Sonntag, 5. Februar 2017

Im Kreuzfeuer der Medien

Nicht abstreiten und nicht überreagieren

Publiziert in den SN am
Zuerst überlegen und erst nach einer Denkpause antworten. Steht jemand im Kreuzfeuer der Medien, ist das oberstes Credo. Die Antwort muss wahr sein – aber nicht alles, was wahr ist, muss gesagt werden.

Das Medienhaus Ringier, das auch den «SonntagsBlick» herausgibt, entschuldigte sich bei Thomas Borer – und bezahlte ihm Schmerzensgeld. Die Geschichte um den ehemaligen Botschafter und seine angebliche Affäre zog riesige Kreise. 





von Marcus Knill
Berichte über Skandale sind Quotentreiber in den Medien. Vor allem der Mix aus prominenter Persönlichkeit, Sex, Fehlverhalten und Emotionen verkauft sich gut – nicht nur in der Regenbogenpresse. Wer hat nicht schon die Ohren gespitzt, wenn jemand eine Klatschgeschichte erzählte? Alltagsinformationen hingegen werden von vielen nur überflogen.
Als sich jüngst etwa der ehemalige CVP-Parteipräsident Christophe Darbellay zu seinem Seitensprung mit Folgen bekannte, wurde dies blitzartig zum Medienthema. «Darbellay wird nach Seitensprung erneut Vater» und ähnliche Titel prägten die Berichterstattung. Die Journalisten stellten sich die berechtigte Frage, ob der Seitensprung und das aussereheliche Kind des ehemaligen Chefs der CVP (ausgerechnet eine Familienpartei!) den Christdemokraten schaden könnten.

Homestory als Widerspruch

Auch ich analysierte das «Skandälchen» und kam zum Schluss: Darbellay kommunizierte richtig. Er informierte offen und ehrlich über die Situation. Er beschönigte nichts. Leider machte er während seiner Präsidialzeit den verbreiteten Fehler, sich in Homestorys als besonders fürsorglicher, liebender Vater feiern zu lassen. Deshalb steht er nun trotz seines Schuldeingeständnisses recht unglaubwürdig da. Ich bin bei dieser Geschichte der Meinung, dass Darbellays Fehltritt lediglich seiner persönlichen politischen Karriere schaden wird. Die CVP handelte richtig, indem sie zwischen Person und Partei differenzierte. Glück für die Partei war sicherlich, dass das Präsidium unter der neuen Führung von Gerhard Pfister einen klaren Kurs fährt.

Am Anfang die Weichen stellen

Skandalisierungen folgen bestimmten Gesetzesmässigkeiten. Wer nachgewiesene Skandale bestreitet, beschönigt oder unter den Teppich kehrt, beschleunigt lediglich die Eskalation. Rasche, offene Kommunikation und Schuldeingeständnisse helfen hingegen, die Skandalierungsspirale zu bremsen, wenn nicht sogar zu stoppen. Entscheidend ist dabei vor allem die erste Reaktion. Den wenigsten ist aber bewusst, wie man mit den ersten Worten die Weichen richtig stellen kann. Generell kann festgestellt werden, dass sich die Skandalierten in der Regel als Opfer fühlen und am Anfang meist falsch handeln. Wer gleich bei der ersten Anfrage den Kopf verliert und sich provozieren lässt, wird keinen Erfolg haben. Es ist aber auch völlig falsch, abzutauchen, im Glauben, alles gehe schon vorbei, bald würde eine andere Sau durchs Dorf getrieben. Dennoch dementieren viele Betroffene Fakten, lügen und stellen sich damit zwangsläufig selbst ein Bein.

