Dienstag, 11. Dezember 2012

Christoph Mörgeli und die Medien

(Beitrag für die aktuelle Medienseite der "Schaffhauser Nachrichten")



Von Marcus Knill*



Seit Jahren ist SVP Nationalrat Christoph Mörgeli in den Medien präsent.
In TeleZüri war er  Dauergast im SonnTalk. In der Weltwoche  schreibt er mit spitzer Feder wöchentlich eine Kolumne. Als Nationalrat, als SVP Vor- und Querdenker macht er ständig von sich reden.





Seine Provokationen wurden immer zu Medienthemen. Mörgeli weiss: Medien wünschen Aussergewöhnliches, sie personifizieren, sie wollen Emotionen und Skandale. Wer bis an die Grenze des Zulässigen geht, ist sicher mit dabei. Man ist in der Zeitung, wird im Radio zitiert und das Fernsehen oder die Online Anbieter, alle werden (müssen?) die Geschichte aufnehmen.  Sogar bei Giacobbo/Müller kommt Christoph Mörgeli immer wieder zum Zug. Doch in diesem Sendegefäss in der Regel als Karikatur, überzeichnet. Der Stimmenimitator Fabian Unteregger gilt als Geheimtipp der Zürcher Comedy-Szene. Als Zerrbild von Christoph Mörgeli ist dieser Komiker in der Sendung von Viktor Giacobbo und Mike Müller  Garant für den Erfolg. Der Imitator hat den SVP Nationalrat sehr lange  studiert, sein Vokabular, seine Haltung, sein Lachen und den akzentuierten Sprechrhythmus. Unteregger spielt auch bei Radio TOP regelmässig die Paradefigur Mörgeli und kommt damit auf gute Einschaltquoten. Wer in den Medien von der Comedy-Szene imitiert und karikiert wird, ist oft stolz, dass er auf die Schippe genommen wird. Es ist belegt,  dass viele Magistraten dank der humorvollen Persiflagen über die eigene Person imagemässig profitieren konnten. Sie wurden durch die zusätzliche Medienpräsenz noch populärer.


Wir können davon ausgehen: Christoph Mörgeli wäre zu Tode betrübt, wenn er von den Medien ignoriert würde. Lieber negativ  präsent sein, als totgeschwiegen  zu werden, wird wohl sein Losungswort sein. Ob bei Mörgeli bereits der Virus Mediengeilheit im Spiel ist, lassen wir einmal dahin gestellt.
Seit Jahren habe ich das Verhalten des umstrittenen SVP Programmleiter vor Mikrofon und Kamera verfolgt. Zahlreiche Analysen sind im virtuellen Buch www.rhetorik.ch detailliert protokolliert.
Aus meiner Sicht ist der umstrittene Politiker  intelligent, schlagfertig und kann erstaunlich viel einstecken. Es interessiert ihn nie, ob er beliebt ist oder bei Befragungen gut wegkommt.
Mörgeli ist von seiner jeweiligen Botschaft überzeugt, vielleicht sogar besessen.



Wenn es um die Aufdeckung von Missständen geht, ist  Mörgeli jedes Mittel recht, auch Indiskretionen.

Bei Fragen der Gerechtigkeit lernt man den SVP Vordenker richtig kennen. Er geht mitunter bis an die Grenze der Legalität. In diesen Situationen nutzt er  ebenfalls  die Medienpräsenz. An Beispielen mangelt es nicht:



Als Christoph Mörgeli im Jahre 2005 Finanzminister Villiger attackierte, weil der nach seinem Rücktritt mit einem hochdotierte Verwaltungsratsmandat belohnt wurde, führte diese forsche Attacke dazu, dass Toni Bortoluzzi bei der Regierungsratswahl dafür bluten musste.



Oder ein Beispiel aus dem Jahre 2008: Nachdem Pascal Couchepin den Versprecher "Mengele Mörgeli" schönreden wollte und fünf Nationalräte mit einem Verweis rechnen mussten, weil sie die Geschichte publik gemacht hatten (Verstoss gegen die Vertraulichkeit von Kommissionsverhandlungen), ging Christoph Mörgeli zusätzlich in die Offensive und publizierte das Tonband, das den tatsächlichen Wortlaut wiedergab, sodass allen klar wurde, dass es sich nicht um einen Versprecher handelte.
  Erst dank dieser erneuter Indiskretion konnte das Fehlverhalten Couchepins verdeutlicht werden. Nachdem Mörgeli mit keiner Strafverfolgung mehr rechnen musste, verlangte er später noch eine Genugtuungssumme von 1000.-- Franken. Der Bundesrat wies jedoch das Begehren ab.



