Samstag, 30. Juni 2007

Wie können Eltern in die Pflicht genommen werden, wenn sie nicht mehr anwesend sind? __________________________________________________________________ Die ARENA vom 29. Juli befasste sich ebenfalls mit der Jugendgewalt. In der Diskussion um mögliche Massnahmen gegen die Gewalt, war von allen Seiten die einhellige Forderung zu hören: Die Eltern müssten vermehrt in die Pflicht genommen werden! Es wurden Spachförderungskurse für ausländische Eltern gefordert, die auch erzwungen werden dürften. Wie üblich wurden Tagesschulen und Betreuungsstätten gefordert. Die Tatsache dass damit viele Eltern ihre Erziehungsaufgabe gar nicht mehr richtig wahrnehmen können, blieb ausgeklammert. ____________________________________________________________________ Das Grundproblem: ____________________________________________________________________ Wie können die Eltern in die Pflicht genommen werden, wenn beide Elternteile tagsüber abwesend sind? Wenn Vater und Mutter auswärts arbeiten, ist diese Forderung nach vermehrtem Engagement der Eltern gar nicht realisierbar. Entweder nehmen wir die Eltern in die Pflicht. Dann sollte aber mindestens ein Elternteil anwesend sein oder wir entlasten die Eltern und dann müssten wir an Stelle der Eltern den Lehrkräften, den Grosseltern oder sonstigen Betreuern die volle Erziehungsaufgabe übergeben. Leider blieben diese Zusammenhänge in der Diskussion ausgeklammert. Es ist erstaunlich, dass es die wenigsten Politiker wahr haben wollen, dass die Forderung nach vermehrtem Engagement der Eltern in den meisten Fällen heute gar nicht mehr durchgesetzt werden kann. Dies wäre ja nur möglich, wenn die Eltern diese Erziehungspflicht tatsächlich auch wahrnehmen könnten - sprich anwesend wären. Ein Dilemma, das leider in Diskussionen nicht berücksichtig wird.

Freitag, 29. Juni 2007

Mütter, bleibt zu Hause! ___________________________________________________________________ "Wenn Mami arbeitet, leidet das Kind" ___________________________________________________________________ Dieser Titel im BLICK vom 28. Juni musste allen beruftstätigen Müttern weh tun. Die Ergebnisse der grössten Wählerbefragung ergaben erstaunlicherweise, dass eine überwältigende Mehrheit die Meinung vertritt: "Kleine Kinder leiden, wenn Mami arbeitet." Diese Umfrage ist explosiv. Denn die Politiker tendieren auf Fremdbetreuung (Krippenplätze, Tagesschulen usw.) Seit Jahrzehnten wird den Müttern eingeredet: Kinder mit arbeitenden Müttern hätten gar keine Nachteile. Schon Eva Herman mit dem Buch "Das Eva-Prinzip" stach in ein Wespennest. Sie wagte es, zu schreiben, dass viele Mütter ihrer Karriere wegen die Kinder opfern. Eva Herman wurde von vielen Medien geschnitten. Auch die Rolle der Eltern bei der Verwahrlosung und Jugendgewalt brachte ein Umdenken: Dass die Eltern die Erziehungsprobleme nicht nur der Schule aufbürden können, leuchtet ein. Doch wie können Eltern Einfluss nehmen, wenn sie gar nicht da sind? Einer Erziehungsaufgabe kann jemand nur dann gerecht werden, wenn er das Kind nicht sich selbst überlässt. Wie können wir persönlich die eigenen Kinder prägen, wenn diese fremdbetreut werden (Verhalten, Essgewohnheiten, Bewegungsmangel usw.)? Bis jetzt wurden Stimmen, die versuchten, für die Präsenz der Eltern zu reden, stets abgewürgt. Sie wurden als erzkonservativ, hinterwäldnerisch, verstaubt etikettiert. Wer versuchte, sich für "Konstanz", "Nestwärme" und Elternpräsenz stark zu machen, wurde gefragt: "Wollen Sie das Rad zurückdrehen?" "Sind Sie von gestern?" "Wollen Sie zurück zur Formel: Kind und Küche? Dass Kind und Karriere vereinbar sind ist doch eine Selbstverständlichkeit!" Wer sich für die Haus- und Erziehungsarbeit von Müttern eingesetzt hat, wurde nicht ernst genommen. Alle Bestrebungen, die Haushalt. und Erziehungsarbeit aufzuwerten und bezahlen, hatte einen schweren Stand. In der Familienpolitik war das Gegenteil der Fall. Auch die Familienministerin in Deutschland machte alles, damit die Frauen ja nicht zu Hause bleiben. Sie werden sogar heute finanziell bestraft. Nur wer arbeitet, profitiert von den Krippenplätzen. Ein Elterngeld wird vehement bekämpft, weil sonst die Frauen zu Hause bleiben könnten, anstatt auswärts zu arbeiten. ___________________________________________________________________ Die Wählerbefragung macht deutlich, dass die Politiker gar nicht auf die Stimme des Volkes hören wollen und die jungen Frauen die Bedeutung der Erziehungsarbeit neu entdecken und jene Frauen progressiv sind, die das Erziehen nicht mehr delegieren wollen. _____________________________________________________________ Nachlese: Ein Schulleiter hat mir heute erzählt, dass Eltern immer mehr die Erziehungsaufgabe der Schule abtreten. Wenn es aber zu Problemen komme oder das eigene Kind beanstandet werden müsse, so werden die Lehrkräfte kritisiert und nicht das eigenen Kind. Dann plötzlich engagieren sich die Eltern vehement - aber gegen das ganze Schulhausteam. So habe jüngst ein Oberstufenschüler auf dem Pausenplatz mir einer Gun-Waffe auf einen Mitschüler geschossen. Die Schulleitung und die Lehrerschaft hatte vorbildlich reagiert - es wurden nicht wie in Zürich die Augen zugedrückt. Es wurde gehandelt. Es folgten Massnahmen und Strafen. Auch die Polizei wurde eingeschaltet. Nach meinem Dafürhalten hat ein Schulhaus endlich richtig und rasch reagiert. Nichts wurde unter den Tisch gewischt. In der Regel wird zu lange zugewartet. Doch diese zeitgemässe Schule hat nicht weggeschaut. Bei gravierenden Vorfällen dürfen wir kein Auge zudrücken. Was war jedoch - nach dem Eingreifen - geschehen? Die Eltern des "Sünders" nahmen das eigene fehlbare Kind in Schutz und griffen Behörde, Lehrer und Polizei an: Man dürfe bei Kindern in diesem Alter nicht so hart vorgehen. Die Schule habe unverhältnismässig reagiert, sagen sie. Die Eltern blieben uneinsichtig.

