Donnerstag, 27. April 2017

Teletubbies bewirken bei Erwachsenen einen Sturm der Entrüstung

Lob von den Kindern, Kritik von den Eltern: Die Ausstrahlung der «Teletubbies» hat auf Kika für heftige Reaktionen gesorgt.
Lob von den Kindern, Kritik von den Eltern: Die Ausstrahlung der «Teletubbies» hat auf Kika für heftige Reaktionen gesorgt














Wenn der IQ von Kindern demnächst drastisch sinken sollte, ist der Kinderkanal schuld. Jedenfalls musste diesen Eindruck gewinnen, wer in der vorigen Woche die fast 20 000 Kommentare unter einem Facebook-Beitrag las, mit dem der Sender die Rückkehr der Teletubbies ankündigte: jener bunten Plüschwesen, die nicht richtig sprechen können, aber einen Touchscreen auf dem Bauch haben. «Ich bin immer noch fassungslos, dass dieser verblödete Schrott wieder gesendet wird!» «Nächste Generation dummer Menschen soll wohl gezüchtet werden.» «Als hätten es die Kinder heutzutage nicht schon schwer genug und jetzt noch so ein Mist.» Und, natürlich: «Und für so etwas werden unsere Zwangsabgaben verbrannt!»
Selbst schuld, könnte man dem Kinderkanal nun zurufen. Nicht nur, weil der ja aus freien Stücken neue Folgen der Teletubbies zeigt: Die haben ja mindestens so viele Fans wie Gegner. Sondern weil er erst vor ein paar Tagen zum Anlass des 20. Geburtstags des Senders diese Facebook-Seite in Betrieb genommen hat. Wie geht es also dem Kika? Einen Teil der Antwort liefert die Quote von zuletzt im Schnitt fast 19 Prozent beim Kinderpublikum. Die Frage beantworten aber auch die Zuschauerreaktionen. Zeit, den Publikumsservice des Senders zu besuchen und über zwei Welten zu staunen, die dort aufeinanderprallen. Die der Kinder und die der Eltern.
«Kikafuerdich» heisst die neue Facebook-Seite. Das meint: für dich, liebes Elternteil. Denn die eigentliche Zielgruppe des Senders - Kinder von drei bis 13 - ist noch zu jung, um sich in dem sozialen Netzwerk herumzutreiben. Die Seite richtet sich ausschliesslich an Eltern. Die haben zwar auch früher schon geschimpft. Aber wenn sie sich bisher beklagen wollten über die drohende Verdummung oder die zu weit führende Aufklärung ihrer Kinder, mussten sie wenigstens noch eine E-Mail schreiben oder anrufen.
Nicht selten beschweren sich grosse Zuschauer
Es ist bemerkenswert, dass der gemeinsame Kinderkanal von ARD und ZDF mit der Facebookseite nun also noch einen weiteren Kommunikationskanal öffnet, denn das, was viele Medien im Kontakt zu den Lesern oder Zuschauern in den vergangenen Jahren erfahren haben, gilt auch für das Kinderfernsehen: «Der Ton ist härter geworden», sagt Yvonne Leifheit, die in Erfurt die Zuschauerredaktion des Senders leitet, und auch hier ist wieder gemeint: der Ton der Eltern. Kinder äusserten sich viel seltener kritisch. Darum lassen sich die jährlich 67 000 Briefe, 25 000 E-Mails und 4000 Telefonanrufe dem Sender zufolge ganz grob in zwei Kategorien einteilen: Lob von den Kindern, Kritik von den Eltern. Oder genauer: Kritik von Erwachsenen - denn nicht selten beschweren sich Grosse, die selbst gar keine Kinder haben.
Die Zuschriften der jüngeren Kinder machen Leifheit und ihren Mitarbeitern oft Freude: Sie fragen zum Beispiel drollig, ob ihre Lieblingsfigur vielleicht zum Kindergeburtstag kommen könnte; oder warum Kalli, die Zeichentrickfigur aus den Gute-Nacht-Geschichten, sich nie zudeckt in seinem Bett. Oder wegen all der Bilder und Basteleien, an manchen Tagen bis zu 500 Stück, und an denen man ablesen kann, welche Bastelmaterialien gerade angesagt sind. «Denjenigen, der bei uns die Post sortiert, erkennt man immer ganz gut, weil er glitzert», sagt Yvonne Leifheit, vor deren Büro eine Riesenwand voll mit selbstgemalten Bildern hängt.
