Mittwoch, 5. Mai 2010

Publiziert am 05.05.2010

Zur Rhetorik von Fundamentalisten

Nicolas Blancho, Präsident des Islamischen Zentralrats Schweiz,  trat verschiedentlich in den Medien auf. Bild Key

Nicolas Blancho, Präsident des Islamischen Zentralrats Schweiz, trat verschiedentlich in den Medien auf. Bild Key

Islamisten hatten in letzter Zeit diverse Auftritte in Schweizer Medien. Ein Rhetorikfachmann hat die Argumentation der Fundamentalisten unter die Lupe genommen.

von Marcus Knill

In den letzten Wochen kamen Mitglieder des Islamischen Zentralrates in den elektronischen Medien immer wieder zu Wort («Club», «Arena») einzelne Exponenten mussten nachher in den Printmedien Red und Antwort stehen. In der Schweiz leben 400 000 Muslime. Die wenigsten sind organisiert, die meisten akzeptieren die Regeln unseres Rechtstaates und sind liberal. Dennoch herrscht in der Öffentlichkeit diffuse Angst vor einer Islamisierung, wie uns das Abstimmungsresultat bei der Minarett-Initiative bewusst machte. Anderseits kann nachgewiesen werden, dass einige radikale Fundamentalisten nicht mit offenen Karten spielen: Ein Geschäftspartner von Nicolas Blancho verschaffte beispielsweise einem Al-Kaida-Terroristen einen gefälschten Schweizer Pass, Blancho selber sympathisierte mit dem Heiligen Krieg. Auch der konvertierte Pressesprecher des Islamischen Zentralrates Schweiz, der Schaffhauser Qaasim Illi, jubelte bei Anschlägen der Palästinenser. Direkte Unterstützung oder kriminelle Handlungen konnten dem harten Kern aber nicht nachgewiesen werden.

Immer die gleichen Aussagen

Die Kernbotschaft der Fundamentalisten haben diese bei ihren zahlreichen Medienauftritten und Interviews ständig wiederholt: Vorwürfe gegen uns sind heisse Luft. Wir haben uns nichts zuschulden kommen lassen. Wir halten uns stets an die Regeln des Rechtsstaates. Wir schlagen unsere Frauen nicht. Sie tragen freiwillig die Burka. Wir halten uns an den Wortlaut des Korans und beanspruchen Religionsfreiheit in der Schweiz.

Gedankengut öffentlich diskutieren

Nach der Sendung «Club» im Schweizer Fernsehen über den Fundamentalismus wurde die Meinung vertreten, man sollte radikalen Islamisten in den Medien gar keine Plattform bieten. Nach meinem Dafürhalten ist es aber wichtig, das Gedankengut des Islamismus öffentlich zu diskutieren. Als Kommunikationsberater bin ich für Dialog und lehne Maulkorbpolitik ab. Andrerseits müssten sich aber die Gesprächspartner vorher mit der raffinierten Dialektik der Fundamentalisten auseinandersetzen, billige Ausweich-, Lenkungs- und Beschönigungstaktiken erkennen und sie in Diskussionen entlarven. Sie sollten auch den Mut aufbringen nachzufragen.

Steinigung von Frauen

In der letzten «Arena» vom 23. April gestattete Moderator Reto Brennwald erfreulicherweise den Kontrahenten (den Nationalräten Oskar Freysinger von der SVP und Gerhard Pfister von der CVP) nachzuhaken, damit die Fundamentalisten mit ihren geschickten Techniken den eindeutigen Fragen (die immer ruhig und überlegt vorgetragen wurden) nicht so leicht ausweichen konnten. Dazu ein Beispiel: Bei der Frage zur Steinigung von Frauen wurde Blancho gebeten, vor Mikrofon und Kamera offen zu bekennen, er lehne die Steinigung von Frauen ab. Trotz mehrfachen Nachfragens weigerte sich der Fundamentalist, dies zu sagen. Mit sonderbaren Analogien wich der Vertreter des Zentralrates der Islamisten der mehrfachen Aufforderung Freysingers aus.

