Sonntag, 8. Oktober 2017

Floskeln aus dem Schwulst-Lexikon des Grauens

Ein typischer Steinmeier-Satz zur Flüchtlingspolitik beginnt so: "Wir müssen uns ehrlich machen." 

Das kommt, weil der Bundespräsident dem Stilmittel der Wiederholung vertraut, an zentraler Stelle gleich drei Mal vor. Malte Lehming hat gestern im "Tagespiegel" sehr schön dargelegt, warum dies, unabhängig von dem, was darauf folgt, eine Floskel ist, die ins Schwulst-Lexikon des Grauens gehört.

Der korrekte Satz wäre gewesen: "Wir müssen ehrlich sein". Aber das hätte bedeutet, dass wir vorher nicht ehrlich waren. Das zu sagen hat sich Steinmeier nicht getraut, dann hätte es womöglich eine Diskussion über seine Äußerungen gegeben. Die Formulierung "ehrlich machen" suggeriert, man könne sich nachträglich in den Zustand der Ehrlichkeit versetzen, ohne darüber reden zu müssen, dass man es vorher nicht war. So redet ein Verwaltungsjurist, der wie Björn-EinStückweit-Engholm klingen will. Oder wie Katrin-WirbekommenMenschengeschenkt-Göring-Eckardt. Dummdeutsch ist die Ausflucht des Menschen, der zu einem klaren Gedanken nicht in der Lage ist.
Man kann die Geschichte für eine Spitzfindigkeit halten, aber das ist sie nicht. Der Satz führt direkt in den Steinmeierschen Politikstil. Steinmeier ist der Typ Politiker, der sich gerne reden hört, aber so, dass niemand daran Anstoß nimmt. Das ist in Zeiten, in denen es politisch um wenig oder nichts geht, nicht weiter tragisch. Dummerweise haben im Augenblick allerdings eine Menge Leute das Gefühl, dass es nicht schaden könnte, wenn die Demokratie ein paar redegewandte Verteidiger hätte.
Wer Steinmeiers Rede zum Tag der Einheit liest, entdeckt an jeder Ecke den Beraterstab, der zur Vorsicht rät, wenn etwas zu deutlich geraten ist. Klar, irgendwas gegen die AfD, das muss vorkommen. Aber auch nicht so unmissverständlich, dass sich die Leute, die AfD gewählt haben, beleidigt fühlen könnten. Also streicht man den Parteinamen besser ganz raus. Oder redet einfach von den neuen Mauern, die es im Lande gebe, und die wir gemeinsam schnell wieder beseitigen sollten. Wahrscheinlich fand Steinmeiner schon das Bild der Mauer wahnsinnig gewagt. Seine "bislang stärkste Rede" urteilte die "Süddeutsche Zeitung" in einem Kommentar. So vernichtend kann Kritik sein.
Der Grund, warum Steinmeier unser Bundespräsident ist, ist ein Versehen. Die CDU hatte keinen Kandidaten, weil ihr alle absagten. Bei der SPD hatten die begabteren Leute andere Pläne, also fiel die Wahl auf den Außenminister. Steinmeier bleibt am Ende immer übrig, das ist seine Stärke. Als Schröder aus dem Amt kippte, war er da, um weiterzumachen. Als die Wahl 2009 mit ihm als Kandidaten schief ging, blieb er einfach sitzen; auch 2013, als die SPD mal wieder als Aushelfer in die Regierung wechselte, war er zur Stelle. Wenn sie morgen beschließen sollten, das Schloss Bellevue zu einem Museum zu machen und den Etat des Staatsoberhauptes ersatzlos einzusparen: Steinmeiner hielte sich zur weiteren Verwendung zur Verfügung, dann eben als Abwickler.
Quelle Spiegel.
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11. Sept. 2008 ... meisterleistung: Diplomaten pflegen eine eigene Sprache: Missstände und Unstimmigkeiten werden hinter diplomatischen Floskeln versteckt ...
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Mit Floskeln kann ein Redner manche beeindrucken, und er läuft kaum Gefahr, damit anzuecken. Es sei denn, es werde nachgefragt. Zurück zu der am Anfang ...
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