Die Affäre Borer

Die Grundmuster der Skandale in den Medien sind ähnlich: Die Medien stellen den Sachverhalt einer bestimmten Richtung folgend dar. Aus einem Gerücht wird ein nachvollziehbares Bild entwickelt, in dem Emotionen dominieren. Das Beispiel von Thomas Borer ging in die Mediengeschichte ein. Die Story um die angebliche Affäre mit einer Nackttänzerin eskalierte Schritt für Schritt. Titel wie «Borer und die nackte Frau» oder «Was geschah in der Botschaft?» prangten in grossen Lettern auf den Titelseiten.
Der Diplomat machte bei der angehenden Skandalisierung genau das, was nach dem mittlerweile verstorbenen Mediensoziologen Kurt Imhof nie gemacht werden darf: Sich sofort über die Geschichte auslassen. Borer hätte den ganzen Wirbel verhindern können mit der eindeutigen Antwort: «Das ist eine private Angelegenheit!» Wäre nachher dennoch etwas publiziert worden, hätte er erfolgreich klagen können. Imhof wies damals darauf hin, dass der Skandalierte zwar nicht dementieren dürfe, wenn eine Geschichte stimme, dass er den Sachverhalt aber nicht diskutieren müsse. Wenn er sich auf das Medienspiel einlasse, sei es im Nachhinein für jeden Befreiungsschlag zu spät.
Anders sah das ein Kommunikationsberater von Thomas Borer. Noch bevor er für ihn arbeitete, sagte er einst in der NZZ: «Liegt ein schwerer Angriff vor, ist alles abzustreiten oder dann, wenn es gegeben ist, kurz und sofort zu erwidern.» Dies Sicht gilt heute als völlig überholt. Imhof lehnte diesen Rat eindeutig ab. Er kommentierte damals: «Wer dementiert, liefert Zündstoff für die Lügendiskussion und heizt die Sieg-Niederlage-Dynamik unnötig an. Das Abstreiten ist ebenso falsch wie das zu rasche Reagieren.»

«Mea culpa» als Rettungsring

Machtlos sind die Betroffenen bei einer Skandalisierung aber nicht. Es geht darum, Denkzeit zu gewinnen. Das Wichtigste ist, Ruhe zu bewahren und die Nerven nicht zu verlieren. Es gilt, die Sachverhalte zu klären, sich mit Vorgesetzten, einem Berater oder einer Vertrauensperson abzusprechen. So kann eine plausible Antwort gefunden werden. Mich beeindruckte vor einigen Jahren der deutsch-französische Talkshowmoderator Michel Friedman. Er ist der Erfinder der Fernsehverhöre «Vorsicht Friedman». Nach den vermuteten Verfehlungen des Fernsehmanns wurde er dann selbst hart verhört. Friedman geriet in den Verdacht, gegen das Betäubungsmittelgesetz verstossen zu haben. Auch soll er unter dem Decknamen «Paolo Pinkel» bei einem Zuhälterring Prostituierte angefordert haben. Friedman verlor den Job als Moderator und wurde geächtet. Obwohl weder überführt noch verurteilt, musste er sich wochenlang harte Fragen gefallen lassen. Der Verdacht war Grund genug, den mutmasslichen Skandal an prominenter Stelle zu thematisieren. Wie verhielt sich nun dieser Medienprofi in der verzwickten Situation?
Im Tief bereitete er eine Medienkonferenz vor und entschuldigte sich in aller Form für seine Taten. Seine Devise: in heiklen Situation nie schweigen. Als er in einer Fernsehsendung hart angepackt wurde, unterstrich er mit engagierter Stimme: «Ich habe deutlich gesagt: Ich habe Mist gebaut. Sind wir eigentlich im Mittelalter? Muss ich noch den Kopf aufs Schafott legen? Ich wiederhole ohne Wenn und Aber: Ich habe Fehler begangen und werde dafür bestraft. Genügt das nicht? Ich akzeptiere die Strafe.» Friedman hatte die Grösse, zu seinen Fehlern zu stehen. Er bat um eine zweite Chance – und hat sie bekommen. Vier Monate nach seiner Kokain-Beichte war Michel Friedman auf dem Bildschirm zurück. Mehr als sechs Millionen Zuschauer sahen ihn am Sonntag als Talkgast bei Sabine Christiansen. Sein «Mea culpa» zahlte sich aus.
Auf meiner Website «rhetorik.ch» habe ich zahlreiche weitere Fälle von Skandalen ausführlich geschildert. Darunter den von Jörg Kachelmann, welcher der Vergewaltigung beschuldigt worden war, jenen von Geri Müllers Nackt­selfies oder den vom Zuger Sexskandal um Jolanda Spiess-Hegglin und Markus Hürlimann. All diese Skandale eskalierten durch ungeschicktes Kommunikationsverhalten der Betroffenen. Die Folgen – endlose Geschichten – waren somit weitgehend selbst verschuldet. Die Entschädigungen, die später entrichtet werden mussten, konnten den angerichteten Schaden nicht mehr wettmachen.

Marcus Knill: Experte für Medienrhetorik. Er schreibt in loser Folge für die SN.

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