Sonntag, 14. Oktober 2007

Das Nazi-Prinzip

Wer in der Öffentlichkeit Gehör finden will, der zieht einen NS-Vergleich. Ein Überblick

Über sie und ihre NS-Vergleiche streitet halb Deutschland: Eva Herman.
Über sie und ihre NS-Vergleiche streitet halb Deutschland: Eva Herman. ddp

Was geht in dieser Frau vor? Ist sie dumm, naiv oder sehr berechnend, vielleicht erzkonservativ, braun eingefärbt? Mit ihren Vergleichen zur Nazi-Zeit hat Eva Herman eine bundesweite Diskussion entfacht. Dabei ist sie längst nicht die erste prominente Person, die sich des "Nazi-Prinzips" bedient, mehr oder weniger bewusst: Wer sich Gehör verschaffen will, greift in die NS-Sprachkiste - mal ist es ein kalkulierter Tabu-Bruch, um seine Meinung oder Bücher besser zu verkaufen, mal ist es ein spontaner Wut-Ausbruch, um Widersacher mundtot zu machen. Und so sorgt sich der Zentralrat der Juden über einen "enthemmten Umgang" mit NS-Sprache, der zur Nachahmung führen kann und den Schrecken der NS-Geschichte verharmlost und verfälscht. Wie schnell so was passiert, bewies dieser Tage die Online-Ausgabe der "Süddeutschen Zeitung". Dort schimpfte ein Autor die Talkshow Kerners "Volksgerichtshof". Wenig später entschuldigte sich die Chefredaktion und ließ den Begriff löschen. Bliebe ein Rat von Harry Rowohlt, Schriftsteller und Übersetzer: "Man sollte immer sagen, was man denkt, aber davor ein bisschen was gedacht haben."

Zitat: Eva Herman "Wir müssen das Bild der Mutter wieder wertschätzen lernen, das leider ja mit dem Nationalsozialismus abgeschafft wurde."

Eigentlich wollte Eva Herman am 6. September 2007 in Berlin bloß ihr neues Buch "Das Prinzip Arche Noah" vorstellen. Doch aus der PR-Veranstaltung wuchs ein Skandal. Die TV-Moderatorin und Autorin lobte die NS-Familienwerte und damit die NS-Familienpolitik. Darauf kündigte ihr der NDR.

Was Frau Herman hätte bedenken sollen: Die NS-Familienpolitik verfolgte zwei Ziele - Rassenzucht und Rassenvernichtung. Nur "rassisch reine" Paare erhielten Sozialleistungen.

Frauen wurden reduziert auf ihre Mutterfunktion, hoch qualifizierte Frauen wurden aus ihren Berufen verdrängt. Gebärfreudige "arische" Mütter erhielten ab 1938 das "Ehrenkreuz der deutschen Mutter", kurz Mutterkreuz (ab 4 Kinder in Bronze, ab 6 Kinder in Silber, ab 8 Kinder in Gold).

Kinder wurden in der Hitlerjugend und im Bund Deutscher Mädel im Sinne der NS-Weltanschauung erzogen.

In der Talkshow von Johannes B. Kerner kam es zum Eklat, als Eva Herman sagte: Wenn man nicht über Familienwerte der Nazis reden dürfe, könne man auch nicht über die Autobahnen sprechen.

Was Frau Herman hätte wissen sollen: Die Pläne für den Bau der Autobahnen stammen nicht von den Nazis. Mehr noch: Die NSDAP stimmte 1930 im Reichstag gegen den Bau von Autobahnen.

Zitat: Martin Hohmann "Waren Juden ausschließlich die Opfer, die Leittragenden?"

Bei einer derart deutlichen Wortwahl, muss man sich fragen, ob das einfach nur ein Faux-pas gewesen war. Der CDU-Bundestagsabgeordnete benutzte am 3. Oktober 2003, dem Tag der Deutschen Einheit, bei einer Rede in Neuhof bei Fulda im Zusammenhang mit dem Judentum den Ausdruck "Tätervolk". Das mit einem Missverständnis zu entschuldigen, war aussichtslos. Hohmann wurde erst aus seiner Fraktion, dann aus der CDU ausgeschlossen.

Was Herr Hohmann hätte bedenken sollen: Dem Holocaust fielen mindestens sechs Millionen Juden zum Opfer - bis heute ein einzigartig höllisches Verbrechen.

Zitat: Herta Däubler-Gmelin "Bush will von seinen innenpolitischen Schwierigkeiten ablenken. Das hat auch Hitler so gemacht."

