Rotary und der Nachwuchs
Sag mir, wo die Jungen sind
Der Rotary Club galt lange als Kaderschmiede der Schweizer Wirtschaft. Jetzt hat er ein Nachwuchsproblem. Dieses ist zu einem grossen Teil hausgemacht.
In der Schweiz gibt es mehr als 200 Rotary Clubs, rund 40 davon im
Kanton Zürich. Einer der ältesten und sicherlich der renommierteste
unter ihnen ist der Rotary Club (RC) Zürich. Seine Mitgliederliste um
Hans Vontobel, Walter Kielholz, Ulrich Bremi oder Anton Scherrer liest
sich wie ein etwas in die Jahre gekommenes «Who Is Who» der Schweizer
Wirtschaft.
In die Jahre gekommen ist auch die Organisation Rotary selbst, sie hat Nachwuchsprobleme. Diese sind derart gravierend, dass der weltweit höchste Rotarier im Mai verlauten liess, direkt nach der Ausrottung der Kinderlähmung habe die Erhöhung der Mitgliederzahlen die oberste Priorität. 1 185 000 Mitglieder hat Rotary weltweit – die tiefste Zahl der letzten 10 Jahre. England, USA, Kanada, Japan – sie alle verzeichneten Mitgliederverluste von bis zu 20 Prozent im vergangenen Jahrzehnt. Nun hat der Vorstand gar 3 Millionen Dollar für «die Erstellung und Unterstützung regionaler Mitgliedschaftspläne» gesprochen.
In der Schweiz ist die Situation zwar nicht gleichermassen dramatisch: Die Zahl der Rotarier wachse konstant, sagt Rotary Schweiz, auf 1000 Einwohner kämen 15,5 Rotarier, das sei ein globaler Spitzenwert. Aber: Die Clubs leiden an der Überalterung. Ein Beispiel ist der RC Zürich West: Gründungsjahr 1973, 72 Mitglieder, keine Frauen, Durchschnittsalter 64,5 Jahre, 22,2 Prozent gar über 79 Jahre alt, nur gerade 3 Mitglieder sind jünger als 40. «Junge Mitglieder finden, die Zeit haben, ist nicht einfach», sagt Clubsekretär Max Roesle. Ein Problem, das sich die Rotarier zum Teil selbst eingebrockt haben: Weil bislang nur aufgenommen wurde, wer in seinem Beruf etwas erreicht hatte, fehlt frisches Blut in den Reihen.
Zu viele Regeln und Pflichten
Die Jungen bleiben fern, weil sie das hohe Durchschnittsalter und die oftmals tiefe Frauenquote abschrecken. Dazu kommen zahlreiche Regeln und Pflichten: Wöchentlich trifft man sich zum Essen, meist in gutbürgerlichen Restaurants, es gilt 50 Prozent Anwesenheitspflicht, über die Absenzen wird Buch geführt. Nur durch den Vorschlag eines anderen Mitglieds kommt man in den Club. Man zahlt Jahresbeiträge und ist angehalten, Referate zu geben oder Ausflüge zu organisieren. Dazu verlor der Schweizer Milizgedanke – der auf Freiwilligenarbeit beruht – durch die Internationalisierung der Wirtschaftswelt an Gewicht.
Anekdoten über Rotarier gibt es zuhauf: Noch 2009 bestand die Mehrheit (5 von 8) des Verwaltungsrats des Flughafenbetreibers Unique aus Rotariern. Oder der Fall Renato Fassbind: 2002 wurde er Rotarier, traf im Club auf Walter Kielholz, dieser holte ihn zur Credit Suisse, wo er 2004 als Finanzchef installiert wurde. Alles Geschichten, die in der Gesellschaft den Gedanken prägten, Rotary Clubs agieren als Kaderschmiede der Schweizer Wirtschaft. Der Gedanke erntet bei jedem angefragten Rotarier Kopfschütteln: Man sei in erster Linie im Club, um Gutes zu tun. Geschäfte machen sei verpönt.
Headhunter Bjorn Johansson bezweifelt die soziale Idee nicht, relativiert aber: «Selbstverständlich wird das Netzwerk genutzt, und Geschäfte werden abgewickelt.» Der Einfluss von Organisationen wie Rotary oder Lions habe aber stark abgenommen – auch wegen Corporate-Governance-Regelungen. «Heute kann man es sich gar nicht mehr erlauben, hohe Ämter ohne Auswahlgremium zu besetzen», sagt Johansson. Der gesunkene gesellschaftliche Einfluss habe dazu geführt, dass Rotary Clubs gerade bei ambitionierten, jungen Karrieremenschen an Attraktivität verloren hätten.
Dies spüren die Rotarier: Noch 2006 hatte der Governor – in der Rotary-Hierarchie der höchste Posten im Land – in der NZZ gesagt, man wolle nicht Steigbügelhalter für jene sein, die beruflich einfach schnell nach oben kommen möchten. Gleichzeitig plädierte er für ein Eintrittsalter über 40. Der heutige Governor will die «Rekrutierungsanstrengungen» auf 30- bis 45-Jährige mit Führungspotenzial legen. Die Mitglieder sollen also das Potenzial eines zukünftigen CEO erkennen und ihn in den Club holen.