Mittwoch, 27. Juni 2007

Sabine Christiansen rächte sich am Kritiker ____________________________________________________________________ Zwei Tage vor der letzten Ausgabe der ARD Talkshow "Sabine Christiansen" ist der Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter vom Empfang nach der Aufzeichnung ausgeladen worden. Falter war selbst 23 Mal als Experte zu Gast in der Show. Doch hatte sich Falter vorher in einem Interview kritisch über das Format "Sabine Christiansen" geäussert. _______________________________________________________________ Falter sagte der "Osnabrücker Zeitung", dass die Debatten oft "recht oberflächlich" gewesen war und die Gäste "sich permanent ins Wort gefallen seien. Prompt kam hierauf per FAX die Ausladung mit folgendem Text: " Vielleicht ist es besser, Sie ersparen sich einen weiteren oberflächlichen Abend mit uns und geniessen den Sonntag bei einem guten Buch." Absender: Produzent Michael Heiks und ergänzte: "Ich empfehle Ihnen: - Prof. Untat: Was faul ist hinter den Hochschulkulissen -" ______________________________________________________________ Kommentar: Schade! Wir fragen uns, weshalb das Christiansen Team so allergisch auf Kritik reagieren musste. Es bleibt nun leider - vor dem Abgang der Moderatorin - ein schaler Nachgeschmack zurück. Ich bedaure, dass ich keine Chance gehabt habe, ausgeladen zu werden. Der "rhetorische Faxerguss" hätte mich in meinem Fall interessiert. Produzent Heik hätte vielleicht die Standardformulierung übernommen - mit einem leicht veränderten Text. Möglicherweise hätte er dem Kritiker der Beiträge in rhetorik.ch geschrieben: "Ich hoffe, es ist besser, Sie ersparen sich einen Abend mit einer schnatternden Schnellsprecherin und Sie geniessen den Sonntag mit einem guten Buch. Ich empfehle Ihnen: - Matthias Pöhm: Vergessen Sie alles über Rhetorik -."

Sonntag, 24. Juni 2007

Westerwelles scharfe Rhetorik ______________________________________________________________ Der FDP Chef sagte zur neuen Linken ( Stuttgarter Rede vom 15. Juni): ___________________________________________________________________ Ihr demokratischer Sozialismus ist eine "Art vegetarischer Schlachthof." Westerwelle findet es "zum Kotzen", dass sich die SPD-Politikerin Andrea Nahres ein Bild des kubanischen Diktators Fidel Castro ins Büro gehängt hat. Westerwelles Rede gipfelte in dem pathetischen Appell: "Deutschland entscheide dich. Willst du den Weg gehen in Richtung mehr Freiheit oder in Richtung mehr sozialistische Bevormundung?" _____________________________________________________________ Westerwelles Wortwahl wurde hernach von verschiedenen Liberalen kritisiert. Nun muss er bestimmt mit verschiedenen kritischen Fragen im Bundesvorstand rechnen. ___________________________________________________________________ Kommentar: Ich kann mir gut vorstellen, dass Westerwelle bewusst provoziert hat. So hört man wenigstens wieder von ihm. Leute die Schwarz weiss malen, punkten in der Regel beim eigenen Parteivolk. Anderseits ist in der heutigen Situation unklug - als Partei der Mitte - harte Fronten aufzubauen. Wer weiss, ob er nicht unverhofft mit den angeblichen Gegnern zusammen regieren muss. In Deutschland ist derzeit alles offen.

Donnerstag, 21. Juni 2007

Kinder drehen Kinderpornos __________________________________________________________________ Fortsetzungsgeschichte "Jugendliche und das Handy" __________________________________________________________________ Über ein Dutzend Schüler im Zürcher Oberland filmten laut Nachrichtenmagazin «Facts» mit Handys beim Gruppensex. Wir haben bereits darüber berichtet: Die multimediale Demütigung des Anderen ist laut verschiedenen Experten zum Volkssport geworden. Und immer mit dabei an der vordersten Erniedrigungsfront: Das Handy als Tatwaffe. Die zunehmende Brutalität wird mit der Verrohung durch die permanente Gewaltgewöhnung erklärt. _____________________________________________________________ «Absolut krank und verabscheuenswürdig» (Quelle 20 Minuten) ___________________________________________________________________ Als sich ein Mädchen bei der Schulleitung beklagte, dass sie auf dem Schulhof sexuell bedrängt wurde, schöpften die Verantwortlichen Verdacht. Die Befragungen und Schilderungen von Schülern, Lehrern und Eltern ergaben ein so schockierendes Ausmass an sexuellen Aktivitäten, dass Schulleiter Walter Wolf umgehend den Krisenstab zusammenrief. «Es besteht der erhärtete Verdacht, dass die Schüler in Gruppen Oralsex praktiziert und mit den Handys gefilmt haben. Diese Filme wurden wie Trophäen auf dem Pausenhof herumgezeigt», erklärt Wolf in einem Artikel der morgigen Ausgabe des Nachrichtenmagazins «Facts». 14 Schüler wurden von den Kantonspolizisten aus den Klassen geholt. Die 13- bis 16 jährigen Jungen mussten ihre Handys abgeben. Bis jetzt wurden mindestens zwei verschiedene Filme mit sexuellem Inhalt sichergestellt, wie die Polizei bestätigte. Falls darauf Minderjährige bei sexuellen Handlungen zu sehen sind, gelten die Streifen als Kinderpornografie und fallen unter die entsprechenden rechtlichen Bestimmungen. ____________________________________________________________________ Sexparties mit den Jugendlichen aus den Nachbarorten ____________________________________________________________________ Was alles auf dem Schulareal und was ausserhalb stattfand, ist noch unklar. Laut Schulleitung hätten die Jugendlichen aber regelmässig mit Schülerinnen und Schülern aus anderen Gemeinden Sexpartys gefeiert und auch da gefilmt. Schockiert war Walter Wolf von der Coolness, die mehrheitlich ausländischen Knaben bei der Befragung an den Tag gelegt hätten. (Früher hätte man den Hinweis über den Anteil der Ausländer nicht schreiben dürfen. Begründung: Dies schüre Ausländerhass. ) Ausserdem habe er über die Tatsache gestaunt, dass viele Schüler offensichtlich schon lange von den sexuellen Handlungen wussten. Wie viele Mädchen mitgemacht haben, wird noch ermittelt. Zurzeit weist alles darauf hin, dass sie sich freiwillig auf die Sexpraktiken eingelassen haben. Aber auch das wird noch abgeklärt. Die Mädchen und die 14 verdächtigten Schüler müssen an einem Informationsabend mit Eltern und Schülern antreten. ____________________________________________________________________ Kommentar: Bei derartigen Geschichten ist das Dramatisieren ebenso falsch, wie das Kleinreden, Beschönigen, das Wegschauen, das "Nicht- wahr- haben- wollen". Als Medienpädagoge vertrete ich die Meinung, Jugendlichen sollten mit den neuen Medien umgehen lernen. Ihnen müssten auch die Folgen ihres Tuns laufend bewusst gemacht werden. Elternhaus und Schule haben Flagge zu zeigen und beim Ueberscheiten der Grenzen konsequent zu handeln.

