Donnerstag, 26. September 2013

Imhof und der Empörungsjournalismus

Medienkritik: Kurt Imhofs äussert sich heute erneut  zur Medienqualität

Wäre Kurt Imhof eine Zeitung, sie hiesse «Blick»

Aus der Basler Zeitung:
Er schnödet über «Allroundjournalisten» und ist selbst das beste Beispiel für einen Allroundwissenschaftler: Der Soziologieprofessor Kurt Imhof.
Kurt Imhof, der perfekte Allround-Boulevard-Journalist. Der Professor hat zu allem eine Meinung und spitzt sie gekonnt zu.
Kurt Imhof, der perfekte Allround-Boulevard-Journalist. Der Professor hat zu allem eine Meinung und spitzt sie gekonnt zu.
Bild: Keystone

Qualität in den Medien

Die Schweizer Medien ordnen Ereignisse zunehmend schlechter ein. Die Berichterstattung sei oftmals episodenhaft und vermittle kein Hintergrundwissen. Zu diesem Schluss kommt das Jahrbuch 2013 «Qualität der Medien Schweiz». Die Forscher sehen dies als weiteren Beleg für die Medienkrise. Ein besonders schlechtes Zeugnis stellt das Jahrbuch den Gratiszeitungen und den Online-Angeboten der Boulevard-Medien aus. Diese würden die Ereignisse am wenigsten einordnen, und der Gehalt an Softnews sei überdurchschnittlich hoch, heisst es im Jahrbuch. (sda)
Heute ist Kurt Imhofs Tag. Um 10.30 Uhr präsentierte der Zürcher Soziologieprofessor das Jahrbuch «Qua­­lität der Medien» 2013 im Hotel Schweizerhof in Bern. Das Jahrbuch, das die meisten Verleger hassen wie die Pest, erscheint heuer zum vierten Mal. Letztes Jahr schrieb der Verlegerverband einen weinerlich-verschnupften Brief an Imhof und beanstandete, dass er die «seriöse und nachvollzieh­bare Definition des Begriffs Qualität» vermissen würde.
Imhof schrieb im Jahrbuch 2012 über Athen im 5. Jahrhundert vor Christus. Über die «wirkmächtigste Utopie der Menschheit, die Idee, dass die freie öffentliche Kommunikation dem Menschen den logos, also Vernunft, Sinn und eine entsprechende Gesellschaft ermöglicht.» Dann zitiert er den Philosophen Immanuel Kant und dann verweist er auf den Soziologen Jürgen Habermas, an dessen genialem «Strukturwandel der Öffentlichkeit» sich sein Forschungszweig seit 1962 abstrampelt. Auch Imhof. Schliesslich aber schreibt er von Problemen. Die Probleme des heutigen Journalismus. Sie heissen: «Entdifferenzierung», «Entprofessionalisierung», «Boulevardisierung», «Medienpopulismus» etc., etc.
Letztes Jahr war Imhofs Medien­kritik der reinen Vernunft 481 Seiten lang. Alles ist langfädig und soziologisch schwerfällig geschrieben, sodass kaum ein Mensch Imhofs ungeheures Werk lesen kann. Nur die Österrei­ cher – und dies ist kein Witz – haben Freude an seiner Arbeit. Anfang dieses Jahres verkündete die Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, dass sie selbst ein solches Buch verfassen möchte.