Treffen vor dem Computer
Einer, der mit Traditionen gebrochen hat, ist Peter von Gunten. Die Mitglieder seines Clubs treffen sich online – dreimal im Monat, immer montags, am vierten Montag tafelt man im Restaurant St. Gotthard in Zürich. «Das ist die Zukunft», sagt der 65-jährige Präsident des ersten Schweizer E-Clubs, «die jüngere Generation kommuniziert heute anders als jene vor 40 Jahren.» So sitzen regelmässig 25 Mitglieder montags um 20.30 Uhr vor dem Computer, diskutieren via Videokonferenz, oftmals begleitet durch einen Gastreferenten. Die Rotarier sehen einander meist nicht reden, sondern bloss ein Standbild, «für eine gute Übertragungsqualität». Bei besonders guten Beiträgen könne man zudem einen Applausknopf betätigen, sagt von Gunten.
Der E-Club ist gemäss von Gunten eine Möglichkeit, den Bedürfnissen der Jungen gerecht zu werden, eine andere ist die Gründung neuer Clubs. Ein Beispiel ist der RC Adlisberg, dieser spaltete sich 2005 vom RC Dübendorf ab. Die Mitglieder konnten sich damals nicht einigen, ob sie Frauen aufnehmen wollten. Eine Frau, die dem Club beitrat, ist Anna Kulp, 36 Jahre alt, selbstständig in der Kulturbranche. «Als ich angefragt wurde, war ich sehr skeptisch. Ich hatte viele Vorurteile über einen Altherrenclub im Kopf», sagt Kulp. Das sei falsch gewesen, es habe im Club viele Frauen, und auch das Gespräch mit den älteren Herren sei inspirierend. In einen überalterten, männerdominierten Club wäre sie jedoch nicht eingetreten.
Für Franz Schultheis, HSG-Professor in Soziologie, sind die Anstrengungen der Rotarier letztlich «hilflose Versuche gegen einen evolutionären Prozess»: «Vereine kämpfen dagegen, das Militär kämpft dagegen, die Kirche kämpft dagegen», sagt Schultheis. Junge Menschen wollen sich nicht mehr binden. Die Generation Y, Menschen, die um die Jahrtausendwende Teenager waren, hätten ein ganz anderes soziales Verhalten als die Mehrheit der Rotarier, sagt Schultheis. «Sie haben es gerne informell, locker, unverbindlich. Im Gegenzug verkörpern die Rotarier gesellschaftliche Werte, welche die jungen Menschen als relativ verstaubt wahrnehmen», sagt der Soziologieprofessor. Die Rotarier würden zwar nicht aussterben, doch ihre Blütezeit sei vorbei.
(Tages-Anzeiger)
(Erstellt: 26.06.2014, 07:25 Uhr)
In die Jahre gekommen ist auch die Organisation Rotary selbst, sie hat Nachwuchsprobleme. Diese sind derart gravierend, dass der weltweit höchste Rotarier im Mai verlauten liess, direkt nach der Ausrottung der Kinderlähmung habe die Erhöhung der Mitgliederzahlen die oberste Priorität. 1 185 000 Mitglieder hat Rotary weltweit – die tiefste Zahl der letzten 10 Jahre. England, USA, Kanada, Japan – sie alle verzeichneten Mitgliederverluste von bis zu 20 Prozent im vergangenen Jahrzehnt. Nun hat der Vorstand gar 3 Millionen Dollar für «die Erstellung und Unterstützung regionaler Mitgliedschaftspläne» gesprochen.
In der Schweiz ist die Situation zwar nicht gleichermassen dramatisch: Die Zahl der Rotarier wachse konstant, sagt Rotary Schweiz, auf 1000 Einwohner kämen 15,5 Rotarier, das sei ein globaler Spitzenwert. Aber: Die Clubs leiden an der Überalterung. Ein Beispiel ist der RC Zürich West: Gründungsjahr 1973, 72 Mitglieder, keine Frauen, Durchschnittsalter 64,5 Jahre, 22,2 Prozent gar über 79 Jahre alt, nur gerade 3 Mitglieder sind jünger als 40. «Junge Mitglieder finden, die Zeit haben, ist nicht einfach», sagt Clubsekretär Max Roesle. Ein Problem, das sich die Rotarier zum Teil selbst eingebrockt haben: Weil bislang nur aufgenommen wurde, wer in seinem Beruf etwas erreicht hatte, fehlt frisches Blut in den Reihen.
Zu viele Regeln und Pflichten
Die Jungen bleiben fern, weil sie das hohe Durchschnittsalter und die oftmals tiefe Frauenquote abschrecken. Dazu kommen zahlreiche Regeln und Pflichten: Wöchentlich trifft man sich zum Essen, meist in gutbürgerlichen Restaurants, es gilt 50 Prozent Anwesenheitspflicht, über die Absenzen wird Buch geführt. Nur durch den Vorschlag eines anderen Mitglieds kommt man in den Club. Man zahlt Jahresbeiträge und ist angehalten, Referate zu geben oder Ausflüge zu organisieren. Dazu verlor der Schweizer Milizgedanke – der auf Freiwilligenarbeit beruht – durch die Internationalisierung der Wirtschaftswelt an Gewicht.