Samstag, 16. Juni 2007

Sarkozys "Wodka Video" und die Nachsicht der Medien _______________________________________________ Royals Fehltritte wurden von den Medien stets detailliert und genüsslich ausgewalzt. Frankreichs Medien kuschten hingegen, als der neugewählte Präsident auf dem Heiligendammer Gipfel mit Schlagseite gesehen wurde. Beobachter fragten sich vor Ort: War er betrunken oder einfach nur in Hochstimmung? Zur Geschichte: Es ging um ein minutenlanges Video, das Sakoszy nach dem Treffen mit Putin zeigte und unverhofft im Internet veröffentlicht worden war. Der französische Präsident wurde in derangiertem Zustand aufgenommen. Mit tapsigen Schritten näherte er sich dem Rednerpult, setzte ein schiefes Grinsen auf, schwankte, hampelte, wirkte umnebelt. Ohne diese Videoaufnahme, die im Internet publiziert wurden, hätten die französischen Medien davon sicherlich kein Sterbewörtchen erwähnt. Das offizielle französische Fernsehen zeigte jedenfalls den Präsidenten erst später, nachdem er sich gefasst hatte und Fragen korrekt beantworteten konnte. Auch in den Zeitungen war nichts zu vernehmen von dem peinlichen "Ausrutscher". Erst nach der Veröffentlichung des "beschwipste" Präsidenten im Internet brachen die Dämme in den Medien. Das Video beschäftigte jetzt plötzlich viele Franzosen. Der belgische TV- Moderator Eric Boever bemerkte ausgenzwinkernd: Beim gemeinsamen Essen mit Putin sei offensichtlich "nicht nur Wasser getrunken" worden. Diese Bemerkung machte sofort die Runde im Internet . Der "beschwipste Sarkozy" wurde zum Top-Thema. Das offizielle Paris war hingegen schwer pikiert. Die Wogen gingen so hoch, dass sich der belgische Fernsehmann bei der französischen Botschaft entschuldigen musste: Er liess verlauten, er habe in keiner Weise das französische Nationalgefühl verletzen wollen. Es ist bekannt, dass der französische Präsident kaum Alkohol zu sich nimmt. Grund: Er hat oft Migräne. Vor Monaten sagte er einmal: "Ich vertrage ihn nicht." Nur während des Wahlkampfes hat er ein einziges Mal öffentlich zwei kleine Höflichkeitsschlucke Weisswein genehmigt. __________________________________________________________________ Kommentar: Im Internetzeitalter können "Ausrutscher" kaum noch geheim gehalten werden. Selbst in totalitären Systemen wird es mit der Zensur immer schwieriger. Ein "beschwipster" Präsident ist zudem ein dankbares Medienthema. Es erfüllt alle Kriterien eine Mediengeschichte: Es geht um Persönliches. Es ist etwas Aussergewöhnliches, die mediengerechte Geschichte wird somit vom Publikum gerne konsumiert, obschon dieser "Ausrutscher" wenig zu tun hat mit wichtigen politischen Entscheiden.

