Montag, 14. Juli 2014

Uum Umgang mit einer allfälligen unerwarteten Niederlage der deutschen Elf

Ein Medienpsychologe antwortet:

Bei der Mannschaft von Brasilien haben wir es erleben können, was für Folgen es haben kann, wenn Niederlagen verdrängt werden oder im Unterbewusstsein der Kopf sagt: Es darf keine NIEDERLAGE geben. Eine NIEDERLAGE ist unmöglich. Als das erste Coal fiel wirkten diese unbewussten Bilder. Medienpsychologe Schramm zeigt, wie man sich auf Niederlagen vorbereiten und verarbeiten kann.



  • Holger Schramm ist Medienpsychologe und Professor am Institut Mensch-Computer-Medien der Universität Würzburg. Er forscht zum Thema Stimmung und Lebenszufriedenheit von Sportzuschauern und ist im Editorial Board der internationalen Fachzeitschriften "Mediapsychology" und "Journal of Media Psychology" vertreten.
SPIEGEL ONLINE: Herr Schramm, sollte Deutschland das Finale verlieren: Können wir uns darauf vorbereiten, damit die Niederlage nicht zu sehr schmerzt?

Schramm: Wer davon ausgeht, dass die deutsche Nationalmannschaft Weltmeister wird, kann leicht enttäuscht werden. Dabei haben viele Experten vor der WM gesagt, das Halbfinale wäre für Deutschland ein Erfolg. Vorbeugend gegen die Enttäuschung hilft also: nicht zu viel zu erwarten. Das machen ja auch viele im Privatleben - dann kann man nur positiv überrascht werden. Das ist eine gute Strategie.  

SPIEGEL ONLINE: Trotzdem wird es schwerfallen, mit einer Niederlage umzugehen. Wie kann man sie verarbeiten?

Schramm: Es gibt drei verschiedene Verarbeitungs-Typen: Zum ersten Typ zählen jene Menschen, die glauben, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen zu können - und für das, was passiert, selbst verantwortlich zu sein. Wer so ist, der sucht den Fehler auch zuerst beim deutschen Team. Solche Menschen analysieren: Hat Jogi Löw die falschen Spieler aufgestellt? Wer war von den Spielern nicht in Form?

SPIEGEL ONLINE: Hört sich vernünftig an ...

Schramm: Ja, aber einfacher machen es sich Menschen, die die Schuld woanders suchen. Sie machen bei einer Niederlage das Klima verantwortlich, oder Entscheidungen des Schiedsrichters. Zum dritten Typ gehören jene, die Niederlagen auf Schicksal und Übermächte zurückführen.

SPIEGEL ONLINE: Was ist die beste Strategie?

Schramm: Die psychologisch einfachste und gesündeste ist, die Niederlage auf externe Faktoren zu schieben. Dann belastet man sich nicht mit Gedanken über etwas, das man ohnehin nicht mehr ändern kann. 

SPIEGEL ONLINE: Warum ist das einfacher, als sachlich zu analysieren?

Schramm: Wenn man sich stark mit der Mannschaft identifiziert, geht man häufig zu unkritisch mit ihr um. Hat man sich wochenlang eingeredet, dass das Team alles richtig macht, tut es nach einer Niederlage weh, sich die Wahrheit einzugestehen. Deshalb schieben viele die Schuld auf vermeintlich falsche Schiedsrichterentscheidungen oder die klimatischen Bedingungen. Dann kann dann immer noch sagen: Wir haben eigentlich alles richtig gemacht, die Begleitumstände waren schuld. Mit einer solchen Strategie belügt man sich aber selbst. Will man aus Niederlagen lernen und gestärkt hervorgehen, sollte man versuchen, das Ganze objektiv zu betrachten - und dazu gehört auch der Blick auf die Fehler der eigenen Mannschaft.

SPIEGEL ONLINE: Wie wirkt sich das Ergebnis grundsätzlich auf die Psyche aus?

