Dienstag, 21. Oktober 2008

Dass Versagen belohnt wird, versteht niemand

Seit Jahren wird das Bonussystem bei Banken beanstandet. Doch wurde es nie abgeschafft. Wenn jemand für gute Leistung einen angemessen Bonus erhält, sagt niemand etwas. Wenn jedoch Misswirtschaft und schlechtes Management belohnt wird, so ist dies in den Augen der Normalbürger grotesk und eine verkehrte Welt.

Der Aerger ist nachvollziehbar!

20 Min:

Herr und Frau Schweizer passt es gar nicht, dass die UBS sieben Milliarden Franken an Boni auszahlen will. Selbst am Zürcher Paradeplatz ergibt die Strassenumfrage von 20 Minuten Online einen eindeutigen Befund: Das Volk ist zornig.

(Video: Gilliand Mathieu / Mustedanagic Amir)

Sieben Milliarden Franken will die UBS im nächsten Frühling an Boni auszahlen, wie am Sonntag bekannt wurde. Trotz der Krise, in die sich die Bank selbst manövriert hat, und der Staatshilfe, die die Bank beansprucht, finden die UBS-Oberen nicht, dass sie auf ihre Boni verzichten müssten. Der kleine Bürger auf der Strasse ist empört.

«Sicher keine Boni auszahlen»

In einer Strassenumfrage von 20 Minuten Online sind die Meisten der Meinung, es sei eine «Schweinerei» und «absolute Unverschämtheit». «In dieser Finanzkrise auch noch Boni zu kassieren, das ist doch einfach nur unverschämt», zürnt eine Passantin.

Andere sind der Meinung, wer sich in die Situation bringt, soll sich auch selbst da wieder rausholen: «Die sollen sich selbst etwas einfallen lassen, aber sicher keine Boni auszahlen.»

Eveline Widmer Schlumpf holt sich in der Krise Punkte

Im Tagi werden die Gründe zusammengetragen:

Seit letzter Woche noch mehr im Rampenlicht: Eveline Widmer-Schlumpf.

Seit letzter Woche noch mehr im Rampenlicht: Eveline Widmer-Schlumpf. (Bild: Keystone)

Der Staat muss 68 Milliarden Franken in die UBS einschiessen - doch Eveline Widmer-Schlumpf als Überbringerin dieser bösen Botschaft wird in den Medien euphorisch gefeiert. Der «Blick» hat sie gestern nachgerade zur Volksheldin ausgerufen. Und die «Südostschweiz» stellte in ihrer Sonntagsausgabe fest: «In Bern wird weithin die Einsicht reifen, dass Widmer-Schlumpf nicht nur eine gute Bundesrätin ist, sondern auch eine extrem belastbare, welche zwei Departemente parallel führen und erst noch eine Krise gleichsam schlafwandlerisch bewältigen kann. Eine solche Politikerin kann man in drei Jahren nicht einfach abwählen, nur weil sie mittlerweile in der falschen Partei sitzt.»

Selbst Ex-SVP-Präsident Ueli Maurer zollt seiner verfemten früheren Parteikollegin zähneknirschend Respekt: «Unser Problem mit Widmer-Schlumpf war nie, dass es ihr an Kompetenz gefehlt hätte», erklärt er. «Wäre es um Kompetenz gegangen, hätten wir sie sicher nicht aus der Partei ausschliessen müssen.»

Couchepins Abwesenheit hilft

Doch wie schafft es die Justiz- und interimistische Finanzministerin, eine historische Hiobsbotschaft zu verkünden und dafür viel Lob und Respekt zu ernten?

Alle angefragten Mitarbeiter in der Bundesverwaltung zeigen sich von ihrem emsigen Wesen beeindruckt. Widmer-Schlumpf sei mit Lust in die Rolle der Krisenmanagerin geschlüpft, meint ein hochgestellter Mitarbeiter im Finanzdepartement. Diese Lust gründe wohl nicht zuletzt in Widmer-Schlumpfs Wissen darüber, dass ein Doppelmandat ihre Position gegenüber den Kollegen stärke. Im Übrigen komme ihr entgegen, dass Bundespräsident Pascal Couchepin sich aus dem Dossier herausgehalten habe. Mit Micheline Calmy-Rey als Bundespräsidentin wäre es in der gleichen Lage zu einem «bösen Gerangel» gekommen.