Auch beim Fall Holenweger (Plan H) brachte es Mörgeli als Polit-Fuchs fertig, den Ballon der Verschwörungstheorie gegen Blocher zum Platzen zu bringen. Wieder war Indiskretion im Spiel.



All diese Fälle wurden wochenlang in den Medien hochgekocht. 



Rhetorik à la Mörgeli



Zwei typische Beispiele veranschaulichen die rhetorischen Elemente des hartnäckigen "Wadenbeissers": Ueber Frau Widmer-Schlumpf sagte der SVP Hardliner im TeleZüri: "Sie muss nun das Bundeshaus künftig durch den Hintereingang verlassen."

Einmal sagte er über die CVP, sie sei geprägt von reinster Heuchelei. Sie rede von Konkordanz, wähle aber trotzdem nicht Blocher. Sie wolle schwanger werden mit einem zweiten Bundesrat, aber nichts zu tun haben mit der Empfängnis.

 Bilder, Vergleiche, Beleidigungen und Provokationen gehören  zu Mörgelis Rezept.

Von Stundenten habe ich gehört, dass sie gerne Mörgeli zuhören.  Es gibt anderseits Professoren, die seine unkomplizierte Arbeiten beanstanden,  beispielsweise  Historiker Sarasin. Dieser findet,  die Publikationen des Kollegen wären zwar leicht fasslich geschrieben und reich illustriert, aber es stelle ganz klar nicht die Forschungsleistung dar, die von einem Universitätsprofessor erwartet werde.

Im vergangenen August  machte der Tagi eine Leserumfrage, um die besten Rhetoriker in der politischen Landschaft auszumachen.
Auf dem vierten Platz finden wir mit Doris Leuthard  die erste Frau. Sie erhielt neun Prozent der Stimmen, gleich viele wie Christoph Mörgeli,
was zeigt, dass in der Bevölkerung Mörgelis Rhetorik trotz der Holzhammermethodik gut ankommt.
Bei allen kommunikationsprozessen gilt: Wer verständlich, populär, bildhaft und eindeutig spricht, wird mehr geschätzt als jene weichgespülten Plausibiltätsredner, die reden und reden, aber nichts sagen.
Anscheinend stören sich die Leute wenig an den Provokationen und ungeschminkten Urteilen im Grenzbereich der Legalität.

Bei Schawinski erlebten  wir jüngst einen spannenden rhetorischen Schlagabtausch. Auch Tagi online musste eingestehen: Es kam zu einem  Schlagabtausch zweier Lieblingsfeinde, zweier gewiefter Rhetoriker.
Schawinski sprach Mörgeli in seiner Sendung jegliche Qualifikation ab. Genüsslich zerpflückte er eine wissenschaftliche Arbeit über das Medikament Bactrim, die Mörgeli zusammen mit anderen Arbeiten ins Studio mitgebracht hatte: «Das ist nicht wissenschaftlich. Das ist nicht einmal Journalismus, sondern eine bezahlte Publireportage für Roche.» Mörgeli: «Im Gegenteil. Das ist eine saubere Analyse eines Medikaments.» Passagen wie diese waren bezeichnend für das Gespräch. Aussage stand gegen Aussage. Beide Streithähne  zeigten  sich wendig und lieferten ein rasantes Wortduell.




Die Privatperson Mörgeli bleibt in den Medien eher im Dunkeln

Es ist für die Medien nicht einfach, zur Privatperson Mörgeli  vorzudringen. Trotz enormer Medienpräsenz wird in den Medien auffallend wenig über privates   bekannt: Er gilt als intellektueller Stratege der Partei, ist Titularprofessor und war lange Konservator des Medizinhistorischen Museums Zürich. Es ist ferner bekannt, dass er Vizepräsident der Europäischen Totentanz-Vereinigung ist und dass  er in seinem Handy die Kurzwahl 1 für Blocher und 2 für TeleZüri gespeichert hat. Wir wissen zudem, dass Mörgeli geschieden ist. Ich finde es professionell, wenn Promis die Privatsphäre in den Medien  für sich behalten, was sich langfristig bezahlt macht.
«Ein unheimlicher, scharfsinniger Professor, der eine morbide Passion für Totentänze hat, inmitten von anatomischen, in Formaldehyd eingelegten Missbildungen», resümierte einmal 2003 Carol Salm-Richter.

Mörgelis konstante Wertevorstellungen,  sein gebetsmühlenartiges Abspulen der aktuellen Botschaft, seine seit Jahren gleiche Frisur oder  der eindringliche, starre Blick, wie auch sein  Mund mit dem wiederkehrenden krampfhaft aufgesetzten Lächeln, das sind Mörgelis rhetorische Markenzeichen.



