Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey:
Sie nimmt kein Blatt vor dem Mund ___________________________
Die "öffentliche Diplomatie" von Micheline Calmy-Rey wurde zwar stark kritisiert. Sie hat aber der Schweiz eine starke Sichtbarkeit im Ausland gebracht. Kürzlich erst hatte sie - nachdem sie schon öfters am Unilateralismus der US-Aussenpolitik gekratzt hat - öffentlich die "unverhältnismässigen" israelischen Angriffe auf den Libanon und den Gazastreifen beanstandet. Sie forderte auch die Kandidatur der Schweiz für den UNO-Sicherheitsrat. Freimut, klare eindeutige Positionen und Überraschungscoups - wie die Überschreitung der Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea - machten Calmy-Rey zwar zum "Liebling" der Medien und zur beliebtesten Bundesrätin. Doch dieser direkte Stil des Politisierens ist vielen sauer aufgestossen. Kritik kommt namentlich aus der bürgerlichen Ecke, hauptsächlich von der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Angeprangert wird ihr "Aktivismus", der gegen die Neutralität der Schweiz gerichtet sei. Von Ueli Maurer (Präsident der SVP) wurde sogar gefordert, sie solle ihr Aussendepartement abgeben.
Der Spagat
Eine "statische" Vision der Neutralität, wischt die Chefin der Schweizer Diplomatie mit einer Handbewegung vom Tisch.
"Wer schweigt, wenn unschuldige Zivilisten zum Spielball militärischer Aktionen werden oder wer sich nicht gegen den Terror auflehnt, ist nicht neutral, sondern einverstanden", sagt sie immer wieder.
Aktion oder Selbst- Promotion? Die Über-Mediatisierung der kleinsten Aktion unserer Aussenministerin ist für viele ebenfalls ein Aergernis. Die Kritiker fragen sich, ob es sich bei den öffentlichen Auftritte wirklich immer um reale Aktionen handelt oder ob es bei ihr nicht manchmal eher um gezielte PR-Aktionen geht.
Stur, gradlinig, leicht egozentrisch»
Den nationalkonservativen Kräften geht es jedoch um etwas anderes: Die von Calmy-Rey propagierte «aktive Neutralität» und ihr profiliertes Auftreten als Aussenministerin sind ihnen ein Dorn im Auge. Auch im Bundesrat kommt ihr forsches Vorgehen selten gut an: So musste das Kollegium Calmy-Rey mehrmals zurückpfeifen, etwa als sie sich wiederholt für die formelle Unabhängigkeit Kosovos aussprach oder israelische Völkerrechtsverletzungen im Libanonkrieg anprangerte.
Vier Politiker beschrieben die Aussenministerin in drei Stichworten:
Nach unserem Dafürhalten werden Calmy-Rey und Blocher die Wogen der Kritik überstehen.
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Ein Interview, das zu reden gab
Das Interview wurde nicht live, sondern am Mittwoch kurz nach 20 Uhr im Bundeshaus-Studio aufgezeichnet. Micheline Calmy-Rey war müde, hatte Hunger und musste bei der Aufzeichnung aus technischen Gründen eine Viertelstunde warten. Im Studio soll sie gesagt haben: «Lange warte ich nicht mehr. Sonst gehe ich.» (Quelle: Blick)
Daniela Lager befragte die frischgewählte Bundespräsidentin. «10 vor 10» zeigte im Filmbeitrag Calmy-Reys Wirken als Aussenministerin. Die Bundesrätin hatte die Sequenzen zuvor gesehen. Aber sie realisierte nicht , dass nach der schlechten Wahl auch kritische Fragen gestellt werden mussten. Blick fand, die Bundesrätin sei einseitig dargestellt worden. Die Boulevardpresse zeigte seit Jahren vor allem die positiven Seiten der Aussenministerin.
Dem BLICK verriet Calmy-Rey: «Da wurde nicht ICH gezeigt. Ich lasse mich nicht auf solche Bilder reduzieren. Sie geben nicht meine Arbeit wieder.»
Wir haben die Sendung mehrmals angeschaut und kommen zu einem völlig anderen Schluss. Die Wut der Bundespräsidentin ist nicht berechtigt.
Daniela Lager hatte nachweisbar einen guten Job gemacht.
Sie hat beides - die Höhen und Tiefen der Aussenministerin - angesprochen,
Micheline Calmy-Rey antwortete im ersten Teil vorbildlich.
Nur am Schluss verlor sie die Nerven.
Die Filmsequenz beweist, dass Bundesrätin Calmy-Rey im ersten Teil rhetorisch sehr geschickt geantwortet hatte: Auf die Frage, was der Grund sein könnte, dass so viele Parlamentarier den Respekt verweigert haben sagte sie:
"Fragen Sie diese!"