Es geschah mitten im Wahlkampf im September 2002. Vielleicht gab es gerade eine hitzige Diskussion. Doch diesen Satz hätte sich Justizmi-nisterin Herta Däubler-Gmelin (SPD) verkneifen sollen. Nach der Bundestagswahl 2002 zog sie sich zurück, wurde von Gerhard Schröder bei seiner Kabinettsbildung nicht mehr berücksichtigt.

Was Frau Däubler-Gmelin (studierte Historikerin!) hätte bedenken sollen: Auch wenn man die Politik von US-Präsident Bush nicht schätzt, verbietet sich ein jeglicher Vergleich mit Hitler, einem Mann, der mit seinem Weltkrieg und seinem Rassenwahn ganze Generationen ins Verderben stürzte.

Zitat: Oscar Lafontaine "Helmut Schmidt spricht von Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit, Standhaftigkeit. Das sind Sekundärtugenden. Ganz präzis gesagt: Damit kann man auch ein KZ betreiben."

Für seine Verbalattacken ist Lafontaine bekannt. Doch was er im Juli 1982 in einem Interview mit dem "Stern" sagte (als Oberbürgermeister Saarbrückens und SPD-Vorsitzender des Saarlandes), war mehr als das: Er verglich den damaligen Bundeskanzler Schmidt mit einem KZ-Aufseher. Ein kalkulierter Fehltritt? Später entschuldigte er sich dafür.

Was Herr Lafontaine hätte bedenken sollen: Die Konzen-trationslager waren Arbeits- und Vernichtungslager, die Lagerleiter waren Mörder. Hier wurden Millionen Menschen totgeknechtet, totgeschlagen, totgeschossen, vergast.

Zitat: Willy Brandt "Heiner Geißler ist der größte Volksverhetzer seit Goebbels!"

Nachdem CDU-Generalsekretär Heiner Geißler sich 1983 im Ton vergriffen und im Zuge der Aufrüstungs-Debatte behauptet hatte, dass Auschwitz ohne den Pazifismus der 30er-Jahre nicht möglich gewesen sei, schlug Brandt am 12. Mai 1985 für die SPD zurück.

Was Herr Geißler hätte bedenken sollen: Dass die Nazis 1933 die Macht ergriffen und Konzentrationslager errichteten, lag nicht an der Friedenspolitik der Westmächte.

Was Herr Brandt hätte bedenken sollen: Niemand lässt sich mit dem NS-Propagandaminister Goebbels vergleichen, der 1943 den "totalen Krieg" ausrief und 1945 mit seiner Frau und seinen sechs Kindern Selbstmord beging.

Zitat: Helmut Kohl "Das ist der schlimmste Bundestags- präsident seit Hermann Göring."

Gemeint hatte Kohl Wolfgang Thierse (SPD), gesagt hatte er es im August 2002 im Bundestagsrestaurant. In Hörweite saßen zwei Redakteure des "Spiegel". Jedoch nahm Kohl nichts zurück, stattdessen betrieb er Journalistenschelte.

Was Herr Kohl (promovierter Historiker!) hätte bedenken sollen: Als Reichstagspräsident 1932 hatte Göring entscheidenden Einfluss auf die Zerschlagung der Weimarer Republik.

Zitat: Joachim Kardinal Meisner "Dort, wo die Kultur von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kultus im Ritualismus und die Kultur entartet. Sie verliert ihre Mitte."

... sagte er bei der Einweihung des neuen Kunstmuseums Kolumba im September 2007 in Köln.

Was der Kardinal hätte bedenken sollen: Als "entartete Kunst" galten alle Kunstwerke, die dem Kunstverständnis der Nationalsozialisten nicht entsprachen. Maler, aber auch Schriftsteller und Komponisten erhielten - soweit sie nicht emigrierten - ab 1936 Arbeits- und Ausstellungsverbot.

Zitat: Edmund Stoiber "Eine multinationale Gesellschaft auf deutschem Boden, durchmischt und durchrasst."

So sprach er 1988 in München. Und: "Unsere Aufgabe ist es, in erster Linie Politik für die Deutschen zu machen." Erst Jahre später gab er zu, das Wort "durchrasst" nicht mehr in den Mund zu nehmen.

Was Herr Stoiber hätte bedenken sollen: Rassenideologie bezeichnet die ideologisch motivierte Aufteilung der biologischen Art Mensch in "höhere" und "niedrigere" Rassen.