Mittwoch, 13. Juni 2007

Jugendliche iszenieren Gewalt _____________________________________________________________ Gewalt wird zum multimedialen Volkssport ________________________________________ Quelle 20 Minuten ____________________________________________________________________ Die Kriminialstatistiker verzeichnen einen rapiden Anstieg der Jugendgewalt. Nicht immer öfter wird zugeschlagen, aber immer brutaler. Und die inszenierte Demütigung des Anderen ist zum multimedialen Volkssport an Schulen und im Internet geworden. Immer mehr sehen wir an der Erniedrigungsfront: Das Handy spielt dabei eine zentrale Rolle. Ob Prügelfilme, Schlampen-Videos oder Lehrer-Mobbing, die multimediale Demütigung des Anderen ist zum Volkssport geworden. Ist die permanente Reizüberflutung und die zunehmende Vermischung von virtueller Computerrealität und Wirklichkeit verantwortlich für den Anstieg an schwerer Jugendgewalt? Die zunehmende Brutalität führt jedenfalls zu einer Abstumpfung, zur Verrohung, zur Gewaltgewöhnung. ____________________________________________________________ Zu den verschiedenen Aspekten der neuen „Gewaltdimension“: __________________________________________________________________ Jugendlich wissen oft gar nicht, was sie tun. Psychologen analysieren das neue Phänomen. Polizisten werden als Feuerwehr eingesetzt. Die ahnungslosen Eltern sind völlig überfordert. Die Lehrer verdrängen das Problem. Wer möchte schon zugeben, dass im eigenen Schulhaus Gewalt inszeniert wird. Eltern und Lehrer fühlen sich mitschuldig. Deshalb wird in der Regel das Problem kleingeredet. __________________________________________________________________ Beispiel auf einem Pausenplatz: Ein paar Tritte, ein Gerangel, ein Geschubse. Es war eine übliche kleine Prügelei, die sich die zwei Primarschülerinnen lieferten. Doch war da ein Junge. Der schrie mit aufgeregter Stimme: ___________________________________________________________________ «Schlag, ich will es aufnehmen, schlag, schlag!» __________________________________________________________________ Zwei Tage später wurde das Video nicht nur auf einer lokalen Internetplattform eifrig diskutiert, die prügelnden Mädchen wurden auf der Videobörse von Youtube einem potenziellen Millionenpublikum präsentiert. _________________________________________________________________ Eine zusätzliche Herausforderung _________________________________________________________________ "Mit dem Handy hat sich vieles verändert und wir haben es immer mehr mit diesem neuen Phänomen zu tun», sagte Rolf Stucker, Leiter des Jugenddienstes der Stadtpolizei Zürich. Das Handy ist zur Waffe einer ganzen Generation von Heranwachsenden geworden, allzeit bereit, das Leben festzuhalten. Freunde, Feinde oder Lehrer werden provoziert oder gedemütigt, bis die Szene im Kasten ist – derartige Fälle häufen sich. Schlägereien gab es auch früher. Doch die Inszenierung der Gewalt ist neu. Da castet ein junger Handyfilmer schon mal «den Fettsack von der dritten Klasse» ohne dass der etwas davon weiss, für eine Prügelei. Set und Szenen werden abgesprochen, damit der Film im Web Beachtung und Zuspruch findet. Und jedem der jungen Filmschaffenden ist klar: Gesucht sind krasse Bilder. Je demütigender desto besser. ___________________________________________________________________ Zur Klaviatur der Demütigungen ________________________________________________________________ Mit Jungs macht man Ekel- oder Prügelszenen, Mädchen werden in sogenannten «Schlampenvideos» vorgeführt. Wie etwa jenes Mädchen aus Zürich, das mit ihrem Freund schlief. Sie wollte das auch. Vielleicht wollte sie den Akt sogar aufnehmen. Doch nachdem sie sich von ihrem Freund trennte, hatte sie keinen Einfluss mehr über die Bilder. Der Film landete kurz darauf bei Youtube, wurde innert Kürze hunderte Mal angeklickt. «Danach galt sie im Quartier als Schlampe», sagt Stadtpolizist Stucker. Zwar wurde der Film auf Intervention der Eltern von den Youtube-Verantwortlichen vom Netz genommen. Doch da war es schon zu spät. Niemand kann sagen, auf wie vielen Festplatten der Film "für immer" gespeichert ist. ___________________________________________________________________ Mobbingdynamik ___________________________________________________________________ Wenn früher gemobbt wurde, so war wenigstens hinter der eigenen Haustüre Ruhe. Heute werden solche Bilder von der ganzen Welt geguckt. Psychologe Hermann Blöchlinger spricht von einer «massiven Mobbingdynamik»“, die mit den neuen Möglichkeiten entstanden sei. Er hatte bereits mit zwei Suizidversuchen von Jugendlichen zu tun, die keinen Ausweg mehr aus ihrem Dilemma sahen. Der Soziologe Ueli Mäder spricht von einer «modernen Form von Pranger» und einer «neuen Form der Selbstinszenierung». Bösartige jugendliche Angeber sind laut Mäder nicht neu. «Jeder hat das seit seiner Kindheit erlebt». Aber die Jugendlichen müssten heute viel mehr tun, um aufzufallen. ___________________________________________________________________ Die Skrupellosigkeit übersteigt die Vorstellungskraft von Erwachsenen ____________________________________________________________________ Mit nichts kann ein Jugendlicher mehr auffallen, als mit exklusiven Bildern, die jenseits jeglichen sittlichen Empfindens gemacht werden. Wer solche Bilder selber herstellen, weiterschicken oder sogar auf Youtube stellen kann, ist der vermeintliche König des Pausenplatzes. «Die Folge ist eine unglaubliche Skrupellosigkeit», findet Blöchlinger. Die Erwachsenenwelt musste sich zuerst einmal bewusst werden, dass Pornofilme oder brutale Bilder von Hinrichtungen oder Steinigungen von Jugendlichen konsumiert wurden. Sie hatten eine gewisse Faszination für die Heranwachsenden. Dass nun ihre Kinder selbst zu Regisseuren geworden sind, übersteigt die Vorstellungskraft vieler Erzieher. «Die Eltern haben keine Ahnung von diesen Möglichkeiten», sagt beispielsweise Herbert Siegrist von der Präventionsabteilung der Stadtpolizei Zürich. Zu diesem Schluss kommt er nach vielen Elternabenden, in denen er auf Aufklärungstour über die neuen Möglichkeiten von Handys und Internet ging. Ebenso überfordert seien die Lehrer. __________________________________________________________________ Lehrer als Opfer ___________________________________________________________________ «Viele Lehrer melden die Vorfälle gar nicht, weil sie Angst vor Racheakten haben», sagt Siegrist. In Widnau entdeckten Schüler kürzlich einen Schmäh-Clip gegen neun Lehrer. Zum Sido-Song «Schlechtes Vorbild» lief eine Diashow mit Fotos der Pädagogen. Die Kommentare dazu: «A...kriecher», «gruusigi Visage» oder «Mundgeruch, schwul gilt für die ganze Familie». Lehrer H. aus Bern kommt in der Diashow nicht vor. Doch die Freude am Unterrichten hat der erfahrene Pädagoge mittlerweile verloren. «Die Kinder provozieren heute im Unterricht bewusst. Bei einem Wutausbruch eines Lehrers zücken sie das Handy. Am Schluss steht der Pädagoge auf dem Internet». Lehrer H., der im Sommer in Pension geht, verrät anonym: «Wer weiss, was die Schüler sonst mit mir machen». :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: KOMMENTAR: Ich verstehe Schulleiter, die auf ihrem Schulhausareal ein Handyverbot durchsetzen. _____________________________________________________________ Nachtrag 14. Juni: Eine Fortsetzungsgeschichte, die illustriert, dass das Zeitproblem "Inszenierte Gewalt ernst genommen werden muss: ___________________________________________________________________ Die Schule ist aus, die Schüler gehen zum Veloständer vor dem Schulhaus. Eine Gruppe Jugendlicher bedrängt an diesem Schauplatz einen untersetzten Jungen: «Verstehst Du YouTube? Verstehst Du meine Sprache?», fragen sie in Schweizer Dialekt, während sie ihn mit ihren Kamerahandys umringen. Die Forderung der Kids an ihr Opfer: «In drei Sekunden musst du so lustig sein, wie du kannst.» Obwohl ihm die Szene sichtlich peinlich ist, macht sich der unfreiwillige Hauptdarsteller mit einer Grimasse zum Clown – grosses Gelächter rundherum. Der Film landet auf YouTube – in der Beschreibung wird das Opfer als «dummes, fettes Kind» bezeichnet. ___________________________________________________________________ «Das kommt auf YouTube Mann» ______________________________________________________________ So kommt es, dass die Demütigung des Jungen erst dann richtig beginnt, wenn sie überstanden scheint: Jetzt kann sich die ganze Welt die Szene anschauen, immer und immer wieder. Der unfreiwillige Filmheld wird womöglich auch in fünf Jahren noch als «dummer, fetter Junge» im Internet gebrandmarkt sein. Ähnliche Filme gibt es auf YouTube viele. Gerade unter Schülern scheint das Vorgehen verbreitet. Der Schweizer Handyfilm «döme gege andy» zum Beispiel zeigt eine harmlose Rauferei zwischen zwei Jugendlichen in der SBB. Der Kameramann amüsiert sich über die verrutschte Hose seines Kollegen – lachend sagt er: «Das kommt auf YouTube, Mann». _________________________________________________________________ Vorgeführte Lehrer ___________________________________________________________ Kein Wunder müssen Schüler an manchen Schweizer Schulen das Handy vor dem Unterricht abgeben (Gemäss unserer Empfehlung) . Denn Filme mit gedemütigten Kids sind sehr beliebt. Doch auch die Lehrer bleiben nicht verschont, davon zeugen Videos wie etwa «Der arme Lehrer». Gezeigt werden zum Beispiel Wutausbrüche der Unterrichtenden, oder Situationen, in denen der Lehrperson die Kontrolle über die Klasse entgleitet. Auch früher gabs Schlägereien oder peinliche Momente. Doch die Veröffentlichung der Aufnahmen verlängert den Moment einer psychischen und oder physischen Demütigung bis in die digitale Unendlichkeit. Kompromittierte Schüler und Lehrer sind dadurch schnell einmal bis ans Ende einer Schulzeit gebrandmarkt. Zwar sind längst nicht alle Gewaltdarstellungen auf YouTube echt: Viele Kämpfe sind inszenierte Shows, welche allein wegen des Vorhandenseins einer Kamera – und potentieller Zuschauer auf YouTube – stattfinden. «Hey, das tun wir auf YouTube» ist ein oft gehörter Satz. ___________________________________________________________________________________ Beurteilung: «Sehenswert» _________________________________________________________________________ Viele Zweikämpfe und Schlägereien in- und ausserhalb der Schule finden ihren Weg auf das Videoportal. Als Beispiel sei hier ein Clip erwähnt, der sich auf einer Wiese abspielt. Zu sehen sind zwei jugendliche Kämpfer, beobachtet von einigen Schaulustigen. Sie schlagen sich mit den Fäusten ins Gesicht – nach einem Volltreffer geht der Eine KO. Der Sieger schreit den Bewusstlosen an, und ein Zuschauer meint: «Scheissegal, komm, (er hat) verloren, gib ihn Eine» – prompt verpasst der Kämpfer dem reglosen Opfer mit voller Wucht einen Tritt. Ein anderer Zuschauer sagt «hey, er ist am Boden, Mann», worauf ein weiterer entgegnet: «Na und jetzt?». Dieses Video – mit völlig unbekannten Darstellern und miserabler Qualität – hat schon über 84'000 Zuschauer gefunden. Es ist beileibe kein Einzelfall: Ähnliche Schlägereien gibt es auf dem beliebtesten Videoportal der Welt zuhauf. Ein Film, in welchem ein Mädchen ein anderes vor vielen Schaulustigen während mehrerer Minuten mit der Faust immer wieder mitten ins Gesicht schlägt, wurde von über 200'000 Usern geschaut. Durchschnittliche Beurteilung: «Sehenswert». Eine weitere Kategorie von gewalttätigen Filmen, die auf dem Videoportal zu finden sind, kommen aus dem Bereich der Streetsfights. Hier schlagen sich Profi-Kämpfer die Köpfe ein, bis das Blut spritzt und die Knochen brechen. Gewalt bleibt trotz Verbot lange auf YouTube All diese Videos verstossen gegen die Nutzungsbedingungen von YouTube (siehe Infobox) - das Portal versteht sich als Sex- und gewaltfreier Ort. «Deutliche und willkürliche Gewalt ist nicht erlaubt», steht in den Richtlinien. Bei den meisten Gewaltvideos heisst es denn auch, dass sie «Inhalt enthalten könnten, welcher nicht für alle User geeignet ist, wie die YouTube-Community gemeldet hat» - doch mit einem Klick auf ein Bestätigungsfeld erhält man trotzdem Zugang zum Video, vorausgesetzt, man hat bei der Anmeldung ein Alter von über 18 Jahren angegeben. YouTube behauptet auf der Seite zwar, dass sämtliche als regelwidrig gemeldeten Videos evaluiert und gegebenenfalls entfernt würden. Das scheint für die vielen Hooligan-Schlachten, blutigen Streetfights und sonstigen Schlägereien nur bedingt zu gelten. Der erwähnte brutale Mädchenkampf etwa, von über 200'000 Zuschauern angesehen, wurde längst gemeldet. Er ist seit März 2006 auf YouTube.