Hartnäckiges Nachhaken

Die Journalisten der Redaktion des «Sonntags» hakten (in der Ausgabe vom 25. April) in einem Interview mit Nicolas Blancho hartnäckig nach. Ich zitiere: «Sonntag»: Sie haben sich nicht klar von der Steinigung distanziert. Wir geben Ihnen hier eine neue Möglichkeit. Blancho: Das islamische System benötigt bestimmte Rahmenbedingungen – also einen islamischen Rechtsstaat und so weiter. Rein vom System her ist Steinigung in der Schweiz nicht möglich. Wir haben hier eine andere Rechtsordnung, andere Grundsätze, einen anderen Aufbau der Rechtsordnung. Deshalb stellt sich die Frage nicht, deshalb bin ich in der «Arena» nicht darauf eingegangen. «Sonntag»: Nochmals: Sind Sie dafür oder dagegen? Blancho: Es hat keine Relevanz. Es ist für mich als Muslim ein Bestandteil, ein Wert der Religion. Aber es ist bei den gegebenen Umständen in der Welt und in der Schweiz nicht umsetzbar. Es ist eine ideelle Sache. «Sonntag»: Wir halten fest: Sie distanzieren sich immer noch nicht klar von der Steinigung. Blancho: Man kann auch nicht von irgendjemandem verlangen, dass er sich vom Zölibat distanziert. Oder von den Juden, dass sie sich vom Talmud distanzieren. Aber all diese Sachen bringen gar nichts, denn wenn jemand meint, dass etwas ein Glaubensbestandteil ist, dann hat es nichts mit der Ausführung zu tun, sondern ist ein Teil des Glaubens. Das kann man niemandem verbieten. (Ende Zitat)

Clevere Ablenkungstechniken

Dazu mein Kommentar: Auch bei konkretem Nachgreifen vernebelt der Befragte die Antwort immer wieder so geschickt, dass ein Laie gar nicht merkt, dass Blancho sich von der Steinigung der Frauen nicht distanzieren will, weil er die Steinigung als Wert seiner Religion betrachtet. In allen Themenbereichen verstehen es die islamischen Rhetoriker, den unangenehmen Fragen oder Argumenten mit cleveren Ablenkungstechniken auszuweichen. Die umstrittenen Exponenten geben sich in allen Diskussionen erstaunlich zahm, ungefährlich und angepasst. Leider mangelt vielen Journalisten oder Kontrahenten das Training, hartnäckig nachzufragen und sich nicht einnebeln zu lassen. Wie bei der Frage der Steinigung müsste man auch bei der Zwangsehe, der Teilnahme von Mädchen am Schwimmunterricht oder Klassenlagern den Fundamentalisten genauer auf den Zahn fühlen. Aus zuverlässiger Quelle habe ich erfahren, dass Qaasim Illi vor einem öffentlichen Auftritt von einem Teilnehmer gefragt worden ist, was er machen würde, wenn es in der Schweiz zu einem Burkaverbot kommen würde. Illi gestand, dass dann seine Frau zu Hause bleiben müsste.

Antworten bleiben diffus

In allen Diskussionen blieben die Antworten bei der Zwangsheirat und bei der Züchtigung diffus. Die Fundamentalisten konnten sich bei diesen Themen mit folgender Antwort retten: «Ich schlage meine Frau nicht!» «Meine Frau hat mich freiwillig geheiratet und trägt die Burka von sich aus.» Die Fundamentlistenrhetorik hat folgende Methoden:

