„Das
Balancieren zwischen heute und morgen gleicht dem Tanz auf einer
rollenden Kugel, auf der unaufhaltsam rollenden Kugel der Zeit. Wer
wirklich leben will, muss sich dem Unerkennbaren, dem Unerwarteten und
dem Unvorhergesehenen anvertrauen.“ Dieser Leitspruch steht im
Eingangsbereich der steirischen Knill Energy Holding. Insbesondere in
Zeiten der Digitalisierung müsse man bereit sein, sich zu ändern. Und
das gilt besonders für die aktuelle Zeit – schließlich sollten sich
Unternehmen gerade jetzt auf die Phase nach der Krise vorbereiten.
Bei Knill ist man Veränderung gewohnt. Die Knill-Gruppe mit weltweit
rund 2000 Mitarbeitern ging aus einer im Jahr 1712 gegründeten
Klingenschmiede hervor. Heute ist sie Spezialist für
Energieübertragungs-Infrastruktur und Sondermaschinenbau in der
Energiebranche. Diese Entwicklung war nur möglich, weil sich das
Unternehmen, das seit zwölf Generationen in Familienbesitz ist, über die
Jahrhunderte hinweg immer wieder neu erfunden hat. Als kein Hahn mehr
nach Schwertklingen und Säbeln schrie, stieg man auf Sicheln, Sensen,
Hacken und Buschmesser um. Als dann auch Sicheln und Sensen von
Traktoren abgelöst wurden, war erneut Veränderung gefragt. Christian Knill,
der die Gruppe seit 2002 gemeinsam mit seinem Bruder Georg, dem neuen
Präsidenten der Industriellenvereinigung, leitet, sagt: „Man hat wieder
geschaut, was man am Standort in Weiz machen kann. Diese enge
Verbundenheit zum Standort war uns immer wichtig, und wir wollen sie
weiter aufrechterhalten.“ Der Großvater der Brüder war Elektrotechniker
und dachte sich, dass man ja „alles Mögliche schmieden kann“. So begann
er mit der Produktion von Komponenten für die Stromübertragung. 1949
erhielt das Unternehmen, das damals noch Mosdorfer hieß, den ersten
Auftrag für Freileitungsarmaturen. Und als der Vater der Knill-Brüder
das Ruder übernahm, gab es wieder entscheidende Veränderungen: Man
streckte die Fühler über die Grenzen hinaus aus, erweiterte das Angebot
und baute eine internationale Unternehmens-Gruppe auf. Das geschah auch
durch Zukäufe wie etwa jenen der Firma Rosendahl, durch den man in die
Maschinenproduktion für Carbondraht einstieg.
Nicht an altem festhalten
Die Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden, macht stark.
Christian Knill ist überzeugt: „Jede Krise und jeder Rückgang lassen
einen die Strukturen und Prozesse wieder überdenken.“ Knill hat im
Geschäftsbereich Energie seit Corona nur geringe Einbußen – die
öffentliche Hand investiert aktuell stark in Europa. Im internationalen
Geschäft, vor allem im Maschinenbau-Bereich, werden dagegen viele
Projekte verschoben. Dass kaum gereist werden kann, macht die Sache auch
nicht besser, weil sich Kunden über Videokonferenzen nicht so gut von
großen Investitionen überzeugen lassen. Hier muss man sich also an einen
Umsatzrückgang anpassen, während man im Energiebereich selektiert, in
welche Bereiche und Projekte man investieren will.
In der Knill-Gruppe setzt man schon länger auf eine Denkweise, die
Anpassungen erleichtert. „Wir sprechen heute zum Beispiel nicht mehr von
Produkten, sondern eher von Systemen, Service und Dienstleistung“,
erklärt Christian Knill. Früher wurden Einzelkomponenten verkauft, heute
sind es Systeme. Die Geschwindigkeit im Business ist gestiegen: „Wir
machen nach wie vor Fünf-Jahres-Pläne, aber in Wirklichkeit ist alles
über drei Jahre hinaus schon Glaskugellesen.“ Gleichzeitig ist
langfristiges Denken ein Grundwert bei Knill: „Für uns ist wichtig, dass
es uns in zehn Jahren und darüber hinaus noch gibt.“ Christian Knill
denkt dabei an seine Kinder und an die Mitarbeiter, von denen er derzeit
große Loyalität erfahre: „Es ist ein Geben und Nehmen. Wir dürfen in
Zeiten, wo es nicht so gut geht, nicht nur auf die Zahlen schauen.“ Dass
die Knill-Gruppe nicht dividendengetrieben ist, hilft dabei: „Wir haben
keine strikten Vorgaben, jedes Jahr zu wachsen. Im schlimmsten Fall
machen wir einmal Verlust.“ Das vermittle auch den Mitarbeitern
Sicherheit in einer unsicheren Zeit.