Imhof verstehen


Wer verstehen will, was Imhof meint, sollte nicht Imhof lesen. Sondern sich den Mann anhören. Ein kurzes Potpourri: Imhof sieht einen «dramatischen Qualitätsverfall» der Medien. Die alten Journalisten sind PR-Berater geworden, «Kindersoldaten» liegen derweil in den Schützengräben der Verlagshäuser. Masslos überfordert, schlecht bezahlt, schlecht ausgebildet.
Einst bewirtschaftete lediglich der «Blick» das «Getto des Boulevards», heute ist die Zeitung nur noch ein Repräsentant des generellen «Overkills des Boulevards». Die Kindersoldaten produzieren unreflektieren «Zottel-Journalismus». Und drücken mit ihrer «Trauerbewirtschaftung» dem Publikum auf die Tränendrüse, mit ihrer «Empörungsbewirtschaftung» befördern sie dessen Ärger.
Derweil ist die alte Ehe von Werbung und Publizistik zerrüttet. Es herrscht Klassenkampf und der «Täter-Opfer-Schematismus» in den Zeitungen, ja, das muss Imhof sagen, weist in der Tendenz in Richtung «Hexenverfolgung» und allgemein: in eine «Barbarisierung der Gesellschaft».
Die Geschichte der Öffentlichkeit nach Imhof zuhanden der Öffentlichkeit ist eine schaurige Verfallsgeschichte. In der Tendenz rücken wir noch hinter die Aufklärung zurück, in eine Zeit, in der kaum eine Kerze dem Verstand ein bisschen Licht gibt. Den Schaden könnte man gemäss Imhof einiger­massen beheben: Es braucht Geld. Ungefähr eine Milliarde Schweizer Franken jährlich von der öffentlichen Hand, für eine Medienförderung, für eine «aufgeklärte Schweiz».
Uh, das sieht aber gar nicht gut aus, denkt man sich, wenn man mit Imhof über Medien redet und wundert sich, bisher offenbar in naiver Weise mit den Schweizer Medien zufrieden gewesen zu sein. Imhof selbst ist aber gut gelaunt. Marocaine, Wein und Kaffee halten ihn bei Laune und die Leidenschaft für seine Arbeit.

Imhof hören und sehen

Imhof ist ein Medienprofessor, der auch ständig in den Medien vorkommt. Er schnödet über «Allroundjournalisten», und ist selbst das beste Beispiel für einen Allroundwissenschaftler. Er ist Tsunami-Professor, Papst-Professor, Irakkrieg-Professor, ja auch Botel­lÓn-Professor. Zur kollektiven Besäufnis-Kultur, die 2008 einen Sommer lang die Schweiz beschäftigte, meinte Imhof: «Jugendliche, macht Massenbesäufnisse! Es gibt Schlimmeres.» Der «Tages-Anzeiger» hatte damit einen guten Titel. Kaum einer liefert den Zeitungen brauchbarere Schlagzeilen als Imhof. Sie sind populistisch, undifferenziert und boulevardesk.
Wäre Imhof eine Zeitung, dann wäre er eine Kombination aus «Blick» (stilistisch) und WoZ (ideologisch). Erstere fungiert in seinem «Qualitäts­scoring» traditionell ganz weit unten, Letztere wird von Imhofs Studie nicht erfasst. Allerdings ist er witziger als die beiden.
Imhof lernte Hochbauzeichner. Erst als 28-Jähriger fing er mit seinem Studium in Zürich an. Seit 2000 ist er Professor für Soziologie und Publizistik. Man weiss über ihn persönlich nicht viel. Höchstens, dass er gerne Töff fährt und Zigaretten raucht. Auch im Institut raucht er indoor, denn er ist sich selbst ein Liberaler. Zu «Facts» meinte er 2006 beinahe akademisch-intim: «Alle geschlechtshomogenen Interaktionsformen finde ich extrem langeweilig.» Er meint wohl, dass er Frauen liebt und Fussball hasst.
In einem Interview, das ich mit ihm für «persoenlich.com» führte, kritisiert er lauthals Ringier: «Wenn wir Geschäftsmodelle haben, bei denen Verlage das Ticketing für Boxkämpfe und Gölä-Konzerte übernehmen und die Medien berichten, was der Verlag selbst veranstaltet, dann sind wir tatsächlich in einer kafkaesken Situation.»
 (Basler Zeitung)

Kommentar: Ich gehe mit Kurt Imhof einig. Zeitungen müssten vermehrt Hintergrundwissen vermitteln. 
Nach De Weck gehört es zum Qualitätsjournalismus, dass  Informationen für die Adressaten einordnet werden. Auch mit der Feststellung, dass  sich eine Entdifferenzierung und Boulvardisierung breit macht, kann nicht bestritten werden. "Entprofessionalisierung" der Medien hingegen stelle ich heute weniger fest. Im Gegenteil: Immer mehr Journalisten suchen eine professionelle Ausbildung. Auch den Qualitätszerfall sehe ich nicht so dramatisch wie Kurt Imhof. Ich kenne den Medienprofessor als intelligenten Analytiker und guten Beobachter, den ich immer wieder  zitiere. Er spricht verständlich und mediengerecht. Er versteht es auch, zu polarisieren, zu titulieren und Sachverhalte witzig zuzuspitzen.
Jedenfalls zählt er für mich zu den führenden  Medienkennern der Schweiz, der unsere Kommunikationslandschaft bereichert.

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