Montag, 28. Juli 2014

Das Ende der Lesbarkeit


Die Welt entgleitet ihren Deutern

Quelle NZZ
 
Mit Steinen gegen eine aggressive Moderne. Die Ikonen des Fortschritts können so verräterisch sein wie die rohen Gewaltakte der Ikonoklasten.
 
 
 
Mit Steinen gegen eine aggressive Moderne. Die Ikonen des Fortschritts können so verräterisch sein wie die rohen Gewaltakte der Ikonoklasten. (Bild: Thomas Dworzak / MAGNUM)

Kulturpessimisten atmen auf. Selten war die Welt so unübersichtlich wie heute, und an vielen Fronten scheint sie sich zum Schlechteren zu wenden. Das freilich hätte man immer wissen können: Dass das, was wir Fortschritt und Humanität nennen, ein zartes, alles andere als sturmsicheres Gewächs ist, dessen Triebe periodisch verkümmern. Schon Nietzsche glaubte für seine Epoche zu sehen, wie die Wüste wächst. Die Ereignisse rund um den Ersten Weltkrieg, denen wir nach hundert Jahren wieder so intensiv nachdenken, gaben ihm recht – Prophetien der Skepsis und des Niedergangs liegen tatsächlich näher an den Realitäten der Geschichte als ihre hoffnungsfroh ausspähenden Gegenstücke.
Folgt man dem amerikanischen Philosophen Mark Lilla, der an der New Yorker Columbia University lehrt und kluge Bücher zur politischen Theorie publiziert, ist alles noch viel schlimmer. Vor kurzem hat Lilla in der Zeitschrift «The New Republic» einen Essay des Titels «Our Illegible Age» verfasst. Daraus soll hervorgehen, dass unsere Zeit unleserlich geworden ist – und dies aus mehreren Gründen. Zum einen haben die komplex gewordenen Verhältnisse seit «1989» daran Anteil; Stichworte: Sprengung der Blöcke, Wiederkehr des religiösen Fundamentalismus, gescheitertes «nation building», unkontrollierbare Finanzmärkte, Klimakrisen, erhitzter Nationalismus und anderes mehr. Zum Zweiten – und dieser Ansatz ist interessanter – liegt eine Wahrnehmungs- und Deutungsverengung vor, die es verhindert, die Entwicklungen sowie die Krisen- und Problemfelder heutiger Weltentwicklung adäquat – sine ira et studio – zu begreifen.

KOMMENTAR:

Die moralphilosophische Tragweite der beschriebenen Botschaft ist nachvollziehbar. Sie basiert auf  der Aufklärung zur allgemeinen Geltung gerufene Universale von Freiheit und politischer Gleichheit und fusst im  Relativismus, der auch das «Andere» bestehen lässt – zum Beispiel eine verfassungsmässige Theokratie.  Lilla schreibt dazu: Die Autorität des religiösen Rechts wird anerkennt wie begrenzt. Darin finde– gegen den Absolutismus des «libertarian way of life» – ein «Plan B» seinen Ausdruck.

 Freunde der Freiheit wissen , dass unter Bedingungen der Moderne keine Orte der Geschichte so gut gedeihen wie jene, wo Menschen ohne Zwang und geistig-geistliche Bevormundung leben und gestalten dürfen. Wir stellen ferner fest, dass dieselbe Geschichte – bei grossem Wert von intellektuellen Debatten – immer noch häufiger dem Widersinn des Geschehenden als der Logik des Machens und Machenwollens gehorcht.

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