Berliner Kurier, 14.10.2007

Kommentar:

Diese Beispiele machen bewusst, dass es in Deutschland ein Tabu gibt, Nazi-belastete Worte in Reden oder öffentlichen Aufritten in den Mund zu nehmen. Das hatte leider Eva Herman nicht beachtet und landete zwangsläufig im Fettnapf. Sie hätte ihre Aussage ganz klar korrigieren müssen: "Mein Mutterbild hat nichts mit dem Familienbild der Nazizeit zu tun. Der Hinweis auf das Familienbild des dritten Reiches war nicht nur missverständlich. Er war falsch. Mit geht es nur um die heutigen Werte der Familien".

Polizeigrenadiere buhen ihre Chefs aus

Führungsprobleme bei der Stadtpolizei Bern haben Anti-SVP-Krawalle begünstigt

so titelt NZZ online

. Nach den Ausschreitungen gegen den SVP-Umzug in Bern vor einer Woche steht die Einsatzleitung der Polizei sogar bei den eigenen Leuten in der Kritik: Beim Abtreten nach dem Einsatz sei es in der Polizeikaserne zu Buhrufen und offenen Unmutsbekundungen gekommen, berichtet ein Polizist. Laut dem Präsidenten des kantonalen Polizeiverbands, Markus Meyer, hat es sogar Pfiffe gegen die Offiziere gegeben. Das stellt ein Sprecher der Stadtpolizei zwar in Abrede, er räumt aber ein, es sei beim Abtreten zu Diskussionen und «lauten Voten» gekommen.

Falsche Lagebeurteilung- ein nicht funktionierendes Funksystem!

Für Ärger im Korps sorgen falsche Lagebeurteilungen, unverständliche Befehle und technische Pannen während des Einsatzes. Weil das Funksystem der Stadtpolizei zeitweise ausfiel, «wusste der Einsatzleiter nicht immer genau, wo sich seine Leute befinden», sagt ein Polizist. Verbandspräsident Meyer bestätigt «Probleme mit dem Funksystem». Die Einsatzleitung habe auf den Einsatz des Funksystems der Kantonspolizei verzichtet. Das habe wohl zur Überlastung des städtischen Systems geführt, sagt Meyer.

Gemäss Recherchen der «NZZ am Sonntag» sollen vor einer Woche etwas mehr als 400 Polizisten aus dem Kanton Bern im Einsatz gestanden haben – weniger als halb so viele wie bei der Kundgebung gegen das WEF 2005. Aus anderen Kantonen des Polizeikonkordats Nordwestschweiz wurden diesmal nur eine Handvoll Personenschützer zur Unterstützung der Berner angefordert. 2005 waren über 300 Polizisten anderer Kantone den Berner Ordnungshütern zu Hilfe gekommen.

Frage: War dies nur Zufall oder steckte eine Absicht dahinter? Nach unserem Dafürhalten dürfen weder der Regierung noch der SVP böswillige Absichten unterstellt werden. Was dennoch kritisiert werden darf, ist der ungenügende Einsatzplan und die unprofessionelle Vorbereitung der Berner Polizei. Die gravierenden Mängel müssen allein der Führung angelastet werden. Die unprofessionelle Vorbereitung wird gewiss noch Konsequenzen haben. Bedenklich sind jene Leserbriefe mit einem verschwörungstheoretischen Hintergrund. So war war zu lesen, dass jemand der SVP unterstellte, sie habe die Kravalle bewusst selbst inszeniert und sei letztlich Drahtzieher der Krawalle auf dem Bundesplatz. Diese abstruse Verschwörungstheorie zeigt einmal mehr, wie rasch aus Opfern Täter gemacht werden können.

Nachtrag, 16. Okt. (espace.ch)

POLZEI IMMER MEHR IN DER KRITIK

Es wurde publik, dass der Einsatzleiter der Stadtpolizei Bern am 6. Oktober bei Briefing vor der Domo gesagte hatte:

"Man kann davon ausgehen, dass es zu keinen grösseren Ausscheitungen kommt"

Nach weiteren Insiderinformationen machte das Kommando noch weitere Fehleinschätzungen: Es gebe keine Hinweise, dass von Deutschland und anderen Ländern "Szenenleute"einreisen werden. Zudem hätten die linken Demonstranten kein Interesse an Gewalttaten, weil dies nur der SVP nutzen würde.

Diese Informationen an die Presse hatten zur Folge, dass heute interne Untersuchungen eingeleitet wurden, um herauszufinden , wo die Lecks im Korps sind.

Wer glaubt, man könne heute -im Zeitalter des Internets- alle Lecks stopfen, hat die Interaktionsmechanismen zwischen Medien und Unzulänglichkeiten in einer Institution noch nicht erkannt. Besser ist es, bei Krisen und Unzulänglichkeiten transparent zu informieren.