Donnerstag, 6. Januar 2011

Sieben Leitlinien für die SRG

Der neue Generaldirektor über sein Verständnis von Service public

Ich finde es professionell - ERST bei Amtsantritt das bereinigte 7 Punkte Programm zu veröffentlichen. Ich finde es auch professionell - diese Punkte bei Amtantritt SCHNELL zu veröffentlichen. Das nenne ich transparent und bedacht  informieren.

Roger de Weck, Generaldirektor der SRG. (Bild: Reuters)Zoom

Roger de Weck, Generaldirektor der SRG. (Bild: Reuters)

Was ist Sinn und Zweck eines öffentlichen Rundfunks? Der neue SRG-Generaldirektor, Roger de Weck, legt dar, was er unter Service public versteht.

Roger de Weck

1. Haltung

Viele Massenmedien sehen den Menschen vorwiegend als Konsumenten, den es zu befriedigen gilt. Demokratie hingegen braucht aufgeklärte, gut informierte Bürger. Die SRG SSR muss sich im Dienst des Gemeinwesens vorab an diese Citoyens wenden – mit Respekt. Service public ist eine Haltung.
Selbstverständlich muss sich auch ein Service-public-Unternehmen von der marktwirtschaftlichen Nachfrage leiten lassen, aber nicht nur: Viele wertvolle Angebote würden sich kommerziell nicht lohnen. (Zum Beispiel schreibt die junge Kolumnistin Michèle Roten über die «wunderbare Frechheit DRS 2», das manchmal sperrige Kulturradio als nationales Kulturgut.) Werbeeinnahmen sind unerlässlich, um den Service-public-Auftrag in vier Sprachen zu erfüllen. Aber Werbung darf das Angebot nicht bestimmen.

2. Werte

Welche Werte stehen hinter diesem Angebot? Die Service-public-Haltung gründet in der Tradition der Aufklärung, also der Meinungsvielfalt und der Kraft des besseren Arguments, des Verstands und Augenmasses.


Demokratie und Medien sind Kinder der Aufklärung. Doch ein Teil der Medien entfernt sich vom aufklärerischen Gedanken: Das Bewirtschaften von Emotionen verspricht mehr Erfolg als das Bemühen, differenziert zu berichten, argumentativ zu debattieren. Umso wichtiger der Verfassungsauftrag an die SRG, sachgerecht zu informieren und so die Debatte zu versachlichen. Sie muss mit stetem Willen zur «qualité populaire» dem breiten Publikum Zugang zu komplexen Zusammenhängen verschaffen. So bleibt die SRG der Aufklärung treu, die auf Französisch sehr fernsehgerecht les lumières heisst.

3. Ansprüche

Daraus leiten sich drei Ansprüche ab: Kompetenz ist Trumpf: Aufgabe der SRG ist es, zur Wissensgesellschaft und zu einer erkenntnis- und lösungsorientierten Debatte beizutragen. Die SRG soll die politischen Verhältnisse spiegeln, nicht aber aus Lust am Spektakel selbst zur Polarisierung beitragen. Zum Erbe der Aufklärer zählt das Heitere, le plaisir. Nichts ist aufklärerischer als Satire, die menschliche Tücken und Absurditäten auf den Punkt bringt. Shows, die auf die Begabungen der Gäste aufbauen, können Genuss und Gewinn sein. Abgesehen davon ist Unterhaltung ein Verfassungsauftrag an die SRG! Der technische Fortschritt (auch eine Errungenschaft der Aufklärung) beschleunigt sich. 1931 das Radio, danach das mobile Transistorradio, 1953 das Fernsehen, 1984 der Teletext, seit den 1990er Jahren das Internet und die Vielzahl digitaler Geräte: Immerzu verändert sich die Art und Weise, wie Menschen die Medien nutzen. Um auf der Höhe des Medienverhaltens der Gebührenzahler und ihrer Präferenzen zu bleiben, muss die SRG in die Kommunikationstechnologie investieren und laufend ihr wertvolles Know-how aktualisieren.