Bescheiden und berechnend

«Widmer-Schlumpf hat das Zeug zur Identifikationsfigur», sagt der Psychologe Christian Fichter, Spezialist für Image, Marketing und Werbewirkung an der Uni Zürich. «Jedermann kann sich vorstellen, mit ihr in der Bäckerei ein paar Worte zu wechseln.» Darüber hinaus inszeniere sie sich gekonnt als eine Art Mutter Courage: «Einerseits springt sie für ihren kranken Kollegen Hans-Rudolf Merz ein - das wirkt wohltuend mütterlich. Andererseits kennt sie keine Scheu, um sich mit den Grossen anzulegen. In den Augen der Öffentlichkeit steht sie den Bankenvertretern furchtlos gegenüber und empört sich über deren überrissene Vorstellungen von Bonuszahlungen.»

Hinter der Fassade der verständigen Frau Jedermann verbirgt sich für den Marketingexperten allerdings eine berechnende und instinktsichere Politikerin. Immerhin hätte Widmer-Schlumpf die Forderung nach bescheideneren Boni schon während der Verhandlungen mit der UBS ernsthaft fordern können - und nicht erst vor den Fernsehkameras. Sie sei erst auf dieses Thema angesprungen - dann freilich blitzschnell -, nachdem sie dessen Popularität erkannt habe. Fichter traut es der Finanzministerin auf Abruf denn auch zu, bei Bedarf «so gut zu schwindeln, dass man es ihr nicht anmerkt». Widmer-Schlumpf wisse genau, dass das Publikum oft weniger auf den Inhalt schaue als auf die Art, wie etwas verkündet werde.

Dies sei überhaupt die Glanzleistung ihrer Auftritte zur Finanzkrise gewesen: «Widmer-Schlumpf hat es geschafft, so über den Milliardendeal zu sprechen, als ob es die Bevölkerung im Grunde gar nichts anginge. Damit hat sie wesentlich zur Beruhigung der Situation beigetragen», findet Fichter. Kurz:

Der BDP-Bundesrätin sei es gelungen, der Bevölkerung in einer unüberblickbaren Situation Vertrauen zu vermitteln.

Für Fichter verfügt Widmer-Schlumpf damit über das Potenzial zur ganz grossen Karriere:

«Sie hat sehr viel Charisma. Sollte sie dieses häufiger entfalten, könnte sie es inbezug auf ihre Popularität theoretisch sogar mit einem Blocher in Hochform aufnehmen. Dazu fehlt ihr im Moment jedoch das Netzwerk.»

Chancen auf Wiederwahl?

Ist also am Ende auch ihre Wiederwahl in die Landesregierung im Jahr 2011 bereits gesichert? Für den Politologen Andreas Ladner stehen die Chancen dafür nicht schlecht. Eveline Widmer-Schlumpf sei zwar Vertreterin einer Kleinstpartei, sagt Ladner auf Anfrage. «Sollte sie 2011 aber nur annähernd so populär sein wie heute, könnte die öffentliche Meinung grossen Druck aufs Parlament ausüben, Widmer-Schlumpf im Amt zu bestätigen», meint der Politologe.

Kommentar: Im Vergleich zu allen unbestimmten, zögerlichen Auftritten nach der Abwahl Blochers, stelle ich bei den jüngsten Aussagen während der Finanzkrise fest:

- Die Bundesrätin ist überzeugt von dem was sie sagt

- Körperprache, Stimme und Inhalt stimmen überein

- Sachebene, Beziehungsebene (Kopf und Emotionen) sind im Gleichgewicht

Somit ist Eveline Widmer Schlumpf natürlich, glaubwürdig, überzeugt und strahlt Vertrauen aus.