweideutigkeiten werden bewusst Tabus gebrochen.


"Keiner will Rainer" Anzeige in der "Aargauer Zeitung" von 2009. Quelle: www.wahlkampfblog.ch


"Keiner will Rainer" ist ein SVP-Beispiel für einen Tabubruch. Gibt es ähnliche Beispiele anderer Parteien?


- Ja, die eben genannten Mittel werden nicht ausschliesslich von der SVP verwendet, sondern auch von anderen Akteuren, allerdings weniger häufig. Ich erinnere an die Kampagne des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, in der einzelne Mitglieder des Bundesrates als Blinde, Einbeinige oder Rollstuhlfahrer abgebildet wurden, während ihnen gleichzeitig im Begleittext Mangel an Empathie und rein strategisches Verhalten zugeschrieben wurde. Ebenfalls als tabuverletzend kann man bestimmte Plakate der SP bewerten, etwa wenn auf einem Plakat in einer Fotomontage (vgl. Abbildung unten) gezeigt wird, wie ein Flugzeug in einen AKW-Kühlturm fliegt und explodiert und so nahegelegt wird, Atomenergie könnte Terroranschläge wie diejenigen auf das World Trade Center in New York begünstigen.




SP-Plakat zur Atomenergie von 2007. Quelle: www.ignoranz.ch


Offenbar haben es die Mitteparteien schwierig, denn nur die Polparteien können Inhalte stark zuspitzen und Emotionalisieren. Sehen Sie konkrete Möglichkeiten, wie sich CVP, FDP, die Grünen, BDP oder GLP mehr Gehör verschaffen können?


- Stark zuspitzen und emotionalisieren können natürlich alle Parteien. Die Frage ist, ob sie es wollen und wirklich tun. Auffallend ist aber, dass sowohl im rechten wie im linken Lager mit illegitimen Praktiken geworben wird: Einzelne Personen oder ganze Personengruppen werden stigmatisierend dargestellt, Zweideutigkeiten werden bewusst in Kauf genommen, viele Plakate und Anzeigen sind darauf angelegt, Angst vor vermeintlichen Bedrohungen auszulösen. Es gehört wohl zur Natur der Sache, dass auf Plakaten und in Inseraten zugespitzt wird oder sogar zugespitzt werden muss, weil der Platz beschränkt ist und die Rezeptionsdauer ebenfalls. Problematisch sind Zuspitzungen meiner Meinung nach dann, wenn sie eben auf illegitime Praktiken zurückgreifen.


So würde ich den Mitteparteien und eigentlich allen Parteien empfehlen, zuzuspitzen und die eigene Position klar zu kommunizieren. Aber eben auf eine Weise, die nicht unsachgemäss verletzend, beleidigend oder verängstigend ist.


Laut Ihrem Aufsatz gab es in den 1930er und 1940er Jahren eine Phase mit ähnlich scharfem, teilweise diskriminierendem Tonfall in Medien und Politik. Können Sie Beispiele geben?


- 1921 gab es ein Plakat in dem die Sympathisanten von Bolschewiken als rote Ratten dargestellt werden. Genau so werden "die Linken" in einem Plakat der SVP aus dem Jahr 2004 dargestellt.


Gibt es Parallelen in den politischen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Gegebenheiten zwischen den 30er/40er-Jahren und heute, resp. welches sind die Ursachen für die jeweils laute, kräftige und vereinfachende Sprache im öffentlichen Diskurs?


- Dies ist natürlich eine Frage, die man mit linguistischen Analysen allein so nicht beantworten kann. Ich gehe aber davon aus, dass sich der Ton im politischen Diskurs immer dann verschärft, wenn sich gesellschaftliche Verteilkämpfe zuspitzen.


In "Reflexe" auf DRS 2 bemängeln Sie den Unterhaltungsfaktor der SF-Arena. Können Sie Ihre Kritik noch etwas genauer ausführen?