Montag, 11. Juni 2007

EU-Kommissar Günter Verheugen im Gegenwind _________________________________________________________________ Der Druck auf den deutschen Politiker Verheugen wächst. Schon einmal hatte er sich gegen Vorwürfe (Verdacht auf Günstlingswirtschaft) zu wehren. Nun wird es noch enger für den Europa Abgeordneten. Nachdem der verheiratete Politiker im Turtelurlaub mit seiner Kabinetts-Chefin Hand in Hand gesehen wurde (Er hatte sie vorher zur Leiterin des persönlichen Stabes befördert - mit einem Monatsgehalt von 11500 Euro), wehrte er sich mit den Worten: __________________________________________________________________ "Es bestand keine über Freundschaft hinausgehende Beziehung, als diese Ernennung erfolgte. so ist die Situation auch heute!" __________________________________________________________________ Für Verheugen sollte diese Erklärung ein endgültiger Befreiungsschlag aus der selbstverschuldeten Krisensituation sein. Nun bekam der Verdacht der Günstlingswirtschaft letzte Woche erneut Nahrung. Die "BUNTE" veröffentlichte eine aktuelle Foto, auf welcher der SP Politiker nach Dienstschluss die Brüsseler Wohnung von Petra Erler betritt und mit weitern Bildern belegte, dass am Morgen die Chefbeamtin ihren Chef mit ihrem Auto zur Wohnung des Chefs zurückfuhr. Veheugen liess über den Sprecher erneut ausrichten, dass seine Beziehung zur Kabinettchefin nicht über die Feundschaft hinausgehe. Für viele Politiker ist Verheugen damit nicht mehr tragbar. So wie Wolfewitz aus ähnlichem Anlass zurücktreten musste, finden die Kritiker: Verheugen muss jetzt auch zurücktreten. Der Vorwurf der Begünstigung ist nun gegeben. Wie will jetzt der angeschossene Politiker vor dem Bundestag die neusten Zweifel ausräumen? Verheugen denkt gar nicht daran, vor dem Bundestag die Vorwürfe zu entkräften. Stattdessen kündigt er rechtliche Schritte gegen die "BUNTE" an. Bereits im Dezenber hatte er die Veröffentlichung von Fotos verhindern können, die "FOCUS" vorlagen. Die Fotos zeigten den Kommissar mit seiner wichtigsten Mitarbeiterin - angeblich nackt - an einem litauischen Ostseestrand. Auch Angela Merkel erachtete damals diese Geschichte als Privatsache. ___________________________________________________________________ KOMMENTAR: Es ist sicherlich gut, wenn sich Privatpersonen gegen das Publizieren von Bildern aus der Privatsphäre wehren. Doch muss sich ein Mann der Oeffentlichkeit stets bewusst bleiben, dass auch "nicht publizierte Bilder" seiner Reputation schaden können. Obwohl niemand nachweisen kann, was der Politiker die ganze Nacht bei seiner Untergebenen getrieben hat - Es wäre durchaus denkbar, dass die beiden intensiv gearbeitet hatten und wichtige Dinge besprechen mussten. Verheugen hat möglicherweise sogar in einem separaten Zimmer genächtigt. Tatsächlich ist es so: Was der Politiker getan hat, ist seine Privatsache. Dennoch müsste ein Politiker stets darauf bedacht sein, dass er - als Person der Oeffentlichkeit - nicht alles tun und lassen kann, so wie es ihm beliebt. Besonders in seinem angeschlagenen Zustand ,weil es um den Ruf geht, um den Vorwurf der Begünstigung! Verheugen müsste gelernt haben: Journalisten wie auch die Oeffentlichkeit machen sich aus derartigen Geschichten ihren eigenen Reim . Wir finden: Die jüngste Krise hat der Politiker selbst verschuldet. Er handelte völlig naiv und unklug. Jetzt muss er aufpassen. Es wird für ihn eng, obwohl noch nichts bewiesen ist. Es geht aber um seinen persönlichen Ruf , um sein Image. Es ist nun interessant, mit zu verfolgen, wie sich Verheugen nach diesen Vorkommnissen und mediengerechten Klatschgeschichten aus der engen Ecke befreien kann. Es wird jetzt nicht mehr so einfach sein. Denkanstoss für die Leser: Was würden Sie dem angeschlagenen Politiker raten?