Mörgelis Fehler im Umgang mit Medien


Er handelt leider oft  vorschnell. Als beispielsweise die Gefahr der Kündigung bestand, schlug Mörgeli sofort um sich und griff die Uni in TeleZüri  frontal an. Hätte er sich zurückgehalten und in Ruhe die Unzulässligkeiten mit der  Universität auf offiziellem Weg bereinigt oder geklagt, wer weiss, ob dann die Angelegenheit nicht einen anderen Lauf genommen hätte. Mit dem öffentlichen Angriff konnte man Christoph Mörgeli Illoyalität vorwerfen. Er war nicht mehr tragbar.
 


Leider macht aus meiner Sicht der wortgewandte SVP Politiker im Umgang mit Medien immer wieder den gleichen Fehler. Er bedenkt zu wenig die Wirkung seiner Medienaktionen.
Es sei denn, dieser "Fehler" sei bewusste Taktik, um Aufmerksamkeit zu wecken. Auch andere Politiker und Parteien sind  oft schon zufrieden, wenn sie in den Medien auffallen. Aufmerksamkeit wecken ist zwar bei allen PR- und Marketing Aktionen eine wichtige Voraussetzung, um beachtet zu werden - aber dies allein kann wohl kaum das Ziel der Medienarbeit sein.  Auffallen allein genügt nicht, ausschlaggebend ist  die Wirkung eines Medienauftrittes, das Vermitteln einer Kernbotschaft. Reputationsmässig hat Nationalrat Mörgeli im Zusammenhang mit der jüngsten Kündigung an Glaubwürdigkeit ist zum heutigen Zeitpunkt sehr viel eingebüsst. Er steht  gleichsam als Polit-Clown da, nachdem er sich als Rektor der Universität Zürich beworben hatte.
Dass der von der Universität geschasste Christoph Mörgeli im nächsten Sommer Rektor wird, glaubt wohl nicht mal er selbst.



Mit der zusätzlichen Medienpräsenz schaffte sich Mörgeli zwar eine neue  Plattform, um seine Thesen und Botschaften  der Partei zu verkaufen. Einmal mehr konnte er unterstreichen, dass die Entlassung politisch motiviert war. Medienpräsenz war ihm einmal mehr gewiss.  Auftritte müssen aber etwas Positives bewirken, der Akteur muss überzeugen. Mit den letzten Aktionen  erwies  sich der Politiker einen Bärendienst. Sein öffentliches Wehklagen war wohl für viele zu penetrant. Ob er später doch noch von dieser Kampagne rehabilitiert vom Platz geht, ist nicht gänzlich auszuschliessen. Die Gegenseite hat auch nicht überlegt gehandelt. Die zitierten Geschichten belegen, dass Mörgeli langfristig denkt.

Er bleibt in allen Fällen unbeirrt,  auch bei der Uni-Mediengeschichte. Christoph Mörgeli: «Ich bin überzeugt, dass die Gerechtigkeit hergestellt und meine Bewerbung nicht gegen den Rauswurf meiner Person aufgerechnet wird.»

Mag sein, dass der streitbare Nationalrat später in alter Frische agiert.

Rückblickend sehen wir: Wenn es um das Aufdecken von Missständen gegangen ist, blieb Mörgeli immer hart und stand viele Tiefs unbeschadet durch.

Auch nach seinem schweren Autounfall wurde er  von vielen  abgeschrieben. Doch plötzlich war er wieder voll da. Aus meiner Sicht ist er noch für viele Ueberraschungen gut. Er kennt die Technik der Wiederaufstehmännchen. Neudeutsch: Er kennt das Phänomen der Resilienz.
Die Medien werden seine künftigen Aktionen erneut kolportieren und Mörgeli wird seine künftigen Auftritte ebenfalls wie immer - mediengerecht auftischen.



Fazit: Christoph Mörgeli gilt als Wadenbeisser. Man muss ihn nicht lieben. Anderseits würde es nicht schaden, hätten wir unter den Politikern noch mehr von seiner Sorte.



* Marcus Knill, Experte für Medienrhetorik (www.knill.com ) analysiert laufend Persönlichkeiten auf der Navigationsplattform für Medien und Kommunikation: www.rhetorik.ch

RECHERCHE IN DER PRAXIS


Recherchieren benötigt Zeit:

Die Schweiz eine Recherchewürste?


Anlässlich der Buchvernissage "Recherche in der Praxis" von Catherine Boss und Dominique Strebel (vom 27.11.12 im Pressehaus Ringier in Zürich) diskutierten unter Leitung von Hannes Britschi, Susan Boos, Mona Fahmy, Dominique Strebel und Hansjürg Zumstein über die derzeitige Situation des Recherchierens in unserer Medienlandschaft.

