Samstag, 3. März 2012

Gunter Faigle, Journalist und  Freund von mir, hatte mir folgende hilfreichen Gedanken gemailt:


Von Albert Einstein stammt das Diktum:

"Man muss die Dinge so einfach wie möglich machen. Aber nicht einfacher."

Georg Picht hat eine Aussage gemacht, die mir sehr ans Herz gewachsen ist:

"Gebildet ist ein Mensch, wenn er das versteht, was er selber sagt."

Daraus habe ich für den Hausgebrauch abgeleitet:

"Gut ist ein Journalist, wenn er das versteht, was er selber schreibt."

Sind wir nicht alle ein bisschen Messie?


Jedes Jahr bestelle ich eine MULDE, damit ich wieder Angesammeltes entsorgen kann.
Auch ich habe festgestellt, dass zu Vieles aufbewahrt wird, im Glauben, man könnte es später wieder gebrauchen. Das Entrümpeln lohnt sich. Es vereinfacht das Leben.



storybild

Sich von überhaupt gar nichts mehr trennen zu können, kann auch krankhaft werden. (Bild: Wikipedia.org/Maschinenjunge)

Ein paar Umzugsschachteln, alte Klamotten, Möbel, für die es keinen Platz in der Wohnung hat und vielleicht noch ein paar Sportutensilien, ein Snowboard, ein Paar Ski oder ein Velo - so stellt man sich wohl den «normalen» Keller vor. Andere Menschen nutzen den Keller oder andere Räume aber aber auch einfach, um sich mal richtig gehen zu lassen. Wer braucht schon Ordnung? Alles, von dem man sich nicht trennen kann, was aber auch nicht wirklich gebraucht wird, landet im Estrich, in der Garage oder im Vorgarten. Bei manchen Menschen kann diese Sammelsucht gar krankhaft werden - man spricht dann von einem Messie.










«Plötzlich lief alles aus dem Ruder»

von Runa Reinecke - Im Film «Messies, ein schönes Chaos» öffnen Menschen die Tür zu ihrem heimischen Durcheinander. Wie wird man zum Messie? Und wie kann man überhaupt so leben? Wir haben zwei Betroffene getroffen.

Bildstrecke im Grossformat »
1|8
Ordnung, das ist für Dominik Schneider nur das halbe Leben. Er selbst leidet sehr darunter, ein Messie zu sein und lässt deshalb niemanden in seine Wohnung.
Elmira kämpft sich durch Stapel von Kassetten, Büchern, Zeitungen und Elektrogeräten. Der Weg von der Stube ins Badezimmer wird zum Hindernislauf, eine Kletterpartie durch die eigene Wohnung, die durch unglaubliche Mengen an Plunder zugestellt ist. Elmira spielt keine Rolle, die Szene entstammt Ulrich Grossenbachers Dokumentarfilm «Messies, ein schönes Chaos», der jetzt im Kino läuft.

Zurück ins Leben, fernab von der Leinwand: Vor dem Fenster eines kleinen Cafés in der Zürcher Innenstadt vertreibt die Wintersonne morgendliche Nebelschwaden. «Grüezi, Dominik Schneider*». Ein Mann von mittlerer Statur streckt mir seine Hand zum Gruss entgegen, er wirkt sympathisch, eine gepflegte Erscheinung: Nicht ein kleiner Fussel am Pullover, schon gar kein Fleck. Unter dem Pulli blitzt ein blütenweisser Hemdkragen hervor. So sieht also ein Messie aus?
Bloss nichts wegwerfen!
Wir nehmen an einem kleinen Tisch in der Ecke des Cafés Platz, er bestellt ein Frühstück, beginnt zu plaudern. Anfang 60 sei er und ledig - zu einer längeren Beziehung habe es irgendwie nie gereicht. In der Freizeit mache er viel Sport, das tue ihm körperlich und seelisch gut. Sport, sagt er, das sei ohnehin seine grosse Leidenschaft. «Ich muss so Ende 30 gewesen sein ...», erzählt der Zürcher, der vor seiner Pensionierung im Büro arbeitete, mehr will er nicht verraten, «meine Mutter kam damals zu Besuch und fragte mich, warum so viele Stapel Sport-Zeitungen im Gang herumstehen würden. Wegwerfen? Das ging nicht! Vielleicht hätte ich nochmal etwas nachlesen wollen ...»

