Der heutige Beitrag in 20 Minuten wirft rechtliche Fragen auf und könnte Folgen haben. On verra:
Fernsehen hat Parlamentarier belauscht
Die Dokumentarfilmer des Schweizer Fernsehens haben Politiker belauscht. Ohne Bewilligung und ohne Wissen der Betroffenen haben sie während der Bundesratswahl Tonaufnahmen gemacht.
Wenn Nationalräte geheime Strategien aushecken, wollen sie nicht von Journalisten belauscht werden. Deshalb ziehen sie sich dafür gerne in den Ratsaal zurück, wo die Medien keinen Zugang haben. Doch nun lauscht auch dort das Schweizer Fernsehen mit. Während der Bundesratswahl am
Unauffälliges Knopfmikrofon platziert
Im Rahmen der Reihe «Reporter» zeigte das Schweizer Fernsehen am Mittwochabend ein Portrait von SVP-Präsident Toni Brunner. Dafür begleitete ihn ein Team während mehrerer Tage. Während der Bundesratswahl erhielt er ein Knopfmikrofon ans Jacket — zwar sichtbar, aber völlig unauffällig. Denn Journalisten ist mit Ausnahme von Kameraleuten und Fotografen der Zutritt zum Ratssaal verboten. Das Mikrofon zeichnete an diesem hektischen Morgen nicht nur Brunners Stimme auf, sondern auch die Aussagen seiner politischen Gegner.
Das Fernsehen hat für den Dokumentarfilm nun solche Aufnahmen von SP-Fraktionschefin Ursula Wyss verwendet — ohne deren Wissen. «Ich finde ein offenes Mikrofon im Saal inakzeptabel», sagt Wyss gegenüber 20 Minuten Online. Sie habe weder an jenem Morgen gewusst, dass ihre Aussagen aufgenommen werden, noch habe sie das Fernsehen danach angefragt, ob es die Aufnahmen verwenden dürfe. Den Film hat Wyss nicht gesehen, doch wundert sie sich über Brunner: «Ich finde es seltsam von ihm, dass er als lebendige Wanze herumläuft.»
«Sicher keine Bewilligung eingeholt»
Bei den Parlamentsdiensten, die auch für die Zulassung der Journalisten im Bundeshaus zuständig sind, weiss man ebenfalls nichts von den Aufnahmen: «Bei uns hat sicher niemand eine Bewilligung für diese Tonaufzeichnung eingeholt», sagt der Informationsbeauftragte Mark Stucki. Er findet es problematisch, wenn Tonaufnahmen ohne Wissen der betroffenen Person gemacht werden. «Besonders heikel ist es im Ratssaal selbst, weil dieser in gewissem Sinne ein geschützter Raum sein sollte», so Stucki. Rechtlich will er sich nicht festlegen: «Dieser Fall ist nicht explizit geregelt.» Immerhin besagt jedoch die Parlamentsverwaltungsverordnung, dass für Aufzeichnungen in den Räten selber eine Bewilligung nötig sei (Artikel 15).
Das Schweizer Fernsehen findet die Aufnahme nicht problematisch: «Der Nationalratssaal ist kein privater Raum, sondern einsehbar und einhörbar», sagt der zuständige Redaktionsleiter Christoph Müller. Er glaubt auch nicht, dass es eine verdeckte Aufnahme war. «Das Knopfmikrofon war am Jacket sichtbar angebracht.» Doch auch Müller gibt sich rückblickend ein bisschen zerknirscht: «Es wäre ohne Zweifel klüger gewesen, Ursula Wyss im Voraus anzufragen.»