Neue Einsatzbereiche suchen
Sosehr man auch beim oberösterreichischen Luftfahrtzulieferer FACC um
Sicherheit und Stabilität gerungen hat, im September mussten 650
Mitarbeiter, vorwiegend aus der Produktion, das Unternehmen verlassen.
Bei einer Zahl von 3400 ein schwerer Schlag. Ein Schritt, der allerdings
nicht überraschen darf, ist doch die Luftfahrt durch die Pandemie
beinahe völlig zum Erliegen gekommen. Aber diese Krise, so glaubt
FACC-CEO Robert Machtlinger, hat nicht nur solche
unmittelbaren Folgen: „Corona wird das Denken in der Gesellschaft
verändern, mehr als wir heute glauben.“ Er zieht einen Vergleich mit
9/11: Nach den Anschlägen wurden weltweit die Sicherheitsmaßnahmen im
Luftverkehr verschärft: „Wir haben damals geglaubt, das wird ein paar
Monate so sein, aber die Maßnahmen sind geblieben.“ Damals war FACC
übrigens ebenfalls schwer betroffen. Machtlinger: „9/11 war ein Desaster
für uns. Wir waren damals 100 Millionen Euro groß, danach 70. Das hat
uns zurückgeworfen.“
Sich als Luftfahrzulieferer in Zeiten wie diesen neu zu erfinden, ist
gleichermaßen schwierig wie unumgänglich. Bei dem Weltmarktführer FACC
hat man sich zum Glück schon in den letzten beiden Jahren intensiv
Gedanken über Veränderungen gemacht. „Unsere Kernkompetenz ist der
Leichtbau. Wir haben uns entschieden, nicht nur Composite-Technik,
sondern auch metallischen Leichtbau anzubieten“, erklärt Robert
Machtlinger. Diese Bauteile können etwa in der Automobilbranche und bei
Schnellzügen zum Einsatz kommen. Neue Einsatzmöglichkeiten der
Materialien laufend zu prüfen, liegt in der DNA von FACC. Das
Unternehmen kam ursprünglich aus der Sport-Industrie und hat die
Kunststofftechnik, die bei Skiern und Tennisschlägern zum Einsatz kam,
in die Flugwelt transferiert. Robert Machtlinger macht sich deshalb
strukturell keine Sorgen um FACC, wo schon in den Anfangsjahren
disruptiv agiert wurde: „Wir haben uns seit Bestehen der FACC immer
verändert.“
Forschen, lernen, implementieren
So setzt FACC seit etwa zwei Jahren auf das Thema Urban Air Mobility,
wozu zum Beispiel Flugtaxis und Zustelldrohnen zählen. Dafür hat Robert
Machtlinger zunächst noch kritische Kommentare geerntet: „Dafür gibt es
doch keinen Markt.“ Doch womöglich hatte FACC den richtigen Riecher,
schließlich wurden bereits erste Drohnen für die Paketzustellung
zugelassen. Unbemannte Drohnen könnten Menschen außerdem aus schwer
zugänglichen Regionen oder Katastrophengebieten holen und Medikamente
oder medizinisches Gerät transportieren. „Jetzt haben wir den
Mitbewerbern sicher zwei bis drei Jahre voraus“, zeigt sich der
Geschäftsführer überzeugt. Selbst wenn sich Urban Air Mobility noch
lange verzögert oder, was man für sehr unwahrscheinlich hält, nie kommen
würde, wäre der Schaden laut Machtlinger gering: „Das, woran wir
geforscht haben, können wir auch in anderen Bereichen einsetzen. Am Weg
zum Ziel gibt’s irrsinnig viele Seiteneffekte, die man ins Stammgeschäft
überführen kann.“ Ein Ansatz, der gewisse Strukturen benötigt. Um sich
laufend neu zu erfinden und am Ball zu bleiben, gibt es deshalb bei FACC
ein Team, das die Trends im Blick behält und an neuen Ideen arbeitet
und diese entwickelt. Das Team ist bunt gemischt und besteht aus 20
Personen, viele davon rotierend aus unterschiedlichen
Geschäftsbereichen. Manche Projekte erreichen Marktreife, andere nicht.