Anekdoten über Rotarier gibt es zuhauf: Noch 2009 bestand die Mehrheit (5 von 8) des Verwaltungsrats des Flughafenbetreibers Unique aus Rotariern. Oder der Fall Renato Fassbind: 2002 wurde er Rotarier, traf im Club auf Walter Kielholz, dieser holte ihn zur Credit Suisse, wo er 2004 als Finanzchef installiert wurde. Alles Geschichten, die in der Gesellschaft den Gedanken prägten, Rotary Clubs agieren als Kaderschmiede der Schweizer Wirtschaft. Der Gedanke erntet bei jedem angefragten Rotarier Kopfschütteln: Man sei in erster Linie im Club, um Gutes zu tun. Geschäfte machen sei verpönt.
Headhunter Bjorn Johansson bezweifelt die soziale Idee nicht, relativiert aber: «Selbstverständlich wird das Netzwerk genutzt, und Geschäfte werden abgewickelt.» Der Einfluss von Organisationen wie Rotary oder Lions habe aber stark abgenommen – auch wegen Corporate-Governance-Regelungen. «Heute kann man es sich gar nicht mehr erlauben, hohe Ämter ohne Auswahlgremium zu besetzen», sagt Johansson. Der gesunkene gesellschaftliche Einfluss habe dazu geführt, dass Rotary Clubs gerade bei ambitionierten, jungen Karrieremenschen an Attraktivität verloren hätten.
Dies spüren die Rotarier: Noch 2006 hatte der Governor – in der Rotary-Hierarchie der höchste Posten im Land – in der NZZ gesagt, man wolle nicht Steigbügelhalter für jene sein, die beruflich einfach schnell nach oben kommen möchten. Gleichzeitig plädierte er für ein Eintrittsalter über 40. Der heutige Governor will die «Rekrutierungsanstrengungen» auf 30- bis 45-Jährige mit Führungspotenzial legen. Die Mitglieder sollen also das Potenzial eines zukünftigen CEO erkennen und ihn in den Club holen.
Treffen vor dem Computer
Einer, der mit Traditionen gebrochen hat, ist Peter von Gunten. Die Mitglieder seines Clubs treffen sich online – dreimal im Monat, immer montags, am vierten Montag tafelt man im Restaurant St. Gotthard in Zürich. «Das ist die Zukunft», sagt der 65-jährige Präsident des ersten Schweizer E-Clubs, «die jüngere Generation kommuniziert heute anders als jene vor 40 Jahren.» So sitzen regelmässig 25 Mitglieder montags um 20.30 Uhr vor dem Computer, diskutieren via Videokonferenz, oftmals begleitet durch einen Gastreferenten. Die Rotarier sehen einander meist nicht reden, sondern bloss ein Standbild, «für eine gute Übertragungsqualität». Bei besonders guten Beiträgen könne man zudem einen Applausknopf betätigen, sagt von Gunten.
Der E-Club ist gemäss von Gunten eine Möglichkeit, den Bedürfnissen der Jungen gerecht zu werden, eine andere ist die Gründung neuer Clubs. Ein Beispiel ist der RC Adlisberg, dieser spaltete sich 2005 vom RC Dübendorf ab. Die Mitglieder konnten sich damals nicht einigen, ob sie Frauen aufnehmen wollten. Eine Frau, die dem Club beitrat, ist Anna Kulp, 36 Jahre alt, selbstständig in der Kulturbranche. «Als ich angefragt wurde, war ich sehr skeptisch. Ich hatte viele Vorurteile über einen Altherrenclub im Kopf», sagt Kulp. Das sei falsch gewesen, es habe im Club viele Frauen, und auch das Gespräch mit den älteren Herren sei inspirierend. In einen überalterten, männerdominierten Club wäre sie jedoch nicht eingetreten.
Für Franz Schultheis, HSG-Professor in Soziologie, sind die Anstrengungen der Rotarier letztlich «hilflose Versuche gegen einen evolutionären Prozess»: «Vereine kämpfen dagegen, das Militär kämpft dagegen, die Kirche kämpft dagegen», sagt Schultheis. Junge Menschen wollen sich nicht mehr binden. Die Generation Y, Menschen, die um die Jahrtausendwende Teenager waren, hätten ein ganz anderes soziales Verhalten als die Mehrheit der Rotarier, sagt Schultheis. «Sie haben es gerne informell, locker, unverbindlich. Im Gegenzug verkörpern die Rotarier gesellschaftliche Werte, welche die jungen Menschen als relativ verstaubt wahrnehmen», sagt der Soziologieprofessor. Die Rotarier würden zwar nicht aussterben, doch ihre Blütezeit sei vorbei.
(Tages-Anzeiger)
(Erstellt: 26.06.2014, 07:25 Uhr)
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