Auch die Begründung des schlechten Resultates, beantwortete die Magistratin geschickt:
Das sei logisch, sagte sie, denn die beste Aussenministerin wäre jene, die in allen vier Landessprachen schweigt."
Erst auf die Frage nach den Auftritten der künftigen Bundespräsidentin reagiert Micheline Calmy-Rey ungehalten und sauer. Sie liess durchblicken, dass sie auch als Bundespräsidentin ihren Einsatz für die Minderheiten weiter pflegen werde (Damit verriet sie indirekt, dass sie sich als Aussenministerin nicht an den bisherigen Modus halten werde).
Kommentar:
Nachtrag vom 1.1.07:
Recherchen haben uns nun bestätigt, dass die angehende Bundespräsidentin Texte und Bilder des umstrittenen Interviews perönlich abgesegnet hatte. Damit ist es uns unverständlich, dass nachträglich so getan wurde, als sei die Bundesrätin unfair behandelt worden. Dass die Bundesrätin aus technischen Gründen etwas warten musste, das stimmt. Doch muss eine Magistratin fähig sein, mit Stress und Kritik umzugehen.
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Aufschlussreicher Kommentar über die Aussenministerin. Quelle: espace.ch:
Jenseits der Rhetorik und Symbolik betreibt die 61-jährige Calmy-Rey eine höchst pragmatische Aussenpolitik: In Verhandlungszimmern in Brüssel und in drei eidgenössischen Abstimmungskämpfen hat sie tatkräftig mitgeholfen, den bilateralen Weg zu sichern. Das ist der Weg, auf dem die Wirtschaft das Glück der Schweiz sieht. In Interviews verurteilt die sozialdemokratische Calmy-Rey furios EU-Versuche, die kantonale Steuerhoheit und damit den Schweizer Steuerwettbewerb anzutasten.
Im Wissen, dass die Schweiz noch viele Jahre nicht der EU beitreten wird, hat die Aussenministerin zudem eine sanfte Akzentverschiebung auf andere Weltregionen eingeleitet, um hier Türen für Schweizer Unternehmen und Produkte zu öffnen.
Auch jene Unternehmen, die am umstrittenen Ilisu-Stau-dammprojekt in der Türkei mitverdienen wollen, können mit dem Verständnis von Calmy-Rey rechnen. Auf jeden Fall sind aus dem Aussenministerium auffällig zurückhaltende Töne zu hören, wenn es um die Frage geht, ob der Bundesrat eine Exportrisikogarantie gewähren soll: Ein kategorisches Nein, so heisst es, würde in der Türkei als Affront verstanden und könnte die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen belasten.
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So viel Realismus und Pragmatismus passt in der SP nicht allen. Vor allem in der EU-Frage sind einige verunsichert: Sie wissen nicht, ob der von der SP in Wahlmanifesten geforderte Beitritt der Aussenministerin überhaupt ein Anliegen ist. Auch dass die Sozialdemokratin der EU im Kampf um die kantonalen Steuerpraktiken so deutlich die Zähne zeigt, missfällt vielen in der SP. Immerhin will die Partei mit einer Volksinitiative den Steuerwettbewerb eindämmen.
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Anderen in der Partei bereitet Calmy-Reys Führungsstil Sorge. Denn neben der charmanten Seite, die das Publikum sieht, gibt es auch die schwierige Seite, die Leute in ihrem engeren Umfeld zu spüren bekommen. Calmy-Rey wird als stur und extrem fordernd beschrieben, wobei nicht immer alle Forderungen erfüllbar seien. Zudem falle es der Chefin schwer zu delegieren, zu häufig kümmere sie sich um Details. Die SP beobachtet das Geschehen im Aussendepartement aufmerksam, um mit dem Feuerlöscher herbeizueilen, falls aus dem Rauch plötzlich ein Brand wird.
Noch etwas irritiert SP-Strategen. Calmy-Rey, so heisst es, sei im Bundesrat ziemlich isoliert. Es falle ihr schwer, Allianzen zu schmieden, zusammen mit Kollegen nach Kompromissen zu suchen und auf diese Weise über ihre Dossiers hinaus Einfluss zu nehmen.
Das schmerzt die SP umso mehr, als sich Moritz Leuenberger ebenfalls nur mit begrenztem Ehrgeiz in die Geschäfte der bürgerlichen Kollegen einmischt. Aber von all dem wird im Communiqué der SP zur heutigen Wahl der neuen Bundespräsidentin selbstverständlich nichts stehen.
Patrick Feuz
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