Die Ratgeber-Sendung Kummerkasten richtet sich vor allem an ältere Kinder mit ihren Sorgen und Nöten. Auch was hier ankommt, sagt etwas über die Bindung zum Sender aus. Matthias Huff ist als Redaktionsleiter der Informationsprogramme seit 2003 für die Sendung verantwortlich. «Ich bin jedesmal erstaunt, wenn ein 15-Jähriger sein Liebesleben dem Kika-Kummerkasten anvertraut», sagt er. «Aber es kommt vor, und zwar in einer nennenswerten Grössenordnung.» Wenn Kinder oder Jugendliche sich mit ernsten Problemen an die Redaktion wenden, arbeitet der Sender mit Experten der Diakonie zusammen.
Auch Huff stellt fest, dass sich der Kontakt zu den Eltern verändert hat. Er sagt: «Es prägt unsere Arbeit ganz unmittelbar, dass sich Leute im Netz sehr schnell zusammenschliessen können.» Als der Kika 2014 eine Sendung ankündigte, in der ein elfjähriger muslimischer Junge bei seinen Vorbereitungen für die Beschneidung begleitet wurde, riefen unzählige Internetseiten, Vereine und andere Interessensgruppen zum Protest auf, teilweise mit vorgefertigten Schreiben. Der Sender verteidigte sich: Es gehe darum, einen Einblick in eine fremde Lebenswelt zu gewähren, und hielt an der Ausstrahlung fest.
«Die klassischen Aufregerthemen sind immer die gleichen», sagte Programmgeschäftsführer Michael Stumpf bei einer Pressekonferenz im März: Politikberichterstattung und Sexualaufklärung. Verändert hätte sich aber die Menge der Kritik - und eben der Ton. Konkrete Beispiele will die Redaktion mit Verweis auf das Briefgeheimnis nicht nennen. Stumpf sagt nur: «In den Spitzen ist es schwer zu ertragen.»
Für eine neutralere Darstellung
Bei aller Kritik, die der Sender bisweilen aushalten muss: Für Redaktionsleiter Huff ist sie auch ein Beleg für die Relevanz des Programms: «Die Frage, was wir im Kinderfernsehen zeigen, wird heute intensiver diskutiert als in den Neunzigern, weil wir in einer repolitisierten Gesellschaft leben», sagt er. Das merke man nicht nur an den Elternreaktionen. Auch innerhalb der Redaktion seien die Debatten andere als noch vor ein paar Jahren: «Früher haben wir vor allem darüber diskutiert, wie wir bestimmte Inhalte vermitteln. Heute geht es mehr als früher auch darum, was wir den Kindern überhaupt erzählen wollen», sagt Huff, der seit 1989 Kinderfernsehen macht.
Während der Flüchtlingskrise 2015 sei das besonders deutlich geworden: Die einen wollten über die zahlreichen Willkommensaktionen im ganzen Land nur berichten. Andere Mitarbeiter wollten im Kika gleich selbst eine Willkommenssendung ausstrahlen. Wenn es darum geht, grundsätzliche Werte zu vermitteln, könne der Sender zwar durchaus auch mal Haltung zeigen, sagt Huff: «Wir können Menschenrechte schon besser finden als Nichtmenschenrechte.» Beim Thema Flüchtlinge habe sich die Redaktion aber doch für eine neutralere Darstellung entschieden. Manch erwachsenem Zuschauer waren die Berichte dennoch zu positiv.
Die Ostertage boten beim Kika neuen Grund für Beschwerden: Die vierteilige Reihe «Mit Christus um die Welt» nennen die einen «echt klasse» und die anderen «Indoktrination auf Kosten des Steuerzahlers». Zum Glück hat der Kika auch Zuschauer, die man ganz konfliktfrei glücklich machen könnte. Wie den Jungen, der sich per Youtube-Kommentar wünscht: «Könnt Ihr mal wieder was über Meerschweinchen bringen oder wenigstens was über Noel und Liam Gallagher...?!» (Tagesanzeiger.ch/Newsnet)

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