Die Neuerfindung des eigenen Unternehmens voranzutreiben, wird wohl zu
einer zentralen Kompetenz jedes CEOs werden müssen. Machtlinger: „Vor
zehn Jahren hatten wir einen stabilen und langfristig planbaren
Fertigungsdurchlauf. Wenn ich mir anschaue, wie schnell man heute von
der Idee zum Markt-Rollout sein muss, dann hat sich in den letzten zehn
Jahren Immenses getan.“
Angst verhindert Veränderung
Nun kann sich natürlich nicht jedes Unternehmen ein zwanzigköpfiges
Zukunftsteam leisten. Kein Beinbruch. Denn die Organisationsberaterin Maria Spindler
betont etwa, dass es vor allem wichtig sei, zur stetigen
Weiterentwicklung und Neuerfindung „Räume für Entwicklung zu schaffen,
weil alles so viel enger geworden ist“. Sie sieht die Top-Führungskräfte
in der Verantwortung, diese Räume zu schaffen. Gerade in Krisenzeiten
dürfte das allerdings nicht ganz einfach sein. Spindler: „Auch wenn es
nur einmal im Monat drei Stunden sind – man muss gemeinsam überlegen:
Wie stellen wir uns in der Zukunft neu auf?“ Selbst wenn gerade alle
Kunden wegbrechen, gilt es, den Rhythmus beizubehalten. Führungskräfte
würden damit ein wichtiges Zeichen setzen und zeigen: „Wir haben die
Ressource, die Zukunft zu entwickeln, auch wenn’s uns ganz schlecht
geht.“ Das schaffe einen Lichtblick, und die Verzweiflung werde
geringer. Angst zu reduzieren, sei extrem wichtig: „Wer Angst hat, kann
nicht in die Veränderung gehen.“
Die Folge sind Bereinigungsprozesse, aber auch Überlebenskämpfe. Als
positives Beispiel nennt Spindler eine Galeristin, die in den ersten
Wochen des Lockdowns einen Schock hatte. Doch dann stellte sie ihr
Geschäft auf Online-Verkauf um – etwas, was sie ohne Corona nicht
gemacht hätte, weil ihr dafür die Zeit fehlte. Schließlich hat sie
profitiert, als die Geschäfte wieder öffnen durften, denn seither ist
der Online-Verkauf ein Zusatzgeschäft. Spindler: „Um an neuen Ideen zu
arbeiten, ist es wichtig, aus dem Trott des Tagesgeschäftes
herauszutreten.“ Auch aus dem öffentlichen Bereich begegnen Spindler
Führungskräfte, die seit vielen Jahren etwas Neues umsetzen wollten, es
aber aus eingeschliffener Bequemlichkeit nicht gemacht haben: „Dann kam
Corona, und sie haben es innerhalb von zwei Wochen geschafft.“
Langfristige Beziehungen pflegen
Beim Weltmarktführer Frequentis hat man gut zu tun. Der Umsatz im
ersten Halbjahr blieb gegenüber dem Vorjahreszeitraum fast unverändert.
Daher sieht CEO Norbert Haslacher auch keinen Grund für
Frequentis, sich neu zu erfinden: „Unser Geschäftsmodell war und ist
aufgrund der Kundenstruktur sehr langfristig ausgerichtet.“ Die Kunden
sind Behörden, die für den Betrieb von sicherheitstechnischer
Infrastruktur verantwortlich sind. Es geht unter anderem um den Bereich
der Flugsicherung. Haslacher: „Diese Aufgabe kann man nicht
wegrationalisieren, unabhängig von der Auslastung.“ Geschäftsbeziehungen
laufen bei Frequentis „oft über Jahrzehnte“, und Entwicklungen erfolgen
häufig gemeinsam mit den Kunden.
Das klingt nach einem gemachten Bett. Doch Haslacher sagt, dass das
Unternehmen etwa aus 9/11 und auch aus der Finanzkrise 2009 Lehren
gezogen und sich verändert hat. So war Frequentis 2001 ausschließlich im
Segment Flugsicherung tätig: „Wir nahmen den Terroranschlag auf das
World Trade Center zum Anlass, uns stärker zu diversifizieren.“ Heute
arbeitet Frequentis unter anderem auch für Blaulichtorganisationen, Bahn
und Schifffahrt. Als 2009 das „Misstrauen zwischen Banken“ stieg,
zeigte das Frequentis „die Bedeutung einer starken unabhängigen
Cash-Position“.
Nach Ausbruch der Corona-Pandemie hat Frequentis einen Thinktank
etabliert, um Learnings auch aus dieser Krise zu ziehen, aber auch um
Produktinnovationen voranzutreiben. In diesem Kreis wird an innovativen
Themen gearbeitet, die wesentliche Impulse für die langfristige
Weiterentwicklung von Frequentis liefern sollen. Eine Arbeitsgruppe
entwickelt etwa Konzepte, um Cloud-Lösungen für den
sicherheitskritischen Markt bereitzustellen. Einerseits gehe es um
Lessons Learned aus der Krise, andererseits um das Weitertreiben von
Produktinnovationen und die beschleunigte Entwicklung von Lösungen.