Sonntag, 10. Juni 2007

Wer ist der Schwarze Block? _________________________________________________________________ (Gedanken nach den G8 Gewalttaten) __________________________________________________________________ Sie sind vermummt (können anonym agieren), schrecken vor keine Gewalt zurück. Sie organisieren sich über Handys und Internet.Wenn jemand verhaftet wird, befreien sie sofort ihren Kollegen, indem sie sich wie Ameisen auf den Polizisten stürzen. Sie haben Juristen im Hintergrund, die gegen die staatliche Gewalt unverzüglich Klage erheben. Wird ein Polizist mit einem Stein verletzt, lässt sich der Täter kaum eruieren. Werden doch Gewalttäter des Schwarzen Blockes verhaftet, wird die Polizei eingeklagt. Die Haft sei unmenschlich. Man habe sie in Zellen zusammengepfercht usw. Es heisst meist nachträglich: Die Polizei habe provoziert, weil sie beispielsweise Helme getragen habe. Der Einsatz sei unverhältnismässig gewesen. Der Schwarze Block hat es vor allem auf Medienpräsenz und gute Actions abgesehen. Im Spiegel online entdeckten wir einen Versuch, diesen schwarzen Block von einer anderen Seite zu beleuchten. Interessant ist jedenfalls, wie wenig wir - auch professionelle Sozialforscher des Protests - über die sogenannten Autonomen Genaueres wissen. Woher kommen sie eigentlich? Gibt es sie überhaupt noch in beträchtlichem Umfang? Aus welchen Klassen, Schichten, Bildungsmilieus rekrutieren sie sich? Wie gut oder schlecht sind sie tatsächlich organisiert; was exakt wollen sie denn nun erreichen? Was ist ihr Projekt, ihre Idee, ihr Ziel? Wer sind ihre Anführer oder Chefideologen? Vor allem aber: Spielen dergleichen Dinge für sie überhaupt eine Rolle? __________________________________________________________________ Man weiss es nicht so genau. Dennoch gibt es einige Hinweise, dass selbst diejenigen, welche sich zu dieser Szene rechnen (Mitgliederausweise gibt es keine), konkrete Antworten geben können. Wo der Wurf des Pflastersteins den koitalen Gipfelpunkt des Protest bedeutet, gilt die dürre intellektuelle Begründung nicht einmal als lohnenswertes Vorspiel. __________________________________________________________________ Der Schwarze Block als "Mob"? ____________________________________________________________ Franz Walter, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Göttingen hat sich mit dem jüngsten "Mob" beschäftigt. Bei KiWi ist jetzt sein Buch "Träume von Jamaika" erschienen. Hierzu zählten die Tagelöhner, Bettler, die Armen und Ausgeschlossenen, die sich immer wieder, aber ganz erratisch zu militanten Protesten zusammenwürfelten. Charakteristisch war die direkte Aktion, die spontane Erregung, der jähe Aufruhr. Und bezeichnend war ebenfalls, dass es dafür keine festen Organisationsformen gab, erst recht keine ideologischen Zielsetzungen, kein politisches Programm. Der "Mob" tumultierte; er reflektierte und räsonierte nicht. "Der Revolutionismus des 'Mobs' war primitiv", lautet daher das Urteil des marxistischen Sozialhistorikers Eric Hobsbawm, eines Experten auf dem Gebiet geschichtsträchtiger Rebellionen. Der "Mob" aus der Zeit vor der Industriegesellschaft erhob sich für einige Tage, machte tüchtig Krawall, zündelte hier und randalierte dort, verlor aber alsbald die Energie und Lust - und versank danach für längere Zeit in pure Inaktivität. __________________________________________________________________ Der Autonome, das unbekannte Wesen ____________________________________________________________ Franz Walter im Spiegel schreibt: Der neue "Mob" agiert nach der Droge der direkten Aktion. Die politischen Repräsentationen und hochzentralisierten Organisationszüge der Industriegesellschaft, der Arbeiterbewegung und ihrer Parteien schwinden seit einem Vierteljahrhundert rapide. Der Entstrukturierungseifer der postindustriellen Gesellschaftseliten hat politische Repräsentationen beschädigt, öffentliche Güter dezimiert, intermediäre Brücken zwischen Gesellschaft und Staat abgebrochen, Bindungen gelockert - und so kulturell-soziale Hohlräume der Integration hinterlassen. Wo immer in den vergangenen zwanzig Jahren in Europa unorganisierte und unvorhergesehene Krawalle ausbrachen, dort wird man verlässlich auf solche gesellschaftliche Leerstellen, auf entbundene Räume, sodann auf die Rückkehr des "Mobs" treffen. __________________________________________________________________ Und wo die Zukunftsversprechen der traditionellen Organisationen und Ideologien verschwunden sind, da kehrt der Kult des Augenblicks, die Befriedigung der Unmittelbarkeit, der Endorphinenausstoss der direkten Aktion zurück. In diesen Aktionen erfährt der sonst Ohnmächtige einen kurzen, aber berauschenden Moment der Macht. Er sieht die Angst, den Schweiß, die Panik im Gesicht des verhassten Gegners. So wird der Strassenkampf zum Fest, die Gewalt zur Orgie gefühlter Omnipotenz. ____________________________________________________________ Politisch wird der postindustrielle "Mob" nicht ernst genommen, sozial sind etliche darunter marginalisiert, aber nun stehen sie im Mittelpunkt der Medienaufmerksamkeit, sind Helden in den Aufnahmen der Strassenschlachten. Natürlich fehlt dann auch nicht das uralte Symbol des Feuers, das Licht in die Dunkelheit einer verabscheuten Gegenwart bringen soll, das alles Böse auslöscht, jegliche Privilegien in Asche verwandelt - auf diese Weise, für die Stunden des "Kampfes" jedenfalls, die ersehnte Egalität herstellt. ___________________________________________________________________ Auch die Medien lieben alle diese Bilder: Flammen, Kämpfe, zertrümmerte Autos, Schurken und Helden, die uniformierten Guten und die vermummten Bösen. Insofern trägt auch die Mediengesellschaft zur Wiederkehr des "Mobs" bei. ____________________________________________________________ Das Gefährliche ist: _________________________________________________________________ Die Gier des "Mobs" nach immer stärkeren Drogen der direkten Aktion, das Interesse der Medien an neuen, die Emotionalitäten noch verstärkenden Events der Provokation - all das enthält eine innere Dynamik der Dosissteigerung. ____________________________________________________________ Kommentar: Was uns zu denken gibt, ist die Interaktion "Schwarzer Block und Medien". Je präsenter die Autonomen (Chaoten) sind, je mehr sie mit der staatlichen Gewalt "Katz und Maus" spielen können. desto attraktiver sind sie auch für all jene Jugendliche, die sich Langweilen oder aus irgend einem Frust gerne dreinschlagen wollen. Wie am 1. Mai kommt es gleichsam zu einer Tradition der Gewalt und damit zu einem ungeschriebenen Recht, Kravall zu machen, Schaufenster einzuschlagen, Autos anzuzünden, Polzisten mit Steinen zu bewerfen d.h. an bestimmten Tagen oder betimmten Anlässen Gewalt auszuüben, die selten geahndet wird. Dem Schwarzen Block sind politische Anliegen nur Vorwand, Gewalt auszuüben. Wenn dann die Polizei Ruhe und Ordnung durchsetzen muss, und es Verletzte gibt und einzelne Pannen. Dann nutzen die Chaoten diese heiklen Situationen schamlos aus und bringen es in der Regel geschickt fertig, nachträglich den Spiess umzudrehen und die Polizei auf die Anklagebank zu zwingen. Ich habe in Zürich autentische Aufnahmen gesehen, bei denen Polizisten mehrmals ins Gesicht gespuckt wurde und sie sich minutenlang als "Bullenschweine" beschimpfen lassen mussten. Die Einsatzkräfte wurden vorher trainiert, Frust auszuhalten und sich nicht provozieren zu lassen. Als dann ein junger Polizist doch noch die Wut packte und plötzlich heftig zurückschlug, wurden die Kameras gezückt und die Aufnahme veröffentlicht (als Beweis, dass die Polizei unverhältnismassig reagiert hatte). Wir sind uns des Dilemmas bewusst: Die Presse hat einerseits eine Informationspflicht zu erfüllen und darf Tatsachen nicht totschweigen. Anderseits muss sie Zurückhaltung üben im Publizieren der Erfolgsbilder der Randalierer. Dies ist und bleibt für Journalisten eine heikle Gratwanderung. _____________________________________________________________ Nachtrag: (10.6.07) Bei Sabine Christiansen wurde am Sonntagabend über die Ausschreitungen am G8 und den Einsatz der Polizei heftig diskutiert. Es war genau so, wie wir es prognostiziert hatten: Die Befürworter der Demonstranten machten die Polizei für das Caos verantwortlich und gingen auf die angeblich unmenschlichen Haftbedingungen ein. Von den 400 verletzten Polizisten keine Rede mehr. Die Juristin der Demonstranten lenkte die Diskussion ständig auf die sogenannte Käfighaltung und dem unangemessenen Verhalten der Polizei (Die gefangen genommenen Gewalttäter wurden gefesselt und rund um die Uhr mit einer Videokamera überwacht). Nicht die Gewalttäter - die Polizisten sassen für sie auf der Anklagebank. Nur zwei Teilnehmer zeigten Verständnis für die Arbeit der Ordnungshüter. Der Staat wäre verpflichtet gewesen, für die Ordnungsorganen die notwendigen Mittel zu sprechen. (Veraltete Kommunikationsmittel, Ablösungen waren der Bestände wegen nicht mehr möglich, Ruhezeiten konnten nicht eingehalten werden, Verpflegungsprobleme usw.) Sabine Christiansen hatte doppelt so viel Gesprächsteilnehmer eingeladen, die eindeutig die Position der Demonstrierenden unterstützt hatten. Aus meiner Sicht war die Runde zu einseitig zusammengestellt worden. Da die resolute Verteidigerin der Globalisierungsgegner dem Polizeisprecher ständig ins Wort fiel, hatten die zwei "Anwälte der Polizei" einen schwierigen Stand. Immerhin konnte der Polizeivertreter noch darlegen, dass sich die Ordnungshüter nicht steinigen lassen müssen. Auch die Polizei habe ein Recht auf Unversehrtheit. Wenn sich Demonstranten nicht friedlich verhalten, so müsste die Staatsgewalt auch angemessene Möglichkeiten haben, sich durchzusetzen und sich zu verteidigen. Unter Umständen - vor allem in derart extremen Situationen - mit Geschossen, die Distanz schaffen, evt. auch schmerzen oder Schürfwunden geben können. Es war aufschlussreich zu erfahren: Da damit gerechnet werden muss, dass nachträglich die Polizei mit Klagen eingedeckt wird , sind die Sammelstellen der Arretierten rund um die Uhr bewusst gefilmt worden. Damit könnte nachträglich festgestellt werden, ob jemand tatsächlich menschenunwürdig behandelt worden ist. Ohne Videobeweis würden sonst den Polizeikräften die übelsten Geschichten unterstellt. Der verbale Schlagabtausch bei Christiansen machte deutlich, dass es nicht nur schwierig ist, friedlich zu demonstrieren. Es scheint noch viel schwieriger zu sein, einander zuzuhören. Sabine Christiansen wird zwar nicht mehr lange moderieren. Wir finden es dennoch schade: In dieser Sendung (vor dem baldigen Abgang) entglitt der Fernsehfrau die Federführung. Sie sass über Strecken hilflos da und war nicht mehr fähig, das Gespräch zu beeinflussen. Sabine Christiansens Geschnatter reizte die Teilnehmenden, das Wort an sich zu reissen. Mit der Folge, dass über weite Strecken mehrere gleichzeitig redeten.

