Montag, 1. Februar 2010

Angela Merkel macht es vor: Hehlerei wird salonfähig

Oder: Der Zweck heiligt die Mittel. Wenn angebliches Unrecht mit unrechtmässigen Mitteln begegnet werden kann, so dürften angeblich kriminelle Taten künftig immer auch mit kriminellen Methoden begegnet werden.

Wenn Hehlerei Erfolg hat, muss man sich nicht wundern, wenn dies künftig Schule macht und auch andere Staaten kriminelle Taten bezahlen, um eigene Interessen durchzusetzen.

Aus 20 Min:

Datenklau

Jetzt steuern wir mal kräftig gegen!

Deutschland will geklaute Bankdaten kaufen. Das geht auch an den Lesern von 20 Minuten Online nicht spurlos vorbei. Jetzt wird zurückgeschossen - mit Photoshop und bissigem Humor.

Aus Blick:

Deutschland will für umgerechnet 3,75 Millionen Franken gestohlene Daten kaufen. Damit sollen potenziellen Steuersünder mit Schweizer Bankkonten überführt werden. SP-Nationalrat Mario Fehr kann noch «gar nicht glauben, dass Deutschland das wirklich so durchziehen will». Er glaubt, dass Schäuble und Merkel derzeit bloss die Drohkulisse ausbauen. Um die Schweiz zum schnelleren Abschluss eines Doppelbesteuerungs-Abkommens (DAB) zu bewegen – und Deutsche Steuersünder zur Selbstanzeige. «Wenn Deutschland die Daten aber wirklich kauft, macht sich der Staat zum Hehler. Das ist nicht die Ebene, auf der zivilisierte Staaten miteinander verkehren», poltert der studierte Jurist. Den Vorwurf der Hehlerei erhebt auch die Schweizerische Bankiervereinigung. Sie erwartet, dass Deutschland auf den Kauf der illegal zugespielten Daten verzichtet. Dafür dürfte es aber zu spät sein. Denn Berlin will um jeden Preis Steuersünder überführen. Das hat auch Bundeskanzlerin Angela Merkel heute Mittag bekräftigt. Und sie erhält von Ex-Finanzminister Hans Eichel juristische Rückendeckung: Der Kauf gestohlener Schweizer Bankdaten sei rechtlich kein Probleme: «Spätestens seit Ankauf und Verwendung der Liechtenstein-Daten hat diese Frage ein Gericht rechtsstaatlich geklärt.»

So entsteht ein Markt für sensible Daten

In dieselbe Kerbe haut auch Bundespräsidentin Doris Leuthard: Da entstehe ein richtiggehender Handel mit Kriminellen. Das sei gegen das Gesetz. «Das ist eine Entwicklung, die wir nicht unterstützen können.» Finanzminister Hans-Rudolf Merz hat heute Morgen mit Wolfgang Schäuble über den Datenklau gesprochen. Merz stellte klar: «In diesem Fall leistet die Schweiz keine Amtshilfe.» Seine Partei, die FDP, ist von den Absichten Deutschlands entsetzt. Beim neuen Doppelbesteuerungs-Abkommen müsse «Hehlerei» mit gestohlenen Daten ganz klar ausgeschlossen werden. Mario Fehr glaubt, dass die Rechnung auch für Deutschland nicht aufgehen werde: «Wenn es so weiter geht, entsteht ein lukrativer Markt für sensible Daten – etwa auch im Gesundheitswesen. Es wird immer reizvoller für Angestellte, solche Daten zu klauen und sie dem Staat zu verschachern.»

Aus 20 Min:

Deutsche Steuersünder

«Als Privatmann wandere ich ins Gefängnis»

Für den Diebstahl von Kundendaten aus Banken kommen am ehesten Informatiker in Frage, sagt Hans Geiger, emeritierter Professor für Bankenwesen. Er rät im Interview mit 20 Minuten Online den Banken, das Nummernkonto wieder einzuführen – und sieht im Verhalten Deutschland den Bankrott des Staates.

Aus blick:

Nicht einmal ein Jahr ist vergangen seit der letzten Attacke aus Deutschland. Der damalige Finanzminister Peer Steinbrück schickte verbal die Kavallerie gegen die Indianer in der Schweiz los. Damals hatte Deutschland das Schweizer Bankgeheimnis im Visier. Und mit der ominösen «Schwarzen Liste» der OECD das nötige Druckmittel. Steinbrück konnte Merz damit zu Zugeständnissen beim Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den beiden Ländern zwingen. Die Folge: Die Schweiz übernahm die OECD-Standards.