Zudem wurde das Projekt New Work@Frequentis (link sends e-mail)
gestartet, bei dem virtuelle Arbeitsmethoden analysiert und auf
Einsetzbarkeit überprüft werden. Und schon länger werden in der Unit
„Frequentis New Business Development“ neue Business-Modelle entwickelt.
Dort gibt es derzeit drei Schwerpunktthemen: Drohnen, 5G-Nutzung für
den sicherheitskritischen Bereich und Remote Tower.
Wachstum? Nicht um jeden Preis
Erich Steinreiber, CEO des Facility
Service-Anbieters ISS Österreich, ist seit 37 Jahren für das Unternehmen
tätig und hat viele Phasen der Entwicklung und Neuerfindung miterlebt.
Steinreiber kennt sein Unternehmen noch als klassischen
Reinigungsanbieter. Heute kann man bei der weltweit führenden ISS viele
weitere Services rund um ein Gebäude buchen, darunter
Schädlingsbekämpfung, Grünflächenbetreuung, Portier- und
Sicherheitsdienste, Betriebsfeuerwehr, Event-Service, Gebäudetechnik,
Postverteilung oder Back Office. Der Konzern mit Sitz in Dänemark kaufte
rund 600 Unternehmen weltweit zu und wurde vom europäischen zum
globalen Player. Steinreiber: „Wir wollen weiter wachsen, aber nicht um
jeden Preis, also organisch mit ausgewählten Kunden und Kundensegmenten.
Unser Fokus liegt auf einem gesunden und profitablen Wachstum.“
Die aktuelle Krise hat ISS in Österreich getroffen, wenn auch weniger
als andere, was auf das breite Service-Portfolio zurückzuführen ist. So
gibt es einerseits Einbußen durch den eingeschränkten Flugverkehr, weil
auch der Flughafen Wien Kunde ist, andererseits ist vor allem im
Gesundheitswesen die Nachfrage hoch, und der Aufwand der Reinigung
derzeit allgemein erhöht. Man hat aktuell auch rund
100 Dekontaminationsexperten zur Verfügung. Hingegen ging die Nachfrage
nach Betriebscatering – ein Bereich, in dem ISS wachsen will – zurück.
Hier arbeitet man gerade an Konzepten, um auch ein Angebot im Bereich
Homeoffice zu schaffen.
Selbst den Markt verändern
Was das Neuerfinden angeht, tut sich vor allem in Richtung
Digitalisierung viel. Steinreiber: „In fünf Jahren wird die
Digitalisierung Facility Services stark verändert haben, und ISS wird
hier den Markt verändern.“ Wobei man besonders in der Serviceindustrie
den „Human Touch beibehalten“ will. So werde es etwa Unterstützung durch
Roboter geben, aber: „Es wird immer der Mensch sein, der den Roboter
bedient.“ Man werde auch viel in die Qualifizierung der Mitarbeiter
investieren, deren Aufgaben sich durch die Digitalisierung verändern,
und man will proaktiver werden: „Wir sind als Facility Service-Anbieter
der Dienstleister, der das meiste Wissen über eine Immobilie hat. Wir
werden durch die Digitalisierung dieses Wissen besser nutzen,
beispielsweise in der Wartung, wo wir eine proaktive statt reaktive
Wartung durchführen, um die Lebensdauer von Maschinen und Geräten zu
erhöhen.“
Außerdem wird mehr in Teams gearbeitet werden, und auch die Führung
wird digitaler. Erich Steinreiber: „Ich bin überzeugt, dass wir in zwei
oder drei Jahren ein anderes Unternehmen sein werden als noch vor zehn
Jahren.“ All diese Beispiele zeigen: Selbst einschneidende Veränderungen
passieren selten von heute auf morgen. Das ist ein Prozess, der aber
mit höherer Geschwindigkeit denn je abläuft. Und so kommt es, dass
Unternehmen, die viele Dinge in kurzer Zeit verändern, sich
schwuppdiwupp, nach wenigen Jahren, neu erfunden haben. Immerhin, so
beruhigt Erich Steinreiber von ISS, brauche es „keine Revolution“,
sondern „eine schnelle Evolution“. Wer in dieser Evolution die besseren
Gene mitbringt, muss sich wohl auch um die Zukunft seines Unternehmens,
sei es als Weltmarktführer oder kleinerer Fisch im Teich, keine großen
Sorgen machen.
21.10.2020