– Sie haben meine Aussage aus dem Zusammenhang herausgerissen. – Sie sind nicht gläubig und können somit unsere Sicht gar nicht beurteilen. – Es gibt nur ganz wenige radikale Glaubensbrüder. Die schliessen wir aus. – Wir fühlen uns angegriffen. – Tatsächliche Geschehnisse sind aus der Sicht der Fundamentalisten aufgebauscht. – Sie wiederholen konsequent: Wir wurden nie verurteilt und halten uns hier an die Regeln. Nennen Sie uns einen Terroristen, der in der Schweiz einen Anschlag gemacht hat! – Das Volk kann nicht über Glaubensfragen (Minarett-Verbot) urteilen. Das Volk hat nicht immer recht. – Wir müssen Vereinbarungen über eine Reduktion von Gebeten nicht einhalten (Armee und Firmen). Dies gehört zur Religionsfreiheit. Firmen gewähren ja auch Rauchpausen. Man muss uns deshalb pro Tag 5 Gebete zubilligen (obschon eine Reduktion in einer Vereinbarung akzeptiert worden war). – Die Schweiz muss den Glauben der Fundamentalisten tolerieren (ständiges Pochen auf Glaubensfreiheit). – Auf die Intoleranz des Islam wird nicht eingegangen. – Kann jemand nachweisen, dass ein konvertierter Fundamentalist eine Flagge verbrannt hat, heisst es umgehend: Schauen wir doch nicht zurück. Wir müssen nach vorn schauen! – Wir lassen alle andern leben. Warum lasst ihr uns nicht leben?

Benennen und entlarven

Fazit: Bei Diskussionen oder verbalen Auseinandersetzungen mit radikal-islamischem Gedankengut ist es unerlässlich, sich sehr gut vorzubereiten, Fakten zu sammeln, gut zuzuhören und zu kontrollieren, ob Fragen konkret beantwortet werden. Es gilt zu fragen, fragen, fragen, nachhaken, nochmals nachfragen. Wir müssen lernen, die Ablenkungstechniken in den Antworten zu erkennen. Nur dann können sie benannt und entlarvt werden. Wer sich mit den Vernebelungsargumenten nicht gründlich befasst hat, erkennt die Unschärfen der geschickten Antworten nicht.

Marcus Knill ist Experte für Medienrhetorik und Autor des virtuellen Buches www.rheotrik.ch.

Die cleveren Drahtzieher des Islamischen Zentralrates

Der Vorstand des umstrittenen islamischen Zentralrates verstand es, während weniger Wochen sich eine überdurchschnittliche Medienpräsenz zu verschaffen und die Journalisten mit billigen rhetorischen Tricks in die Defensive zu verbannen.

Die kommunikativ geschulten Exponenten sind Profis im Umgang mit Medien.

Sie nutzen jeden Auftritt als Chance.

Sie provozieren, irritieren und verunsichern. Damit werden die Exponenten des fundamentalistischen Flügels für Journalisten attraktiv. Die "verkleideten" Gläubigen garantieren Einschaltquoten! Damit ist ihre Medienpräsenz gesichert.

Während Wochen wurden und werden sie von Sender zu Sender gereicht. Zeitungen publizieren Interviews mit den wenigen Extremisten. Die paar Exponenten erreichen nun - dank dieser Präsenz- - aussergewöhnlich rasch einen ungewöhnlich grossen Bekanntheitsgrad.

Bereits gibt es Stimmen, die finden, dass man endlich aufhören sollte , die Islam- und Burkathematik so breit abzuhandeln.

Trotz dieser Stimmen, die eine bewusste Zurückhaltung fordern, machen uns Leserbriefe und Blogbeiträge bewusst, dass die Bevölkerung unter einer diffusen Angst vor einer Islamisierung leidet. Ich bin überzeugt, dass dieses Rascheln im Blätterwald nur ein Vorbote eines grösseren Sturms der Entrüstung ist. Die Angst vor einer Islamisierung kann nicht mit den Vorbehalten gegenüber anderen Religionsgruppen ( wie Juden) gleichgesetzt. Es geht um Sonderrechte, um die Weigerung, sich zu integrieren (Integrieren wird laut Zentralrat mit ungerechtfertigter Assimilation gleichgesetzt). Wir müssen die Thematik ansprechen. Lehrkräfte haben längst erkannt, dass es im Alltag zu unüberwindbaren Schwierigkeiten kommt, wenn die Kompromissbereitschaft im Schwimmunterricht, in Klassenlagern, dem fünf maligen Beten fehlt.