Aus 20 Min:
Chancen für Verurteilung stehen gut
Das SF wie aber auch Toni Brunner stehen unter Beschuss: Die verdeckten Tonaufnahmen verstossen nämlich nicht nur gegen den Artikel 15 der «Bundeshausordnung», sondern wahrscheinlich auch gegen die Artikel 179 bis und ter des Strafgesetzbuches. Diese besagen, dass ein privates Gespräch ohne Einwilligung der beteiligten Personen nicht aufgenommen werden darf. Es spiele keine Rolle, ob dieses in einer Beiz, im Ratssaal oder in der Wandelhalle geschehe, erklärt der Medienrechtler Franz A. Zölch. Es muss sich nur um ein persönliches Gespräch handeln. «Toni Brunner muss die Gesprächspartner über die Aufnahme informieren». Laut Aussagen von Ursula Wyss hat Brunner dies unterlassen. «Die Chancen für eine Verurteilung im Falle einer Anzeige stehen gut», sagt der Basler Anwalt und Dozent für Medienrecht, Georg Gremmelspacher. Möglicherweise die Rettung für Brunner ist seine Immunität, die ihn als Nationalrat vor einem Strafprozess schützt. Das Parlament müsste diese aufheben.
Brunner hatte sich gegenüber 20 Minuten Online gerechtfertigt, das SF habe ihn nicht auf die rechtliche Situation hingewiesen. Diesen Einwand ist für Gremmelspacher unhaltbar. Brunner gehöre schliesslich dem Parlament an, welches Gesetze erlässt: «Er kann nicht sagen, er hätte nie ins Strafgesetz geschaut. Brunner hängt mit drin», ist für Gremmelspacher klar. Er findet die ganze Angelegenheit «ungeheuerlich».
Völlig neuer Fall
Eine völlig neue Angelegenheit ist die unwilligte Tonaufzeichnung im Bundeshaus für Peter Studer, ehemaliger SF-Chefredaktor, Ex-Präsident des Presserates und Experte für Medienrecht. «Von so einem Fall habe ich noch nie gehört», erklärt er auf Anfrage. Er will sich nicht dezidiert über den Fall äussern, stellt aber klar: «Auch Fernsehjournalisten haben sich an die Hausordnung zu halten». Er hofft, dass der SF-Reporter Brunner über die Gesetzeslage instruiert hat. Genau dies bestreitet aber Brunner.
Entschuldigung gefordert
Wie es genau zu den Aufnahmen gekommen ist, ist nach wie vor unklar. Nationalratspräsidentin Chiara Simoneschi-Cortesi verlangt deshalb vom Schweizer Fernsehen eine Erklärung über die genauen Umstände der Mithöraktion. Für Medienrechtler Georg Gremmelspacher ist schon jetzt klar: «Das Schweizer Fernsehen wie auch Toni Brunner müssen sich bei den betroffenen Personen entschuldigen.»
Parlamentsverwaltungsverordnung
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Art. 15 Andere Aufzeichnungen Personen, welche in den Räten selber Aufzeichnungen machen wollen, bedürfen einer Bewilligung des Büros des jeweiligen Rates.
Strafgesetz Artikel 179 bis Art. 179bis 1 Abhören und Aufnehmen fremder Gespräche
Wer ein fremdes nichtöffentliches Gespräch, ohne die Einwilligung aller daran Beteiligten, mit einem Abhörgerät abhört oder auf einen Tonträger aufnimmt,
wer eine Tatsache, von der er weiss oder annehmen muss, dass sie auf Grund einer nach Absatz 1 strafbaren Handlung zu seiner Kenntnis gelangte, auswertet oder einem Dritten bekannt gibt,
wer eine Aufnahme, von der er weiss oder annehmen muss, dass sie durch eine nach Absatz 1 strafbare Handlung hergestellt wurde, aufbewahrt oder einem Dritten zugänglich macht,
wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
Art. 179 ter Unbefugtes Aufnehmen von Gesprächen
Wer als Gesprächsteilnehmer ein nichtöffentliches Gespräch, ohne die Einwilligung der andern daran Beteiligten, auf einen Tonträger aufnimmt,
wer eine Aufnahme, von der er weiss oder annehmen muss, dass sie durch eine nach Absatz 1 strafbare Handlung hergestellt wurde, aufbewahrt, auswertet, einem Dritten zugänglich macht oder einem Dritten vom Inhalt der Aufnahme Kenntnis gibt,
wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft
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Der Chef schaltet sich ein: In der Affäre um unbewilligte Tonaufnahmen des Schweizer Fernsehens im Nationalratssaal hat sich nun Chefredaktor Ueli Haldimann zu Wort gemeldet. Einsichtig zeigt er sich nicht. Den einzigen Fehler sieht er darin, Ursula Wyss nicht darüber informiert zu haben, dass ein Zitat von ihr ausgestrahlt wird. Die vermutlich unerlaubte Art und Weise findet er nicht problematisch, wie aus einer schriftlichen Stellungnahme Haldimanns hervorgeht.
