Die Vergangenheit hat ihn eingeholt
Günter Grass als Jungnazi
Der spätere Schriftsteller als Soldat
Aus NZZ:
Für
Erregungen war dieser Autor schon immer gut. Als ihn 1959 sein Roman
«Die Blechtrommel» auf einen Schlag berühmt machte, teilte sich die
Leserschaft in Bewunderer und Angeekelte. War das nun Weltliteratur oder
einfach ein Elaborat aus groben Schnitten, Pornografie und Nihilismus?
Unter schweren Beschuss geriet Günter Grass selbst noch als alter Mann:
2006, ein Jahr vor seinem achtzigsten Geburtstag, verriet er in der
Autobiografie «Beim Häuten der Zwiebel» seine jugendliche Mitgliedschaft
in der Waffen-SS. Lange hatte der zum Nobelpreisträger und zur
moralischen Instanz Aufgestiegene darüber geschwiegen, umso grösser war
nun die allgemeine Empörung. Und 2012, nach der Publikation seines
israelkritischen Gedichts «Was gesagt werden muss», stand er plötzlich
als halber Antisemit im öffentlichen Raum.
Eine Apologie liegt den Kuratoren indessen fern, ihr wissenschaftliches Bemühen um Objektivität ist unverkennbar. Mehr als siebzig digitale Folien bietet die neue Multimedia-Station auf, und man sieht nicht nur Fotos von Grass als Hitlerjunge und Soldat, sieht Altersgenossen in Uniform oder findet Erläuterungen zum Einfluss der Kriegserfahrung auf das Gesamtwerk. Auch die Medienschlacht um seine SS-Entblössung ist dokumentiert, ohne dass die Invektiven der Kritiker zu kurz kommen. In Erinnerung wird freilich auch gerufen, dass Grass bereits 1963 Klaus Wagenbach bei einem Interview im Tessin verriet, in der Waffen-SS gewesen zu sein. Die damals geplante Biografie über Grass erschien nie, die handschriftlichen Notizen Wagenbachs sind in der Ausstellung nun im Original zu sehen. Lapidar ist dort vermerkt: «Marschbefehl zur Kompanie, zuerst Schlesien, dann Berlin, Gruppe Steiner (SS).»
Warum aber das spätere lange Schweigen? Grass sagt: Aus Scham. Das mag man ihm glauben, klar ist indes auch, dass es ab den späten Sechzigern für seine Rolle als grosser Mahner politisch nicht opportun gewesen wäre, seine Zugehörigkeit zur SS aufzudecken. Mit zehn Jahren war Grass Pimpf, mit vierzehn Hitlerjunge, mit fünfzehn endete für ihn die Schule, und er wurde Luftwaffenhelfer, mit sechzehn Soldat, mit siebzehn Kriegsgefangener. Daraus kann ihm niemand einen Strick drehen. Aus seinem Schweigen über die SS aber schon. Was er auch einräumt.
Erstaunlicherweise wirkt die Urschrift wie eine Reinschrift, die Eingriffe sind minimal – was nicht die Regel ist, die Manuskripte anderer Romane sind voller Korrekturen. Auch gibt es, wie Museumsleiter Thomsa sagt, «im Manuskript keine Überraschungen, keine inhaltlichen Abweichungen von der Druckfassung». Was daraus zu schliessen ist, dass Günter Grass die «Zwiebel» offenkundig in einem Rutsch herunterschrieb, bleibt eine offene Frage.
LINKS:
2012
brach der Leiter Jörg-Philipp Thomsa, ein Germanist und Historiker, mit
dem alten Konzept. Nach all den Debatten um Grass liess sich der
zeitgeschichtliche Kontext des Schaffens nicht mehr aussparen. Fünf
Stationen gliedern seitdem den Hauptraum der Ausstellung nach Grassschen
«Lebensthemen», als da wären: Nationalsozialismus,
Geschlechterverhältnisse, politisches Engagement, Literatur und Kunst,
Skandale. Jedes Modul besteht aus Einleitungstexten und Grafiken an der
Wand sowie Multimedia-Tischen mit Schubladen und Touchscreens, an denen
sich digital aufbereitete Materialien erschliessen lassen. Stoff ist
übergenug vorhanden, denn das Archiv des Museums besitzt alle
Manuskripte von Grass seit 1996 (ältere lagern in Berlins Akademie der
Künste) sowie mehr als 1200 bildkünstlerische Arbeiten.