Schramm: Die Stimmung und das eigene Selbstbewusstsein leiden nach Niederlagen und profitieren von Siegen. Ich habe zudem nachgewiesen, dass nach gewonnenen Spielen die Regierung Merkel positiver gesehen wird als nach verlorenen Spielen. Genauso ist es mit der Einschätzung der aktuellen Wirtschaftslage - nach einem verlorenen Spiel haben viele das Gefühl, dass es mit der Wirtschaft nicht so gut läuft.

SPIEGEL ONLINE: Die Regierung Merkel wird unbeliebter, falls Deutschland verliert?

Schramm: Es gibt Hinweise, dass die Regierung Kohl unter dem überraschenden Viertelfinal-Aus bei der WM in Frankreich 1998 gelitten hat. Berti Vogts erklärte nach dem WM-Aus damals seinen Rücktritt - und am gleichen Tag verlor Helmut Kohl zehn Punkte auf der Sympathie-Skala. Einen umgekehrten Effekt gab es 1954.

SPIEGEL ONLINE: Das Wunder von Bern!

Schramm: Niemand hatte damals damit gerechnet, dass Deutschland Weltmeister werden würde. Dadurch hatte der Sieg einen optimalen positiven Stimmungseffekt. Es gab damals keine empirische Forschung darüber, aber es wird vermutet, dass dieser Sieg eine Triebfeder für das deutsche Wirtschaftswunder war. Nach 1954 waren die Deutschen selbstbewusster und schauten positiver in die Zukunft. 

SPIEGEL ONLINE: Wie kann man das erklären?

Schramm: Bei komplexen Fragen beziehen sich Menschen oft auf ihr Bauchgefühl: Ist es negativ, fällt auch die Antwort eher negativ aus. Außerdem sieht man die Welt durch eine Brille, die durch die eigene Stimmung geprägt ist. Nach Niederlagen fallen einem eher negative Dinge auf, etwa hässliche Häuser, schmutzige Ecken, schlecht riechende Mitmenschen. Nach Siegen nimmt man das dagegen kaum wahr, alles erscheint rosig.

SPIEGEL ONLINE: Ob Sieg oder Niederlage: Bald ist die WM vorbei, und wir fühlen uns leer. Warum?

Schramm: Weil wir vier bis fünf Wochen viel kognitive und emotionale Energie investiert haben. Nach jeder anderen Tätigkeit, der man so lange intensiv nachgeht und die von einem auf den anderen Tag wegfällt, fühlt man sich ausgepumpt und leer.

SPIEGEL ONLINE: Es gab zwei Viertelfinals an einem Tag. Hätte es nicht die Leere verhindert, wenn man die WM mehr gestreckt hätte? 

Schramm: Das ist Fußball-organisatorisch nicht möglich. Aber ja, für mich hätte man das auch länger ziehen können. Dass die Fifa um 18 und 22 Uhr jeweils zwei letzte Gruppenspiele parallel angesetzt hat, war für einen Abend sehr viel.

 SPIEGEL ONLINE: Wie kann man die Leere nach der WM füllen?

Schramm: Die negative Stimmung nach einer WM ist nur ein bis zwei Tage messbar. Vier, fünf Tage nach der WM ist der Effekt schon nicht mehr nachweisbar. Das heißt, nach dem Abschluss eines solchen Großereignisses, gleichgültig, ob es mit einem Sieg oder einer Niederlage endete, hält die Stimmung ein bis anderthalb Tage an, dann schwächen sich Euphorie oder große Niedergeschlagenheit ab. Der Mensch ist so angelegt, dass er auch nach Niederlagen weiterleben und funktionieren kann.

KOMMENTAR:
Wer die WM-Events aus einer gewissen Distanz mitverfolgen konnte, hat festgestellt, dass die Medien sehr viel mit beigetragen haben, dass dermassen viel kognitive und emotionale Energie in diese Wochen  der Weltmeisterschaften investiert wurden. Otto Normalverbraucher konnte sich den Diskussionen über die Mannschaften und deren Resultate kaum entziehen. 

Wer bei Niederlagen nicht zu stark leiden will, muss den Hinweis des Medienpsychologen ernst nehmen:
Wir sollten uns nicht zu stark mit einer Mannschaft identifizieren und uns bemühen, derartige Spiele möglichst objektiv zu betrachten.
Nun aber haben die Deutschen keine Niederlage erlitten! 

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