Kommunikationsgau in Stuttgart
Verfahrene Situation zwischen Regierung und Bürgerbewegung. Die Regierung will den neuen unterirdischen Bahnhof durchpauken und den alten Bahnhof abreissen, weil in langen demokratischen Verfahren der neue Durchchgangsbahnhof bewilligt worden war. Die Opposition ist der Meinung, dass der Neubau viel zu teuer geworden sei und sich die Situation in der Zwischenzeit verändert habe. Regierung und Bahn haben erkannt, dass der Kommunikationsgau nur mit Ueberzeugungsarbeit überwunden werden könnte.
Ich zitiere ZEIT:
Stuttgart 21
Bahn und Politik setzen auf Überzeugungsarbeit
Nach der bislang größten Demonstration gegen Stuttgart 21 wollen Bahn und Politik nun mit ihren Kritikern reden. Bahnchef Grube plädiert für einen runden Tisch.
© Roland Holschneider/dpa
Das Motto der Großdemonstration gegen das Projekt Stuttgart 21 lautete "Sie brechen ab - wir brechen auf"
Bahnchef Rüdiger Grube hat angesichts der Massenproteste einen runden Tisch mit den Gegnern des Bahnprojektes Stuttgart 21 vorgeschlagen. Bereits im September wolle er sich erstmals mit Kritikern des Milliarden-Vorhabens zum Meinungsaustausch treffen, erklärte Grube am Freitagabend in Stuttgart. "Wir müssen uns jetzt wie erwachsene Leute verhalten." Allerdings werde er für die Zusammenkünfte etwa mit dem Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann und dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) keine Bedingungen akzeptieren. Palmer hatte zuvor einen "Friedensgipfel" angeregt, aber dafür einen Baustopp bei gleichzeitigem Aussetzen der Proteste verlangt.
Grube geht davon aus, dass die Proteste noch lange anhalten: "Ich glaube, dass wir längere Zeit benötigen, diese Erregung abzumildern. Das geht nicht von heute auf morgen." Die Heftigkeit des Widerstands habe ihn überrascht.
Bei den Gesprächen gehe es darum, eine bessere Verständigungsbasis zu finden, Fakten zu vermitteln und Vertrauen zu gewinnen. Grube räumte ein:
"Stuttgart 21 ist nicht richtig begleitet worden mit Kommunikation."
Zum wachsenden Graben zwischen Gegnern und Befürwortern betonte Grube: "Wir haben eine Vorbildfunktion und müssen ein vernünftiges Signal an die Bevölkerung senden."
Der Fraktionschef der Landtags-Grünen, Winfried Kretschmann, sagte: "Die Gesprächsbereitschaft von Grube kommt spät, aber nicht zu spät." Allerdings müssten auch Vertreter des Aktionsbündnisses gegen das Bahnhofsprojekt mit am Tisch sitzen.
Projektsprecher der Bahn Wolfgang Drexler sagte, auch für eine Bürgerbeteiligung sei es zu spät:
"Seit 17 Jahren reden wir über Stuttgart 21, vor 2001 gab es die Grundsatzbeschlüsse. Eine Bürgerbeteiligung hätte bis dahin jeder beantragen können, auch die Grünen. Haben sie aber nicht. Jetzt geht das rechtlich nicht mehr."
"Dialog ist besser als eine Konfrontation" hieß es in dem am Freitag veröffentlichten Brief. "Nun ist es an der Zeit, ideologische Sackbahnhöfe zu verlassen und zu einer Kultur der Vernunft und des Dialogs zurückzukehren". Eine Eskalation müsse vermieden werden.
Auch die FDP-Landesvorsitzende Birgit Homburger forderte eine verstärkte Offensive der schwarz-gelben Landesregierung unter Mappus, um der Bewegung gegen Stuttgart 21 Paroli zu bieten. In einem Interview sagte Homburger, dazu gehöre "Argumentieren. Sich auseinandersetzen mit den Argumenten und zu dem stehen, was man beschlossen hat."
Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) warb in einem offenen Brief an seine Mitbürger für das Projekt. Es trage zur Zukunftsfähigkeit der Stadt, der Region und des Landes bei, betonte er. "Stuttgart 21 dient unseren Kindern und Enkelkindern." Den Demonstranten schrieb er ins Stammbuch, er habe kein Verständnis für Scharfmacher, die zur Radikalisierung beitrügen.
50.000 Gegner waren nach Angaben der Veranstalter zu ihrer bisher größten Demonstration gegen das Milliarden-Projekt auf die Straße gegangen. Die Polizei sprach von 30.000 Menschen. Bei einer Kundgebung und einer anschließenden Menschenkette um den Landtag erneuerten diese ihre Forderung nach einem Baustopp und einem Moratorium.
Bei dem 4,1 Milliarden Euro teuren Vorhaben soll der Kopfbahnhof in eine unterirdische Durchgangsstation umgewandelt und an die künftige Schnellbahntrasse nach Ulm angeschlossen werden. Kritiker halten es für zu teuer und bezweifeln auch den verkehrspolitischen Nutzen. Am vergangenen Mittwoch hatten Bagger mit dem Abriss des Nordflügels des Bahnhofs begonnen. Seither hat der Protest an Schärfe zugenommen.
Nach Ansicht des Architekten Tobias Wallisser muss über den Umbau des Hauptbahnhofs und die Neugestaltung der gewonnenen Freiflächen neu nachgedacht werden. "Wer für wirklichen Fortschritt ist, für die wirklich nachhaltige Entwicklung der Stadt, der muss als erstes innehalten", sagte er. Der Architektenwettbewerb habe vor 13 Jahren stattgefunden. "Inzwischen sind wir aber 13 Jahre weiter", betonte der Professor der Kunstakademie Stuttgart.
Kommentar: Von aussen betrachtet hat man kein Verständnis für die Proteste, nachdem die Verfahren und Begutachten angeblich rechtmässig korrekt abgelaufen sind. Den Demonstranten wird vorgeworfen, sie hätten früher Einspruch erheben sollen. Wenn man jedoch die Verfahren in Deutschland genauer betrachtet, versteht man die Bürger, die bei Bewilligungen wenig bis nichts zu sagen haben. Auf einem Plakat möchte man Verhältnnisse wie in der Schweiz (mit angemessener Mitssprache wie Initiative, Referendum).
Wer sich mit den Sachverhalten in Stuttgart genauer befasst, stellt nachträglich fest:
Seit der Bewilligung hat sich Einiges verändert. So sind die Kosten ein Mehrfaches von dem gestiegen, was unsprünglich vorgesehen war. Experten und Geologen warnen. Sie haben festgestellt, dass der unterirdische Bahnhof in einem äusserst ungünstigen Boden gebaut würde (Es habe Löcher und Häuser könnten einstürzen usw.)
Doch die Planer, die Regierung und die DB wollen das Projekt gegen alle Widerstände durchboxen.
Wenn sich zwei Positionen dermassen verhärtet haben wie es in Stuttgart der Fall ist, sehe ich als Kommunikationsberater schwarz. Es ist bereits zu viel Geschirr zerschlagen worden.