- Ich habe nichts dagegen, politische Inhalte unterhaltsam präsentiert zu bekommen. Die Frage ist aber auch hier, zu welchem Preis die Unterhaltung realisiert wird. Die Sendung "Arena" ist vom redaktionellen Konzept über den Studioaufbau bis hin zur Gesprächsführung der moderierenden Personen darauf angelegt, dass vor laufender Kamera gestritten wird. Dadurch fallen nicht nur Gemeinsamkeiten von vornherein unter den Tisch, sondern der Hauptakzent verschiebt sich tendenziell von der Inhalts- auf die Beziehungsebene. Letztlich wird somit spannend, wer wen "schlägt" - und es geht nicht im Kern nicht mehr darum, um welches Problem es geht oder darum, die verschiedenen Positionen differenziert darzulegen. Davon können Politiker profitieren, indem sie sich als gute Kämpfer im verbalen Kampf zeigen, ohne sich wirklich auf anspruchsvolle Argumentationen einlassen zu müssen. Und das Fernsehen profitiert durch eine dynamische Gesprächssendung mit hohen Einschaltquoten.


Somit sollte die "Arena" Ihrer Meinung nach nicht auf Unterhaltung setzen, sondern auf konstruktive, inhaltsorientierte Diskussion?


- Die Unterhaltung sollte nicht auf Kosten konstruktiver Diskussionen realisiert werden. So, wie das Konzept jetzt ist, wird konstruktive Diskussion im Interesse der Unterhaltung eher verhindert als ermöglicht.


Sie sagen, dass aufgrund des mediatisierten politischen Diskurs‘ Inhalte zugespitzt werden. Welche Probleme resultieren daraus?


- Es liegt, wie gesagt, wohl in der Natur der Sache, dass in bestimmten Zusammenhängen zugespitzt werden muss, zum Beispiel auf Plakaten. Problematisch wird es meiner Meinung nach dann, wenn dabei Inhalte verfälscht werden - also wenn etwa einzelne Bundesräte auf unsachliche Weise beleidigt oder ganze Bevölkerungsgruppen negativ bewertet werden. Hier spielen  die Massenmedien insofern auch eine Rolle, als sie – wie etwa mit der "Arena" - eben auch Formate produzieren, die derartigen Entwicklungen tendenziell Vorschub leisten.


Der Schwarze Peter liegt nicht nur bei der "Arena" alleine. Es wird ja generell kritisiert, dass der SVP im medialen Diskurs zu viel Gewicht zukommt. Was können Medienschaffende gegen diese Asymmetrie tun?


- Die SVP ist so prominent in der Medienberichterstattung, weil sie sich in ihrer Aussenkommunikation gut an die Medienlogik angepasst hat. Oder anders gesagt: Sie liefert regelmässig das, worüber Medien gerne berichten. Das hat natürlich genau mit diesem Rückgriff auf illegitime Praktiken zu tun. Medienschaffende sollten sich dieser Instrumentalisierung bewusst sein - und jeweils gut abwägen, inwiefern eine Berichterstattung substanziell auch gerechtfertigt ist. Aber dies gilt natürlich nicht nur für die SVP, sondern auch für andere Parteien, die sich entsprechender Praktiken bedienen.


Was halten Sie vom Vorschlag die Themen der SVP wenn immer möglich zu ignorieren und ihnen andere, relevantere entgegenzustellen ("persoenlich.com" berichtete)?


- Ich bin aufgrund meiner demokratischen Überzeugung dagegen, einzelne Parteien "wenn immer möglich" zu ignorieren und in den Medien auszuklammern.


 Ich bin aber sehr dafür, im Einzelfall die Relevanz gut abzuwägen und nicht über jedes für die Medien inszenierte Pseudo-Ereignis zu berichten. Zudem sollten Inszenierungsaspekte in der Medienberichterstattung vermehrt Berücksichtigung finden.


Welche Konsequenzen haben dauerhaft nörgelnde oder besonders harte Töne Ihrer Meinung nach auf die Schweizer Gesellschaft und Politik?


- Ich glaube, dass dies einerseits zu einer Verhärtung politischer Fronten führt und somit die Erarbeitung konsensfähiger Lösungen für anstehende Probleme erschweren kann. Und ich glaube auch, dass dies dazu führen kann, dass sich Stimmbürger von der Politik abwenden, weil der politische Diskurs tendenziell auf den Aspekt des Streitens, Angreifens und Beleidigens reduziert wird.

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