SF-Chefredaktor Haldimann rechtfertigt die Aufzeichnungen mit den Gewohnheiten von Dokumentarfilmern: «Die Verkabelung des Protagonisten eines dokumentarischen Films ist eine absolut gängige Methode.» Das Ansteckmikrofon sei «prima sichtbar, wie auf Photos erkennbar ist», schreibt Haldimann. Rechtlich ist dieses Argument kaum relevant. Zudem dürften Parlamentarier in der Hektik der Bundesratswahl kaum darauf geachtet haben.
Möglicherweise Dutzende Parlamentarier betroffen
Wenig Achtung scheint Haldimann vor der Hausordnung im Bundeshaus zu haben. So spricht er von «angeblichen» Übertretungen und davon, dass audiovisuelle Aufnahmen «verboten sein sollen». Dabei schreibt die Parlamentsverwaltungsverordnung klar vor, dass für alle audiovisuellen Aufnahmen im Ratssaal eine Bewilligung des Ratsbüros vorliegen muss (Art. 15). Ausgenommen sind die protokollähnlichen Aufzeichnungen der Debatte, die die Parlamentsdienste vornehmen. Davon habe der Regisseur Roland Huber nichts gewusst, nimmt Haldimann seinen Mitarbeiter in Schutz.
Doch nicht die ausgestrahlten Passagen seien das Problem, sagt SP-Fraktionschefin Ursula Wyss, sondern dass das Fernsehen möglicherweise Aussagen von Dutzenden Parlamentariern mitgeschnitten hat. «Viele andere sind davon auch betroffen», sagt Wyss. Sie macht sich auch Sorgen, was mit dem Material passiert: «Es könnte auch erst in einigen Monaten noch verwendet werden.» Laut SF wird das unveröffentlichte Material nicht mehr weiter verwendet und nach Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist von vier Monaten gelöscht.
SF schützt «Interna» vor
Zu diesem Material gibt sich das Schweizer Fernsehen zugeknöpft: «Wir geben grundsätzlich keine Auskunft zu unveröffentlichem Material», sagt SF-Mediensprecher David Affentranger. Die Bundesratswahl hat rund eine Stunde gedauert, so lange dürfte auch das Material sein. Welche anderen Parlamentarier noch darauf zu hören sind, kann Affentranger aus obigem Grund ebenfalls nicht sagen. Zumindest von Gesprächen mit Beinahe-Bundesrat Hansjörg Walter (SVP/TG) dürften einige heikle Passagen aufgezeichnet sein. Schliesslich lautet auch bei der Frage, wieviele Leute die unbewilligte Tonaufzeichnung gehört haben, die lapidare Antwort Affentrangers: «Das sind Interna.»
Zu dieser Geschichte gibt es nur ein Wort: Verzwickt!
Nachtrag Tagi 21. Dez.08:
Lauschangriff: SF entschuldigt sich
Ueli Haldimann, der Chefredaktor des Schweizer Fernsehens (SF), hat sich nach dem Lauschangriff des SF bei SP-Fraktionschefin Ursula Wyss entschuldigt. Für Ursula Wyss wiegt der Vertrauensmissbrauch zwischen dem Fernsehen und den Parlamentariern schwer.
Kommentar: Ob diese Entschuldigung genügt? Ueli Haldimann hat noch alte Klagen am Hals. Die Geschichte mit der versteckten Kamera in einer Arztprxis ist noch nicht vom Tisch. Für ihn kann es noch eng werden.
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