Praxishandbuch zur Recherche

Praxishandbuch zur Recherche
Am 27.12.12 erschien  das Schweizer Recherchehandbuch von MAZ-Studienleiter Dominique Strebel und "SonntagsZeitungs"-Redaktorin Catherine Boss: "Recherche in der Praxis. Informanten zum Reden bringen, Fakten hart machen und Missstände aufdecken".

In diesem umfassenden Praxishandbuch verraten 19 Autorinnen und Autoren ihre Tipps & Tricks zu Themen wie Recherchemethodik, Registerrecherchen, Zugang zu amtlichen Dokumenten der Verwaltung und der Justiz, Internet- und Social-Media-Recherchen sowie Besonderheiten der Recherche im Lokal-, Wirtschafts-, Polit-, Justiz-, Fernseh- und Konsumentenjournalismus. 
Mitgeschrieben haben unter anderem:

Daniel Ammann, Thomas Angeli, Alex Baur, Mona Fahmy, Anna Gossenreiter, Otto Hostettler, Thomas Knellwolf, Peter Johannes Meier, Christian Mensch, Mathias Ninck und viele mehr.

Das Buch ist im Saldo-Verlag erhältich, es umfasst 240 Seiten und kostet CHF 44.-.

Heute ist immer wieder von ivestigativem Journalismus die Rede.
Ich zitiere Wikipedia:


Investigativer Journalismus (von lat.: „investigare“; zu dt.  „aufspüren, genauestens untersuchen“) bezeichnet eine Form des Journalismus der Veröffentlichung von journalistischen Beiträgen. Eine  langwierige, genaue und umfassende Recherche ist notwendig. Themen sind meistens als skandalös empfundene Verhältnisse aus Politik  oder Wirtschaft.
Viele dieser Reporter erfüllen als sogenannte vierte Gewalt  im Staat eine wichtige Funktion bei der Kontrolle der Staatsorgane  und Wirtschaftskonzerne  in Demokratien.  Eine Spielart des investigativen Journalismus wird im Deutschen als Enthüllungsjournalismus bezeichnet. Darunter versteht man das Aufdecken von Skandalgeschichten aus Prominenz, Wirtschaft und Politik. Diese Form ist weniger dem klassischen investigativen Journalismus, sondern eher dem Bereich des Boulevardjournalismus  zuzuordnen, weshalb der Begriff negativ konnotiert ist.
Ende Zitat.

Bei der Recherche wollen Journalisten die Informanten zum Reden bringen. Sie lernen diese Explorationstechniken in der Ausbildung. Auf diese Tchniken wurde jedoch an der Podiumsdiskussion nicht eingegangen. Dafür wurden Erfahrungen und Ansichten der Profis über ihr eigenen Recherchieren aus der Praxis  beleuchtet. Beim Hauptproblem der Recherche waren sich alle einig:

Es fehlt meist die Zeit, um gründlich zu recherchieren. Dennoch müssten  die Journalisten dem Recherchieren mehr Zeit geben. Leider wird oft nicht zugewartet, bis alle Fakten auf dem Tisch liegen. Bei vielen Medien ist zwar das Bewusstsein fürs gründliche Recherchieren geschaffen worden. Doch im Onlinebereich werden leider Geschichten gerne ohne seriöse Klärung zu rasch übernommen.
Der Versuch, in online Artikeln Sachverhalte und Agenturmeldungen zu vertiefen, gelingt leider vielen Anbietern nicht.

Wer Schritt für Schritt Neues anbieten will, ist heute gezwungen, die Messlatte höher zu hängen, als es viele Onlineanbieter machen.

Der Druck nach neuen Geschichten ist dermassen gross, dass Journalisten aus verständlichen Gründen versucht sind, sogar Post aus einem Privatbriefkasten angeln (war beim Fall Leibacher der Fall), um Beweismaterial zu präsentieren.

Hannes Britschgi verstand es, die  Erkenntnisse des Buches anhand konkreter Beispiele (Kachelmann, Nef usw) zu veranschaulichen.

Fazit: Quantitativ haben recherchierte Beiträge zugenommen, aber nicht qualitativ. Es mangelt an der Vertiefung und Vernetzung der unzähligen Versatzstücke in der Medienwelt.

Kommentar: Mit unseren Artikeln in rhetorik.ch oder im persönlichen Blog, möchte ich einen Beitrag leisten zur Vertiefung von tagesaktuellen Vorkommnissen aus der Medienwelt.