Frankreich macht es nach

Kaum war die Affäre mit Steinbrück einigermassen ausgestanden, folgte die nächste Angriffswelle. Diesmal aus Frankreich. Im Sommer 2009 machten erste Meldungen die Runde, Frankreich habe Zugriff auf 3000 Kundendaten von Franzosen mit Schweizer Bankkonto. Merz war bereits im Januar 2009 über den Vorfall informiert gewesen, unternahm aber nichts. Als gegen Ende Jahr der Steuerstreit mit Frankreich richtig eskalierte, drohte Merz, das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und Frankreich zu sistieren.

Italien zieht mit

Kurz bevor der Steuerstreit mit Frankreich endgültig eskalierte, hob Italien zu einer Attacke auf die Schweizer Banken an. An der Grenze wurden Italiener beim Übertritt in die Schweiz fotografiert. Die Rede war sogar von Agenten aus Italien, die ihren Landsleuten auf Schweizer Boden nachspionierten. Später führte die italienische Finanzpolizei eine Razzia in italienischen Filialen von Schweizer Banken durch. Auch hier reagierte Merz empört und drohte das Doppelbesteuerungsabkommen zu torpedieren. Für Italien zahlte sich die Aktionen aus. Unter dem massiven Druck zeigten sich etliche Italiener mit unversteuertem Geld auf Schweizer Konten selbst an. Sie profitierten von einer Steueramnestie. Insgesamt sollen so 80 Milliarden Euro zurück nach Italien geflossen sein. Und jetzt Deutschland: Die 1500 Datensätze versprechen Zugriff auf hinterzogene Steuern im Umfang von 200 Millionen Euro. Der einzige Trumpf von Merz: Er kann das Doppelbesteuerungsabkommen sistieren. (pft)

Parlamentarier wollen Deutsche besänftigen

BERN – Die Absicht Deutschlands, gestohlene Bankkundendaten für die Suche nach Steuersündern zu kaufen, hat die Parlamentsdelegation für die Beziehungen zum Bundestag auf den Plan gerufen. Ihr Präsident, Ständerat Maximilian Reimann (SVP/AG), will eine Aussprache führen. Ein Treffen mit Vertretern des deutschen Parlaments solle möglichst bald und noch in der ersten Jahreshälfte stattfinden, und zwar in Deutschland, sagte Reimann heute Dienstag gegenüber Schweizer Radio DRS. «Diese Hehlerei vonseiten Deutschlands beschäftigt uns.» Die Parlamentarierdelegation war bereits im vergangenen Jahr nach Berlin gereist, nachdem Aussagen des damaligen deutschen Finanzministers Peer Steinbrück zu Bankgeheimnis und Steuersündern das Verhältnis Deutschlands und der Schweiz belastet hatten. (SDA)

CDU-Politiker stellen sich auf die Seite der Schweiz

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble geraten unter Beschuss aus den Reihen ihrer eigenen Partei, der CDU. Deutliche Worte findet der Vorsitzende des CDU-Wirtschaftsrats Kurt Lauk. Statt die CD zu kaufen, müsse der Anbieter der Konto-Informationen festgenommen werden, sagte Lauk dem «Kölner Stadt-Anzeiger». «Der Staat ist gehalten, alle rechtsstaatlichen Mittel anzuwenden: Den Mann in Haft zu nehmen», so der CDU-Mann. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, Josef Schlarmann, sagte zur selben Zeitung: «Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Vieles spricht dafür, dass das Hehlerei ist.» Auch der Vorsitzende im Rechtsausschuss des Bundestages, Siegfried Kauder (CDU), warnte den Innenminister dringend vor einem Ankauf der Daten. Nach Einschätzung Kauders «wären die Kontodaten in einem Strafprozess gegen betroffene Steuersünder nicht verwertbar». Steuern dürften nicht eingetrieben werden, indem die Finanzbehörden sich einer Hehlerei schuldig machten. «Das Risiko, damit vor Gericht auf die Nase zu fallen, ist aus meiner Sicht zu gross», sagte er der «Neuen Osnabrücker Zeitung». (hhs)

Kommentar:

Erstaunlich! Angela Merkel, die sonst eher vage und oft mit Airbagformulierungen eindeutige, konkrete Positionen vermeidet,spricht nun im Fall der gestohlenen Adressen überraschenderweise Klartext.

Obschon Westerwelle die Meinung vertritt, das ein Staat kein Geld zahlen darf für Diebesgut und findet, man sollte Gespräche mit der Schweiz pflegen, geht nun Angela Merkel mit dem Kopf durch die Wand.

Auch der Verteidigungsminister war gegen den Kauf gestohlener Akten!

Wahrscheinlich musste die Kanzlerin diese Attacke auf die Schweiz zur Chefsache erklären, damit sie nicht intern angegriffen wird und weil ihr der gewaltige Schuldenberg bis zum Hals reicht.

