Ehrlichkeit und Selbstkritik ist eine erfolgreiche "Butter-Taktik".
In der Rundschau zelebrierte Gian-Franco Kasper, amtierender Präsident des Internationalen Skiverbandes (FIS) und Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOK), wie man mit Ehrlichkeit, Recht-geben und Selbstkritik einem bissigen Moderator die Zähne ziehen kann.
Das Schweizer Fernsehen wollte mit
Gian-Franco Kasper einen Vertreter der Olympischen Winterspiele in die
Zange nehmen – vergeblich. Das IOK-Mitglied parierte die Angriffe mit
verblüffender Ehrlichkeit. (Ich zitiere Tagi online):
Standen sich an der «Rundschau»-Theke gegenüber: Gian-Franco Kasper (links) und Sandro Brotz. (Bild: srf.tv)
Sandro Brotz hatte einen schweren Stand.
Für einmal wirkte der «Rundschau»-Moderator, der eigentlich für seine
bissigen Interviews bekannt ist, zahnlos. Sein Gesprächspartner hiess
Gian-Franco Kasper.
Die Voraussetzungen für ein «heisses Gespräch»
waren gut, wenn nicht zu sagen optimal. Noch nie wurde im Vorfeld von
Olympischen Spielen derart viel Kritik geäussert: korrupte Behörden,
Schwulenfeindlichkeit, Arbeitsrechtsverletzung auf den Grossbaustellen
oder Putins Gigantismus. Objektiv betrachtet gibt es nicht viel, das die
Vergabe der Spiele ins russische Sotschi rechtfertigen würde. Das
Schweizer Fernsehen, das kaum einmal um eine Russland-Kritik verlegen
ist, wollte den Zeitpunkt wohl nutzen, um einen der Verantwortlichen in
die Zange zu nehmen.
«Das Gespräch war harmlos»
Brotz
begab sich in Kampfstellung und konfrontierte Kasper mit der
Korruption, welche die Kosten der Spiele in horrende Höhen trieb. Doch
statt diese These zu entkräften, leistete Kasper dem Moderator
Schützenhilfe: «Ja, das ist ein Problem. Wir schätzen, dass 30 Prozent
der Gelder in der Korruption versickern.»
Das Drehbuch für das Gespräch
war somit schon mit der ersten Frage geschrieben. Der Moderator
attackierte (vergeblich), und der Interviewpartner parierte jeweils mit
entwaffnender Ehrlichkeit. Brotz twitterte nach der Sendung: «Noch
selten war ein Gast so direkt, offen und selbstkritisch.»
Brotz verpasste es , auf die Homosexuellen-Debatte einzugehen. Auch mit der
Verletzung der Arbeiterrechte konnte Kasper nicht in die Enge getrieben
werden. «Dass die Leute auf ihr Geld warten, ist eine Tragödie»,
bestätigt Kasper. Doch letztlich liege dieses Problem nicht im
Einflussbereich des IOK. Damit war das Thema gegessen. Kein Widerspruch, kein Nachhaken seitens des Moderators.
«In Sotschi wird keine Stimmung aufkommen»
Da
kam die viel propagierte Terrorgefahr in Sotschi gerade recht. Doch
Kasper überstand auch diesen Vorstoss von Brotz: Ein gewisses Risiko
gebe es überall. Sotschi werde während der Spiele «der sicherste Ort der
Welt sein». Über 40'000 Sicherheitskräfte würden im Einsatz sein. Ein
solches Sicherheitsdispositiv sei natürlich mit Einbussen verbunden, wie
Kasper sogleich zugab und damit die nächste Breitseite des Moderators
elegant abwehrte. «Ich gebe Ihnen absolut recht. In Sotschi wird keine
Stimmung aufkommen», so Kasper.
Spätestens zu diesem
Zeitpunkt des Gesprächs schien klar: Der Sportfunktionär nutzte die
mediale Plattform nicht, um kurz vor den Spielen die Werbetrommel zu
rühren. Im Gegenteil: Kasper bekräftigte seine Befürchtung der
«herzlosen Spiele», die er schon vor Monaten einmal geäussert hatte. In
Sotschi werde wohl alles sehr gut organisiert sein. Doch es würden
«kalte Spiele» werden, weil in dieser Gegend der Wintersport «keine
Tradition» habe – mit Ausnahme von Eishockey, das in Russland schon
immer für Begeisterung gesorgt habe, sagt Kasper.
«Dieser Gigantismus ist schlecht»
Der
Funktionär machte während des Gesprächs auch klar, welche Interessen
ihm vor allem am Herzen liegen. Diejenigen der FIS – der Organisation,
in deren Dienste er sich schon seit fast 40 Jahren stellt. Bergsport hat
in Sotschi keine Tradition. Die meisten der Skianlagen wurden innerhalb
der letzten fünf Jahre aus dem Boden gestampft. «Dieser Gigantismus ist
schlecht. Auf diese Weise würde sich die olympische Bewegung selber
auffressen.»
Brotz versuchte derweil, seinen letzten Trumpf zu spielen: Wladimir Putin,
den russischen Präsidenten, dem vorgeworfen wird, er nutze die
Olympischen Spiele lediglich als grosse Imagekampagne. Kasper pflegt als
IOK-Mitglied engen Kontakt zu Putin und stand schon im Jahr 2001
gemeinsam mit dem Kreml-Chef auf der Skipiste. Zuletzt konnte er ihm bei
einem gemeinsamen Nachtessen auf den Zahn fühlen: «Putin ist ... was
soll ich sagen ...» – Kasper ringt nach Worten – «eine spezielle, ja
eine eiskalte Persönlichkeit.» Sein Enthusiasmus für die Olympischen
Spiele sei beeindruckend. Doch Putin sei niemand, mit dem er befreundet
wäre, so Kasper.
KOMMENTAR: Die selbstkritischen Antworten Kaspers hätten jeden Interviewer überrascht. Sie machen uns bewusst, dass bei Angriffen das weiche Abfangen (Recht-geben, Einsicht) mehr Erfolg hat, als das Beschönigen, Rechtfertigen oder Zurückschlagen. Deshalb zählt dieses verbale Abfedern zu den "Buttertaktiken". Es wird gesagt, dass eine Kugel im Butter schneller zum Stillstand kommt, wie bei einem harten Gegenstand. Die Energie wird aufgefangen.
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