Es blieb nicht bei den Zeitungen: In der Küche türmte sich das schmutzige Geschirr, vor dem Schlafzimmer-Schrank häufte sich die Bügelwäsche. «Dass da etwas aus dem Ruder läuft, habe ich schon damals bemerkt», meint er und nippt kurz an der Kaffeetasse. «Es fängt langsam an, irgendwann wird es zu viel, dann kommt dieses Gefühl von Hilflosigkeit. Man weiss gar nicht, was man machen soll. Es gelingt nicht, etwas zu ändern und man will sich auch niemandem mitteilen.»
Wissenschaftlich inexistentes Durcheinander
Nichts fürchtet Schneider mehr, als Überraschungsbesuche. Viele Besucher reagierten seiner Erfahrung nach schockiert und verständnislos: «Da hab ich das Gefühl, einen Teil meiner Seele nach Aussen kehren zu müssen». Um niemanden in die Wohnung zu lassen, wurde er auch mal erfinderisch: «Ich sagte einfach, dass der Kaffee ausgegangen ist oder ich nichts zu essen im Hause habe».
Heinz Lippuner ist klinischer Psychologe und Psychotherapeut in Zürich und kennt die Probleme von Messies. Vor elf Jahren half er dabei, die erste Selbsthilfegruppe für Betroffene in der Schweiz aufzubauen. «Eigentlich gibt es das Messie-Syndrom als solches gar nicht - zumindest ist es nicht wissenschaftlich anerkannt», sagt der Psychologe. Gemäss Sandra Felton - Mitbegründerin der Messie-Bewegung - leitet sich der Begriff Messie aus dem englischen «mess» (Chaos), ab.
Ich lebe im Chaos - holt mich hier raus!
Der gesellschaftlich leider immer noch verbreiteten Meinung, Messies hätten ein Problem mit der Disziplin, seien schlicht faul und liessen sich gehen, widerspricht Lippuner: «Oftmals lautet die Reaktion von Aussenstehenden: ‹Ja, dann räum halt auf!›. Aber genau das kann der Messie eben nicht.» Viele psychiatrisch Tätige sehen Messies auch als relativ stark chronifizierte Depressive an, wie der Spezialist betont: «Bei der Depression gibt es das Phänomen ‹Ich kann nicht wollen›. Der Messie will schon, doch er erlebt Blockaden und zwanghafte Zustände, wenn er mit dem Aufräumen anfangen will».
Dieses Gefühl ist auch Lucrezia Bühler* bekannt, die gerade das Café betritt. Eine kleine, gut gekleidete Frau mit offener, herzlicher Ausstrahlung. Lange, sagt die Rentnerin, habe sie selbst geglaubt, ein Messie zu sein. Sie setzt sich neben Dominik Schneider, man kennt sich. «Es fing vor 20 Jahren an, als meine Eltern krank wurden und in ihre Heimat Italien zurückgingen. Kurze Zeit später starb mein Vater. Ich glaube, damals erlebte ich meine erste Depression». Über die Jahre sammelte sich immer mehr an: Möbel, Lampen, ein buntes Allerlei. «Ich hatte eine Art Gerümpelzimmer und einen Lagerraum, der mit Sachen vollgepackt war».
Aufgeräumte Seele, aufgeräumte Wohnung ...
Heute, so sagt sie, sei ihr bewusst, dass sie kein Messie im klassischen Sinne sei. «Ich war krank und schwach und hatte vorübergehend nicht die Kraft, aufzuräumen.» Vor zehn Jahren suchte sie deshalb Hilfe bei der schweizerischen Organisation LessMess, begann eine Psychotherapie. Als sie etwas später umziehen musste, beauftragte sie einen Aufräum-Service, der ihr half, das Chaos in den Griff zu bekommen. Die Menschen, die sie über LessMess kennenlernte, wuchsen ihr ans Herz. Bis heute kümmert sie sich ehrenamtlich um die Sorgen und Nöte von Betroffenen und Angehörigen.
Lippuner arbeitet nur mit Messies, die bereit sind, eine professionelle Aufräumhilfe in ihre Wohnung zu lassen. «Es ist wichtig, dass neben der Psychotherapie auch im praktischen Sinne am Problem gearbeitet, sprich, aufgeräumt wird.» Doch genau davor scheuen sich viele Messies: Sie haben Angst, dass geliebte Gegenstände einfach im Müll landen. «Wir verstehen uns als Coaches, wir gehen sensibel mit den Menschen um», sagt Helene Karrer vom professionellen Aufräumdienst Homemanagement. Der Messie selbst entscheidet beim Räumen mit und bestimmt, wovon er sich definitiv trennen kann und was er noch behalten will. «Ich hatte schon mit Betroffenen zu tun, bei denen einfach alles ausgeräumt wurde, ganz ohne Beratung. Diese Menschen haben ihr ganzes Leben verloren.»
Messietum versus Verslummung
Behausungen, die mit Tierexkrementen und vergammelten Speiseresten vermüllt sind, sieht Karrer nur selten: «Dabei handelt es sich nicht um Messietum, das ist dann schon Verslummung. Da kann man nur noch mit Schutzanzügen und grossen Schaufeln rein. Solche Fälle laufen dann aber eher über den Sozialdienst oder den Stadtarzt.» Das bestätigt auch der Psychologe: «Es ist schwierig festzustellen, wo die Grenzen genau liegen. Bei den meisten ist aber weniger das Horten von geruchsintensiven Dingen das Problem.»
Von einem Zustand der Verwahrlosung sind auch Dominik Schneider und Lucrezia Bühler weit entfernt. «Dem Betroffenen selbst ist es wichtig, einen guten Eindruck zu hinterlassen», meint Lippuner und ergänzt: «Das trifft auf den grössten Teil der Messies, die ich selbst kennengelernt habe, definitiv zu.»
Die Psychotherapie und die professionelle Aufräumhilfe habe sie sehr unterstützt, sagen Bühler und Schneider, die beide vielseitig interessiert sind und über einen grossen Freundeskreis verfügen. Auch Dominik Schneider bekam über LessMess Hilfe. Heute besucht ihn alle zwei Wochen eine Reinigungskraft. «Bevor sie kommt», erzählt er schmunzelnd «bin ich gezwungen, aufzuräumen - das funktioniert gut». Wenns mit dem Ordnung Schaffen dann doch mal nicht so gut klappt, überlistet er sich selbst: «Ich kopple das Stromkabel vom Fernsehgerät ab und schicke es mir per Post selbst wieder zu. Da werde ich zumindest für eine kurze Zeit nicht mehr vom TV abgelenkt.»
*Namen von der Redaktion geändert