4. Service public? Service au public

Die SRG ist ein glücklicher Sonderfall. Dank ihrer weltweit einzigartigen, privaten Trägerschaft – einem Verein mit 20'000 Mitgliedern nach dem Milizprinzip – ist sie staatsferner als andere Service-public-Anbieter in Europa; ein Blick über die Grenzen bestätigt es auf Anhieb. Die unabhängige SRG ist dem Volk verpflichtet, das sie finanziert; sie muss sich sowohl um Qualität für ein breites Publikum als auch um mehr Publikum für eher anspruchsvolle Angebote bemühen. Ohne Publikum kein Service public und kein Service au public. «SF bi de Lüt» ist eine Sendung und darüber hinaus Programm.
Mehr und mehr Leute verfolgen SRG-Sendungen nicht unbedingt am Radio und Fernsehen, sondern am PC, Handy oder Tablet. Wie in der analogen Vergangenheit muss die SRG in der digitalen Zukunft dort sein, wo die Gebührenzahlenden sind: attraktiv auch im Internet. Ohnehin sind in jedem Laden Hybrid-TV-Geräte und Set-Top-Boxen zu kaufen, die das Fernsehen und das Surfen vermengen; sie laden den Zuschauer zum Surfen und den Surfer zum Zuschauen ein.
Bild, Ton und Text wandern zum Teil ins Netz. Ton und bewegtes Bild sind die Kernkompetenz der SRG, wiewohl sie seit 1984 im Teletext, seit 1999 im Internet und morgen im Hybrid-TV mit Text aufwartet. Was wäre eine Radio- und Fernsehsendung für Jugendliche und Kinder des Internetzeitalters, wenn sie nicht auch im Netz präsent wäre? «Zambo» wird darum trimedial produziert. Will die SRG ihren Programmauftrag erfüllen und zu diesem Zweck die Zielpublika erreichen, muss sie Sendungen im Internet ausstrahlen, begleiten, ergänzen, vertiefen, Hintergrund- und Kontextinformationen liefern, wie die Konzession es vorsieht.
Doch bleibt es dabei: Ein solides Unternehmen setzt erst einmal auf die eigenen Stärken. Der Service public wird sich eher deutlicher von privaten Anbietern unterscheiden.

5. Neue Akzente

Die 462 Franken Empfangsgebühr (es wären rund 250 Franken, wenn die Schweiz nur eine Landessprache hätte) befähigen und verpflichten die SRG, eigene Akzente im Sinne der journalistischen Relevanz zu setzen. Zur Illustration nur drei Beispiele: Staatspolitische Themen sind so brisant wie parteipolitische. Der gewinnorientierte Medienbetrieb scheut verständlicherweise die monatelange, kostspielige Recherche – die SRG kann hier noch mehr leisten. In Umbruchzeiten hilft das Wissen um unsere Welt und unsere Herkunft, die Zukunft zu gestalten. Die SRG kann stärker noch auf Angebote zur Geschichte und Wissenschaft setzen.

6. Schweizer Miteinander

Medien bilden Gemeinschaften, sie ermöglichen gemeinsames Erleben. Als unersetzliche Institution des nationalen Zusammenhalts trägt die SRG zum lebendigen, farbenfrohen Schweizer Miteinander bei. Sie wird sich da noch stärker einbringen: indem Fernsehen und Radio mehr über andere Landesteile berichten und gezielt die Programmzusammenarbeit unter den Regionen beleben.
In unserem heterogenen Land bietet der Sport gemeinsame Erlebnisse par excellence. Da ist es vielleicht kein Zufall, dass die SRG weit mehr Sportanlässe überträgt als andere europäische Service-public-Sender. Auch sonst schafft die SRG Treffpunkte wie Mx3: Auf diese Internet-Plattform haben schon 15'500 Schweizer Bands ihre Musik hochgeladen, die dann am Radio der vier Landesteile gespielt wird. Oder in der Romandie die Plattform «notrehistoire.ch», auf die jeder Interessierte historische Dokumente etwa aus dem Familienarchiv laden kann – eine Bereicherung des Programms, eine Fundgrube für Historiker und ein Beitrag zum nationalen Erbe. Das ist digitaler Service public.
Bei wachsender Präsenz europäischer Medienhäuser und globaler Riesen wie Apple (mit Apple TV) und Google (mit Google TV und Youtube) sichert die SRG nachhaltig ein eigenständiges Schweizer Angebot, auf das unser kleinteiliges Land angewiesen ist. Dieser Auftrag gewinnt an Bedeutung.

