China reagiert nun doch und will mit Dalai Lama reden
Medienpiegel aus n-tv.de:
Peking offen für Tibet-Fragen
"Gut Wetter machen"
Die chinesische Regierung zeigt sich gesprächsbereit. Schon in den nächsten Tagen will Peking den Dalai Lama zur Unterredung bitten. Das geistliche und weltliche Oberhaupt der Tibeter hat das Angebot angenommen. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, derzeit zu Gast in Peking, bezeichnet die Ankündigung Chinas als bedeutenden Schritt.
Aus Sicht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung werden sich nun all jene bestätigt fühlen, "die immer wieder versichert haben, China sei doch empfänglich für Druck. Aufrufe zum Olympiaboykott dürften jetzt schnell in sich zusammenfallen", bemerkt das Blatt nicht ohne Zynismus. Auch ausländische Geschäftsleute könnten wieder ungestört ihrer Arbeit nachgehen. "Die chinesische Regierung wiederum darf sich auf schöne olympische Bilder freuen." Doch Olympia währt nicht ewig: "Erst dann wird sich zeigen, ob auch die Tibeter etwas von der neuen Beweglichkeit Chinas haben." Bis dahin sollte dem Regime in Peking "bis zum Beweis des Gegenteils misstraut werden."
Auch die Abendzeitung aus München mahnt zur Vorsicht, wenn auch aus anderen Gründen: "Die Fackel kommt bald in China an - dann wird das Regime dafür sorgen, dass keine Demonstranten in Fernsehbildern auftauchen. Mit dem Gesprächsangebot spielt China klar auf Zeit." Gerade erst sei noch von einer "heftigen Blut-und-Feuer-Schlacht mit der Clique des Dalai Lama" die Rede gewesen. Chinas Dialog-Zusage sei nicht zu trauen, so das Blatt und plädiert "auch ohne Fackel" für eine "neue olympische Bewegung des Protests".
"Dass plötzlich rund um die Welt nur noch von der hässlichen Seite des atemberaubenden chinesischen Aufstiegs vom Dritte-Welt-Bedürftigen zum kraftstrotzenden Global Player die Rede ist, dass gar über Boykott der Spiele nachgedacht wird, war nun wirklich nicht das Ziel der Olympia-Bewerbung", erläutert das Mindener Tageblatt den "Strategieschwenk". Der Dalai Lama werde das Gesprächsangebot "selbstverständlich annehmen" wie bereits in früheren Runden, "die allerdings stets ergebnislos endeten." Man könne sich dem Verdacht nicht erwehren, Peking versuche bloß, "Ruhe im Karton zu haben. Dieses Spielchen sollten weder die Tibeter noch die westliche Öffentlichkeit mitmachen, sondern auf belegbarer Ernsthaftigkeit des Gesprächsangebots bestehen - höflich, diplomatisch, aber bestimmt."
Der Westfälische Anzeiger aus Hamm mutmaßt über die Gesprächsthemen: "Es kann nur um eine Absicherung von Minderheiten-Rechten und kulturellen Werten für die Tibeter innerhalb Chinas gehen." Schwer zu sagen sei allerdings, "ob die Regierung in Peking, die bisher auf Assimilierung in der Region gesetzt hat, an einer wirklichen Autonomie ein ernsthaftes Interesse hat." Es sehe daher eher so aus, als wolle Peking "vor allem Druck aus dem Kessel der globalen öffentlichen Meinung nehmen." Man müsse außerdem bereits kritisch anzweifeln, "ob das Oberhaupt der Tibeter überhaupt noch der richtige Ansprechpartner ist. Was verbindet ihn noch mit den empörten Massen in Lhasa und anderswo?"
"China will die Olympischen Spiele retten", erklärt die Rhein-Neckar-Zeitung aus Heidelberg, doch mit einer veränderten Tibet-Politik habe das nicht zu tun. Vielmehr sei Peking an einer "lautlosen und dauerhaften Lösung" des Tibet-Problems gelegen und instrumentalisiere den Dalai Lama. Tibet erhalte im günstigsten Fall "mehr kulturelle Autonomie für den Verzicht auf Unabhängigkeit. Ob der Dalai Lama, der nach außen eine ähnliche Position vertritt, ein solches Mandat hat und durchsetzen könnte", hält jedoch auch das Heidelberger Blatt für fraglich.