Nachtrag aus TAGI:

Christoph Blocher spricht Klartext

Für den abgewählten Bundesrat Christoph Blocher steht die Schweiz einem Land gegenüber, das Hehlerei betreibe und Diebstahl fördere. «In der deutschen Regierung hat es Kriminelle», meinte der ehemalige Justizminister in der Sendung «TalkTäglich» von TeleZüri.

Der Kauf der gestohlenen Bankdaten durch die Regierung in Berlin sei eine krasse Gesetzesverletzung. Deshalb müssten die laufenden Verhandlungen über ein Doppelbesteuerungs-Abkommen mit Deutschland sistiert werden, forderte der frühere Magistrat. Zunächst müsse der Bundesrat in Berlin vorstellig werden und gegen den Kauf der Daten vehement protestieren. Das einzige Motiv für den umstrittenen Deal sei für Deutschland die desolate Lage der Staatsfinanzen. «Mit Rechtsbruch soll das Defizit verkleinert werden», sagte Blocher.

Die SVP werde im Parlament das Doppelbesteuerungsabkommen vehement bekämpfen. Es sei zudem auch möglich, dass seine Partei das Referendum ergreifen werde, erklärte der Vizepräsident der SVP Schweiz weiter. Die definitive Entscheidung sei aber noch nicht gefallen, da man die insgesamt elf Abkommen zuerst analysieren werde.

Nachtrag aus 20 Min (3. Februar):

Scharfe Kritik vom Bund der Steuerzahler

Der Präsident des Bunds der Steuerzahler, Karl Heinz Däke, kritisierte den geplanten Ankauf der Steuersünder-Datei durch die Bundesregierung heftig: «Wenn der Staat die Daten kauft, schliesst er einen Pakt mit einem Straftäter», sagte er der «Passauer Neuen Presse» zufolge. Natürlich sei Steuerhinterziehung ein schweres Vergehen. Der Staat könne und dürfe Straftäter aber weder begünstigen noch sich strafbares Handeln zunutze machen, betonte Däke. «Das ist im Rahmen eines Rechtsstaates nicht zu rechtfertigen.»

Im Fall Liechtenstein seien die Dinge anders gewesen: Da habe der Bundesnachrichtendienst gekauft. «Im aktuellen Fall geht es darum, dass ein Straftäter der Bundesrepublik Deutschland direkt die Daten anbietet. Es muss jetzt grundsätzlich die Frage gestellt werden, ob im Kampf gegen Steuerhinterziehung jedes Mittel Recht sein soll. Wir sind überzeugt, dass das nicht der Fall ist», befand Däke.

(ddp)

Blick:

Roger Köppel macht sich in Deutschland derzeit keine Freunde. (Reuters)
In der Sendung «Münchner Runde» des Bayerischen Rundfunks spielte «Weltwoche»-Boss Roger Köppel gestern den Winkelried für das Schweizer Bankgeheimnis. Köppel ist als früherer Chefredaktor der Berliner Zeitung «Die Welt» ein gern gesehener Talkgast in Deutschland. «Wer wissentlich gestohlenes Gut kauft, ist ein Hehler», schoss Köppel gegen die deutsche Regierung. Mit dieser Aussage war der Vorzeige-Intellektuelle der Nationalkonservativen noch in bester Gesellschaft mit Schweizer Politikern von links bis rechts. Doch er setzte im Eifer des Gefechts noch einen drauf. «Wenn ich Politiker wäre, würde ich die deutsche Regierung anzeigen wegen Anstiftung zu Industriespionage. Und wenn ein deutscher Minister in die Schweiz kommen würde, würde ich ihn verhaften lassen», polterte Köppel.

Nachtrag TAGI:

Deutscher Anwalt zeigt Angela Merkel an

Auch in Deutschland selber ist der Kauf von gestohlenen Bankdaten heftig umstritten: Ein Jurist aus Dresden reicht nun Strafanzeige gegen die deutsche Bundeskanzlerin ein.

«Aufforderung zu Straftaten»?: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel.

«Aufforderung zu Straftaten»?: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Bild: Keystone

Wegen des geplanten Kaufs der Schweizer Bankdaten über deutsche Steuersünder hat ein Dresdner Rechtsanwalt Strafanzeige gegen die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel eingereicht. Mit dem beabsichtigten Erwerb der Daten überschreite die Bundesregierung die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit, heisst es in einer am Mittwoch in Dresden verbreiteten Erklärung des Strafverteidigers.

Es bestehe der Verdacht der Aufforderung zu Straftaten, der Anstiftung zur Hehlerei und der Anstiftung beziehungsweise Beihilfe zum Ausspähen von Daten. Die Staatsanwaltschaft müsse prüfen, ob das Vorgehen der Kanzlerin noch von den Gesetzen gedeckt sei, erklärte der Rechtsanwalt.

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