Alle Bemühungen, die aktuelle Thematik zu verdrängen, könnte sich nach meinem Dafürhalten später rächen. Das Totschweigen würde zum Bumerang. Wer sich nämlich in der Bevölkerung umhört, merkt, dass bei diesen Problemen ein konkretes Unbehagen verbreitet ist, das nie genau erfasst werden kann.

Ich zitiere die Berner Zeitung:

Cleverness ist dem umstrittenen Vorstand des Islamischen Zentralrates nicht abzusprechen. Der Vorstand besteht aus sieben Männern. Mindestens der Präsident, Nicolas Blancho, beteuert immer wieder, dass er und sein Verein eigentlich zu den gemässigten, Konsens suchenden Muslimen gehören.

Indessen: Der Zentralrat will jetzt auch an vorderster Front gegen ein Verbot der Gesichtsverschleierung muslimischer Frauen kämpfen. Das zeigt eine auf der Homepage des Vereins neu aufgeschaltete Audiodatei. Zu erkennen ist die Stimme des Vorstandmitglieds Qaasim Illi.

Illi und seine Entourage gehen die Sache raffiniert an. Man ist sich im Zentralrat offensichtlich im Klaren, dass sofort der Vorwurf der Unterdrückung der Frauen laut würde, wenn der rein männlich besetzte Vorstand den Kampf gegen das Gesichtsverschleierungs-Verbot selber führen würde. Deshalb schicken Illi und seine Glaubensbrüder nun ausnahmsweise Frauen an die Front. Illi redet in seinem Aufruf den Frauen ins Gewissen.

«Seid kampfbereit»

Illi spricht explizit auch Musliminnen an, die keinen Gesichtsschleier tragen. Die Frauen seien es, die im Namen Allahs den Kampf gegen ein Burka-Verbot führen müssen, sagt er auf der Audiodatei. Wörtlich: «Es kann nicht sein, dass Männer in der Öffentlichkeit auftreten und mit Vehemenz das Kultusrecht auf Niqab- oder Kopftuchtragen einfordern.» Dies sei «nun definitiv Aufgabe der Frauen».

Es gehe nun darum, zu überlegen, «in welcher Art und Weise wir einem möglichen Gesamtschleierverbot in der Schweiz entgegenwirken können». «Seid im Namen Allahs standhaft aber auch kampfbereit», ruft Illi seiner Anhängerschaft zu.

Als Chefkämpferin stellt Illi in seinem Onlinevortrag seine Frau Nora vor: «So ergeht die Empfehlung des Islamischen Zentralrates Schweiz, dass sich Musliminnen ab sofort beginnen zu organisieren.» Und weiter erklärt Illi auf der Tonspur: Die Frauen «sollten sich auf die mögliche Debatte vorbereiten. Und um dies am besten zusammen zu tun, sollten sie sich bei unserer Frauenbeauftragten Nora Illi melden.»

Verhüllte Vorkämpferin

Illis Frau Nora ist wie ihr Ehemann selber auch nicht von Geburt auf Muslimin. Die heute 26-Jährige ist mit 19 zum Islam konvertiert. Sie verlässt ihre vier Wände nur mit jenem Gesichtsschleier, den Muslime Niqab nennen. Auf Anfrage dieser Zeitung schildert sie, wie wichtig ihr der Schleier ist: «Er ist für uns vergleichbar mit einer gottesdienstlichen Handlung der Christen.» Der Gesichtsschleier sei nicht, wie Politiker behaupten, ein mobiles Gefängnis. Im Gegenteil. Wenn es in der Schweiz ein Schleierverbot gäbe, käme dies für sie einem Ausgehverbot gleich. Denn ohne Schleier wolle sie das Haus nicht verlassen, sagt Nora Illi. Das sei für sie Gebot Allahs. Indem sie an die Öffentlichkeit trete, wolle sie zeigen, dass Musliminnen mit Gesichtsschleier nicht «Huschis» seien, sondern selbstbewusste Frauen, die tun, was sie selber für richtig halten. (Berner Zeitung)