7. Selbstbewusst und selbstkritisch

Die SRG muss für konstruktive Kritik offen sein, Mängel aus eigenem Antrieb korrigieren, Fehler souverän offenlegen. Doch bei allen Stärken und Schwächen: Die Mehrzahl der Gebührenzahlenden weiss, was sie an der nationalen Institution SRG hat. Im Sorgenbarometer der Credit Suisse – einer repräsentativen Umfrage – stehen das Radio und das Fernsehen an der Spitze der vertrauenswürdigen Institutionen: 77 Prozent vertrauen dem Radio, 76 Prozent dem Fernsehen; an dritter Stelle liegt das Bundesgericht mit 72 Prozent.
Die SRG hat einigen Grund, den Service-public-Gedanken, der wichtiger wird, sachlich, engagiert und selbstbewusst zu vertreten. Noch mehr Grund wird sie haben, wenn sie nach Defizitjahren zu den schwarzen Zahlen zurückfindet, wie dies das Budget 2011 vorsieht. Leicht wird das nicht unbedingt. Bleibt ein neuer Einbruch der Wirtschaft aus, ist dies jedoch zu schaffen.




Mein Kommentar zu den 7 Punkten:


Zu Pt 1:

In einer Demokratie ist es wichtig, die Bürger  unabhängig von der Werbung zu informieren. Doch darf der Quasi Monopolbetrieb keinen anwaltschaftlichen Journalismus pflegen. Die Unabhänigigkeit ist ein zentraler Anspruch. Auch die Unabhängigkeit von Parteien oder Interessengruppen.


Zu Pt 2:

Wenn die Kraft des bessern Argumentes zählt, so dürfen nicht die Medienleute bestimmen, welches Argument besser oder sachgerechter ist. Bei diesem Punkt unterstreiche ich das Wort Meinungsvielfalt!

Zu Pt 3:



Hier gibt es zu folgendem Satz etwas zu sagen:

Aufgabe der SRG ist es, zur Wissensgesellschaft und zu einer erkenntnis- und lösungsorientierten Debatte beizutragen. Die SRG soll die politischen Verhältnisse spiegeln, nicht aber aus Lust am Spektakel selbst zur Polarisierung beitragen.

Es ist erstrebenswert, lösungsorientierte Debatten zu führen. Fragwürdig wäre es, wenn polarisierte Situationen künstlich geglättet würden und Debatten (kommt von battre=schlagen) pointierte Debattierern Ringverbot auferlegt werden könnte. Mit der Begründung - die Person X oder Y trägt zu wenig zu Lösungen bei - könnten pointierte Politiker mundtot gemacht werden. Das dürfte nicht geschehen.

Zu Pt 4:

Das ist für  mich ein Schlüsselsatz:


Will die SRG ihren Programmauftrag erfüllen und zu diesem Zweck die Zielpublika erreichen, muss sie Sendungen im Internet ausstrahlen, begleiten, ergänzen, vertiefen, Hintergrund- und Kontextinformationen liefern, wie die Konzession es vorsieht.
Doch bleibt es dabei: Ein solides Unternehmen setzt erst einmal auf die eigenen Stärken. Der Service public wird sich eher deutlicher von privaten Anbietern unterscheiden.


Zu Pt 5:

Kostspielige Sendungen mit langen Recherchen tragen dazu bei, Themen nicht nur oberflächlich zu behandeln. Mit gut recherchiertem Journalismus können sich die elektronischen Medien, wie auch Fachzeitungen dem Kurzfutter der Gratiszeitungen die Stirne bieten. Das Geld für Recherchen anstatt für teure Reisen (bösartig "Ferienreisen" genannt) einzusetzen - dagegen ist nichts einzuwenden.

Zu Pt 6:

Kein Kommentar: Alles klar



Zu Pt 7:

Ich bin überzeugt: Wenn die SRG den Leistungsauftrag ernst nimmt und erfüllt, so wird sie Vertrauen schaffen. Man kann damit den Sendern trauen und sie werden somit die Glaubwürdigkeit asubauen.




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