Sonntag, 22. März 2015

CLUB-NACHLESE

Dominiert der Empörungs- Journalismus?

Rufschädigungen durch Medien sind immer wieder ein Thema. Journalisten wird vorgeworfen, dass sie Kampagnen pflegen, obschon die Fakten noch nicht auf dem Tisch liegen. Wenngleich angebliche Täter nachher freigesprochen werden, ist ihr Image geschädigt.
Im Club (SRF) ging es vor allem um die Rolle der Medien. Die Sendung macht bewusst, dass es nachträglich schwierig ist den beschädigten Ruf zu korrigieren.
Bildergebnis für club srf
Der letzte «Club» widmete sich dem Thema Rufschädigung. Ein aktuelles Thema. Es braucht im Zeitalter der Empörung nicht viel. Ein Fehltritt, ein Verdacht oder eine ungeschickte Äusserung genügt. Und schon befindet man sich im sogenannten Shitstorm (ein schreckliches Wort) oder ist Gegenstand einer Kampagne. Da machts keinen Unterschied, ob man gesetzeskonform handelte oder von einem Gericht freigesprochen wurde. Der Ruf ist schnell ruiniert.
Drei prominente Opfer schilderten ihre Erfahrungen: Jörg Kachelmann, Sandra Gasser und Hansueli Gürber. Als Vertreter der Medien diskutierten der «Weltwoche»-Journalist Alex Baur und der PR-Berater und Ex-«Blick»-Chef Sacha Wigdorovits. Drei Fragen stellte Thomy Scherrer ins Zentrum der Diskussion: Wie erlebt ein betroffener Mensch eine Kampagne? Welche Rolle spielen Medien? Und kann man später wieder zu Ehre und Würde zurückfinden?
Dampf ablassen
Zur ersten Frage: Alle drei Personen berichteten eindrücklich von ihren Erlebnissen. Sie berichteten von Albträumen, dieser Enge, vom Gefühl der Ungerechtigkeit, Morddrohungen und Verfolgungswahn. Und alle drei hatten ihre eigenen Strategien, damit fertig zu werden. Kachelmann weigerte sich, die Berichterstattung über ihn zu verfolgen. Er schaute während seiner Zeit im Gefängnis offenbar nur den Musiksender MTV. Hansueli Gürber, der ehemalige Jugendanwalt, Opfer der medialen Hetzkampagne im Fall Carlos, stellte sich den anonymen Reaktionen. Und die ehemalige Leichtathletin Sandra Gasser erzählte, wie sie viel Sport trieb, um Dampf abzulassen. Allen gemeinsam war das Bedürfnis, die Wahrheit zu verkünden. Das war die Stärke des Clubs. Die Schilderung dieser Erfahrungen war eindrücklich. Ein Warnsignal an alle Zuschauer, die in Onlinekommentaren oder auf Facebook Kommentare hinterlassen. Denn das Schlimmste für alle Beteiligten ist die Verbreitung und Konstruktion einer falschen «Wahrheit».