Eine Apologie liegt den Kuratoren indessen fern, ihr wissenschaftliches Bemühen um Objektivität ist unverkennbar. Mehr als siebzig digitale Folien bietet die neue Multimedia-Station auf, und man sieht nicht nur Fotos von Grass als Hitlerjunge und Soldat, sieht Altersgenossen in Uniform oder findet Erläuterungen zum Einfluss der Kriegserfahrung auf das Gesamtwerk. Auch die Medienschlacht um seine SS-Entblössung ist dokumentiert, ohne dass die Invektiven der Kritiker zu kurz kommen. In Erinnerung wird freilich auch gerufen, dass Grass bereits 1963 Klaus Wagenbach bei einem Interview im Tessin verriet, in der Waffen-SS gewesen zu sein. Die damals geplante Biografie über Grass erschien nie, die handschriftlichen Notizen Wagenbachs sind in der Ausstellung nun im Original zu sehen. Lapidar ist dort vermerkt: «Marschbefehl zur Kompanie, zuerst Schlesien, dann Berlin, Gruppe Steiner (SS).»
Warum aber das spätere lange Schweigen? Grass sagt: Aus Scham. Das mag man ihm glauben, klar ist indes auch, dass es ab den späten Sechzigern für seine Rolle als grosser Mahner politisch nicht opportun gewesen wäre, seine Zugehörigkeit zur SS aufzudecken. Mit zehn Jahren war Grass Pimpf, mit vierzehn Hitlerjunge, mit fünfzehn endete für ihn die Schule, und er wurde Luftwaffenhelfer, mit sechzehn Soldat, mit siebzehn Kriegsgefangener. Daraus kann ihm niemand einen Strick drehen. Aus seinem Schweigen über die SS aber schon. Was er auch einräumt.
Eine Urschrift fast ohne Eingriffe
Grass schreibt mit der Hand. Seine Aufrisse von Romanen und grösseren Erzählungen kombinieren tabellarische Gliederungen mit organischen Zeichnungen; so birgt denn der Werkplan zu der Autobiografie von 2006 auch eine Zwiebel, in deren Schalen sich die Themen einlagern. Es ist das erste Mal, dass das Grass-Haus Werkpläne zeigt. Das interessanteste Schaustück ist eine rot gebundene Kladde mit der Urschrift von «Das Häuten der Zwiebel». Den Text der aufgeschlagenen Doppelseite leitet die Skizze eines Soldatenprofils mit Stahlhelm ein; dass es ein Selbstporträt ist, verrät der Unterbiss, den Grass später mit seinem Schnurrbart kaschierte.Erstaunlicherweise wirkt die Urschrift wie eine Reinschrift, die Eingriffe sind minimal – was nicht die Regel ist, die Manuskripte anderer Romane sind voller Korrekturen. Auch gibt es, wie Museumsleiter Thomsa sagt, «im Manuskript keine Überraschungen, keine inhaltlichen Abweichungen von der Druckfassung». Was daraus zu schliessen ist, dass Günter Grass die «Zwiebel» offenkundig in einem Rutsch herunterschrieb, bleibt eine offene Frage.
LINKS:
16. Aug. 2006 ... Das späte Eingeständnis des deutschen Schriftstellers Günter Grass, im zweiten
Weltkrieg Mitglied der Waffen SS gewesen zu sein, erregte die ...
www.rhetorik.ch/Aktuell/06/08_16.html
3. Apr. 2012 ... Es ist nicht das erste Mal, dass wir das Verhalten von Günter Grass kommentiert
haben. Wo bleibt die Selbstkritikfähigkeit eines so intelligenten ...
www.rhetorik.ch/Aktuell/12/04_03/
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