Der Kölner Stadt-Anzeiger beurteilt das Entgegenkommen optimistisch, "selbst wenn dahinter zunächst nur die Absicht stehen sollte, vor den Olympischen Spielen den weiteren Ansehensverlust zu stoppen." Die Demonstrationen in aller Welt hätten so mehr erreicht, "als sich vermutlich die aufständischen Tibeter jemals erhofft hatten. Jetzt wird sich erweisen, über welchen Einfluss der Dalai Lama in seinem Land noch verfügt."
"Tibet ist für China eine Frage der nationalen Stabilität", schreibt die Badische Zeitung und sieht wenig Übereinstimmung: "Allein schon eine kulturelle Autonomie, wie sie der Dalai Lama fordert, könnte andere Minderheiten auf den Plan rufen. Ein Wegbrechen Tibets, so die Angst in Peking, wäre der Anfang vom Ende des Vielvölkerstaats. Pekings Führer könnten allerdings erkannt haben, dass sie mit ihrer bisherigen Minderheitenpolitik auf eine Katastrophe zusteuern." Das Gebot der Gewaltlosigkeit sei in der jüngeren Generation der Tibeter nicht mehr garantiert. "Einen besseren Verhandlungspartner als den Dalai Lama wird Peking nie bekommen."
Die Frankfurter Rundschau argumentiert ähnlich und sieht den Dalai Lama "als weltlichen Politiker unter dem zunehmenden Druck einer Exilbewegung, die Unabhängigkeit will. Er ist der einzige Partner, den Peking für einen Kompromiss gewinnen und der ihn als spirituelle Autorität vor praktisch allen Tibetern vertreten könnte. Doch ihm läuft die Zeit davon. Ist Chinas Machtelite bereit und in der Lage, im Schein der olympischen Fackel über den eigenen politischen Schatten zu springen? Dann haben Gespräche Sinn. Will sie aber Tibet nach ihrem Bilde modernisieren? Dann wird sie weiteren Widerstand ernten."
Die Berliner Morgenpost sieht es hundert Tage vor Beginn der Olympischen Spiele fast für "zu spät für eine wirkliche Wende in der Atmosphäre. Wohlgesinnte ausländische Beobachter und viele nachdenkliche Chinesen schlagen gedanklich drei Kreuze in der Hoffnung, dass die Spiele wenigstens ungestört verlaufen. Das ist bitter für eine Nation, die so stolz war, als sie die Spiele zugesprochen bekam." Das geplante Gespräch biete vielleicht eine letzte Chance.
Kommentar: Ich hatte gestern Gelegenheit mit einem Delegierten zu reden, der von einer Chinareise zurückkehrte. Nach seinem Dafürhalten ist China auf einen guten Ruf bedacht. Die Chinesen wollen nicht das Gesicht verlieren und der Welt unbedingt eine schöne Feier demonstrieren. Nachdem die Demonstrationen nicht so einfach unter den Teppich gekehrt werden konnten, musste nun Peking über den Schatten springen und alles versuchen, die Situation zu entkrampfen. Trotz grösstem Polizeiaufgebot kam es immer wieder zu Demonstrationen und Bildern, die von der freien Presse gezeigt werden durften und der Medienzensur der Chinesen entzogen werden konnten.
China wird gewiss - trotz der angekündigten Gesprächsbereitschaft - nicht von der internen Medienzensur abrücken. Internet, Radio und Fernsehen, Zeitungen aber auch Handys werden weiterhin überwacht und kontrolliert bleiben. Selbst google wird es nicht fertig bringen, dass die Bürger freien Zugang zu Webseiten haben können, zu Informationen, die Peking nicht genehm sind. Das ist für mich das Erstaunlichste: Dass es 2008 immer noch möglich ist, Millionen von Menschen den Informationsfreiheit zu filtern.
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