Welche Rolle spielen die Medien?
Hier, um es gleich vorwegzunehmen, war die grosse Schwäche des gestrigen Clubs. Der Moderator und die Diskussionsteilnehmer haben über weite Strecken ein zu einseitiges Bild gemalt. Die meisten Medien würden heute nur noch Empörung bedienen. Es würde nicht mehr nachgefragt, ausgewogen berichtet. Am deutlichsten äusserte sich Kachelmann und holte zur grossen Kritik aus. Die Medien seien die «Vorhut der Sharia in irgendeiner Form». Er wetterte gegen Onlinejournalisten (sehr einseitig). Früher hätte man davon ausgehen können, dass Journalisten gut ausgebildet seien. Für ihn sind die Onlinejournalisten «strunzdumm». «Wenn man dumm ist, kann man keine gute Arbeit machen», meint Kachelmann. Die Kritik richtete sich in erster Linie gegen «Blick online». 
Mit Journalismus nichts zu tun
Auch Gürber ging mit dem «Blick» hart ins Gericht. Er fand es stossend, dass die Zeitung noch einen Tag nach Ausstrahlung des «Reporter»-Films überlegen musste, ob man die Story nun bringe oder nicht. Mit Journalismus habe die Berichterstattung nichts zu tun gehabt. Es sei zudem eine reine Diffamierungskampagne gewesen, auch weil man ihn immer wieder mit seiner Schlange abgebildet habe.
Sacha Wigdorovits, Kommunikationsberater und ehemaliger «Blick»-Chefredaktor, war grösstenteils auf der Seite der Opfer. Bei den Medien gelte heute nicht die Unschuldsvermutung, sondern die Schuldvermutung. Wer in die Kritik gerät, müsse in erster Linie seine Unschuld beweisen, was nicht den Vorstellungen des Rechtsstaates entspreche. Wigdorovits sprach ebenfalls abfällig von Onlinejournalisten, die er als «Kindersoldaten» bezeichnete. Sie schrieben, was sie hörten, und schauten nicht, obs stimme. Eine Aussage, die unwidersprochen blieb. Die aber einer seriösen Prüfung nicht standhalten würde. Wigdorovits sah die Entwicklung in den einzelnen Fällen differenzierter als die anderen Gäste. Im Fall Kachelmann seien nicht nur die Medien schuld, sondern auch die Justiz. Es habe eine Politisierung der Justiz stattgefunden. Und im Fall Gürber sei der eigentliche Skandal der Regierungsrat gewesen, der in der kritischen Phase nicht hinter Gürber stand.
Debatte anzetteln
Und was sagte «Weltwoche»-Journalist Alex Baur? War er wenigstens der Gegenpol zu den anderen Gästen? Leider nur bedingt. Von ihm hätte man gewünscht, dass er die Sicht der Medien viel energischer verteidigt. Er nahm die Medien insofern in Schutz, als dass sie nicht die ultimative Wahrheit verbreiten müssten, sondern eine Debatte führen sollten. Er rechtfertigte sich, dass er in seinen Berichten oft bewusst einseitig berichte, um eine Debatte zu lancieren. Der entscheidende Punkt sei: Es muss eine Gegenmeinung geben. Und er gab zu bedenken, ein wichtiger Punkt übrigens, dass Kampagnen auch helfen könnten. Im Fall Kachelmann habe die öffentliche Debatte die Gerichtsverhandlung zugunsten von Kachelmann beeinflusst. Im Fall Gasser verbesserten sich später die Dopingkontrollen.
Zur letzten Frage: Wie kann man den Ruf wiederherstellen? Hier war die Diskussion wenig erhellend. Einig war man sich, dass man sich unbedingt wehren soll, indem man rechtliche Schritte einleitet. Und sonst? «Grind abe» und liegen bleiben. Dass die Kommunikationsoffensive zu Beginn einer Kampagne nicht gut ist, schilderte Gasser. Sie hatte zu jedem Bericht zugesagt. Empfand die Berichterstattung aber nachträglich als nicht neutral.
(Tagesanzeiger.ch/Newsnet)

KOMMENTAR:  Auch ich teile die Meinung des Tagi, dass der Club die Sicht der Medien zu wenig herausgeschält hatte. Es  wäre auch hilfreich gewesen, mehr zu erfahren, was ein Betroffener tun kann, wenn er durch eine Kampagne Opfer wird. Es fehlte mir eine echte Diskussion, die sich leider erst nachher im Twitter so richtig entfaltete. Das lag an der einseitigen Auswahl der Teilnehmer.
Ein gravierender Fehler muss dem Fernsehen angelastet werden: Sacha Wigdorovits durfte den neutralen Experten spielen. Den Zuschauern wurde nicht gesagt, dass er der wichtigste parteiische Drahtzieher in der Nackfoto-Affaire für den grünen Politiker Geri Müller PR Arbeit ist. Das dürfte nicht einfach so passieren - auch bei einer Live Diskussion ohne Netz und doppeltem Boden. Ich vermisse die  Entschuldigung der verantwortlichen Stelle.
Uebrigens:
In die Schlagzeilen geriet Wigdorovits bereits im November 2009, als er Berater von Nachtclub-Besitzer und Millionärssohn Carl Hirschmann wurde.


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