Samstag, 9. Juni 2007

Klaus J. Stöhlker als PR Berater, Medientrainer und Moderator ________________________________________________

Führt die Rollenvermischung zu Interessenkonflikten? ___________________________________________________________________

Im PERSOENLICH.COM gelesen: __________________________________________________________________

20 Kunden in seine Talk-Show gebracht ____________________________________________________________

PR-Unternehmer Klaus J. Stöhlker ist mit seiner Talkshow auf dem Privatsender U1 in die Kritik geraten. Wie der Tages-Anzeiger am Freitag berichtet, habe Stöhlker zahlreiche Kunden seiner PR-Firma als Talkgäste in die U1-Show eingeladen und so Rollen und Interessen vermischt. Ausserdem hätte die FDP dem bekannten PR-Mann das Beratermandat entzogen.

Klaus J. bittet jeden Mittwoch einen Gast zum "Stöhlker Talk" und befragt ihn zu aktuellen Geschehnissen und zur eigenen Person. Auffällig ist laut Tages-Anzeiger, dass während des letzten Wahlkampfs viele FDP-Politiker von Stöhlker begrüsst wurden: Regierungsratskandidat Thomas Heiniger, sowie die Kantonsräte Gabriela Winkler, Carmen Walker Späh und Hans-Peter Portmann. Prekär: zu dieser Zeit stand Stöhlker gleichzeitig im Dienst von U1 und der kantonalen FDP. ____________________________________________________________________

Medientraining und Praxistest

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"Das war keine Propaganda", lässt sich Stöhlker in der Causa vom Tages-Anzeiger zitieren. Bei den Talks mit den FDP-Politikern sei es schliesslich um Sachthemen gegangen. Und: In der SF-Sendung "Club" seien einmal auch ausschliesslich SP-Vertreter eingeladen worden. Ausserdem habe er auch schon Politiker anderer Couleurs zu Gast gehabt, zum Beispiel Ruth Genner von den Grünen oder den SP-Politiker Mario Fehr. Laut Tages-Anzeiger liegen diese Talks aber lange zurück.

Geld für die Auftritte sei seitens der FDP keines geflossen. Wohl aber bezahlt habe die Partei für ein Medientraining, das Stöhlker für die FDP-Kandiaten in den U1-Studios durchgeführt hätte. Was lag also näher, als das neu erworbene Wissen auch gleich im TV umzusetzen, fragt man sich an der Werdstrasse.

Inzwischen ist die Zusammenarbeit zwischen Stöhlker und der FDP beeendet, wie die Partei bestätigt. Zu den Gründen wurde nichts bekannt. Laut Tages-Anzeiger ist es aber kein Geheimnis, dass Stöhlkers Arbeit in der Partei umstritten war. Eine missglückte Leserbrief-Aktion und Stöhlkers Hang zur Selbstinszenierung hätten ihm viele Gegner eingebracht.

Die FDP sei aber nicht der einzige Kunde gewesen, der von Stöhlkers Doppelrolle als Talkmaster und PR-Berater profitiert hat, denn immer wieder scheinen Kunden auf der Gästeliste vom Talk auf. Laut Stöhlker waren höchstens 20 der bisher 140 Gäste Kunden der Stöhlker AG. Das sei unproblematisch, solange es sich bei den Gästen um interessante Leute handle.

Für den Sender U1 ist die Vermischung von Journalismus und PR indes kein Problem. Eine Sprecherin gibt gegenüber dem Tages-Anzeiger an, dass der Sender keinen Einfluss auf die Wahl der Gäste beim "Stöhlker Talk" nimmt und auch nicht weiss, wer Kunde der Stöhlker AG ist. Einfluss nehmen will der Sender auch deshalb nicht, weil es sich bei der Talkshow um eine Gegengeschäft handle: Stöhlker erhält mit der Sendung eine kostenlose Plattform für sich und seine Kunden, und U1 kommt zu einer kostenlosen Sendung.

Kommentar: Aus unserer Sicht lohnt es sich, die verschiedenen Rollen strikte zu trennen. Ich kenne verschiedene professionelle Medienberater, die eine derartige Vermischung immer strikte ablehnten.

Mittwoch, 6. Juni 2007

Lehrer können nicht alles im Griff haben __________________________________________________________________ Nachdem sich zwei Sechsklässler im Unterricht bewusstlos betrunken hatten, ist es für Schulpäsident Ruegg klar: Schuld sind primär die Eltern (Quelle BLICK vom 5.6.07) ___________________________________________________________ Die Fachstelle für Alkohol - und Drogenprobleme hat Zahlen, die beweisen, dass unsere Jugend säuft, wie noch nie. 50 Prozent der befragten 13 Jährigen gaben 2007 an, im letzten Monat Alkohol getrunken zu haben. Selbstverständlich kann dieses aktuelle Problem nicht nur von den Lehrkräften allein gelöste werden. Die Eltern müssten bei Erziehungsproblemen auch mitwirken (Leider sind jedoch heute die Eltern tagsüber kaum noch da). Die Fremdbetreuung wird gefördert. Eltern, welche die Kinder sich selbst überlassen und die Betreuung delegieren , sind gar nicht in der Lage, vereinbarte Regeln persönlich zu überprüfen. Im Grunde genommen müssten Schülerinnen und Schüler auch nachhaltig spüren, dass es Grenzen gibt und diese gelten! Leider werden zu schnell die Augen zugedrückt. Eine Behörde befand nach einer Trinkorgie von Primarschülern: "Die betrunkenen Schüler werden wir nicht bestrafen, denn sie sind ja bestraft genug. Sie mussten erbrechen und wurden in eine Intensivstation eingeliefert." Wir finden: Wenn die Jugendlichen merken, dass das Nichteinhalten der Regeln keine weiteren Folgen mehr hat, so muss man sich auch nicht wundern, wenn in Leserbriefen Begriffe wie KUSCHELPAEDAGOGIK und LAISSER- FAIRE - Mentalität kolportiert werden. Wer sich mit Erziehungsfragen befasst, müsste lernen, die Balance zu finden zwischen Konsequenz und Flexibilität. Hedonismus darf nicht das Leitbild unserer Schule sein. Wer A sagt zu Kindern müsste auch B sagen zur Erziehungsaufgabe.

Freitag, 1. Juni 2007

Sepp Blatter - ein eitler Vielredner? __________________________________________________ Im Tagesanzeiger vom 10. Mai wurde Sepp Blatter - der Fifa Präsident, vor der Wahl von Honigstein, vom einem freien Journalisten, kritisch beleuchtet. Titel: _____________________________________________________________ "Blatter, die Eitelkeit eines Vielredners". _____________________________________________________________ Wir hatten schon vor Jahren Sepp Blatters Fussballrhetorik eingehend analysiert, als er sich gegen zahlreiche Vorwürfe behaupten musste. Er hatte übrigens damals nichts gegen die Bezeichnung "schlitzohrig". Er war sogar stolz, ein gerissener, raffinierter Walliser zu sein. Tatsächlich verstand er es immer wieder, mit geschicken Schachzügen, sich aus dem Schussfeld zu halten. Konkrete Fragen beantwortete er selten. Blatter liebt es, im Mittelpunkt zu stehen. Ist ihm jemand im Weg, versteht er es, die Person listig zu umtrippeln. Seitdem er die gefährlichsten Angriffe unbeschadet überstanden hatte, wagt es heute niemand mehr, sich dem "Papst des Fussballs" entgegenzustellen. Er ist unumstittener Herrscher über sein Weltreich und verfügt über enorm viel Macht und immense Geldsummen. Nur der schottische Verbandspräsident John McBeth wagt es weiterhin zu behaupten, 50 Prozent der Korruptionsvorwürfe , die der englische Journalist Andrew Jennings gegen Blatter vorwerfe, seien "fundiert". Von Sepp Blatter wird gesagt, dass er zu allem immer eine Meinung hat. Er könne jedes Thema am Leben erhalten. Das Reden falle ihm leicht. Die engl. Boulevardpresse spricht gerne von "Sepp Balhter" (blather= Gefasel, Gequatsche). Die Engländer lieben es, Autoritäten hart zu hinterfragen. Sepp Blatter liess jedoch - nach einer kritischen Reportage des BBC-Programms "Panorama"- Vertreter des Senders - aus einer Pressekonferenz entfernen. Sepp Blatter verliess bis anhin die Arena stets als Sieger. Sein Wort gilt. Blatters Worte werden überall ernst genommen. Er weiss dies genau. Dass der unangefochtene Herrscher des Fussballs noch eitler geworden ist, ist somit verständlich. Dass er aber als Vielredner andere zum Schweigen bringt, verstehen wir weniger. Unserer Prognose: Sepp Blatter wird weiterhin unangefochten als Regent der "wichtigsten Sache auf Erden" weiter regieren können. Auch während der nächsten vier Jahre wird es niemandem gelingen, dem gewieften Taktiker allfällige Korruptionen nachzuweisen. Falls dies jemand dennoch versuchen würde, müsste er damit rechnen, dass er zum Abschuss freigegeben wird. Wer will das schon?