Dienstag, 3. Juni 2014

Lyrik der Preisträgerin JAQUELINE CREVOISIER

Gelassene FedernGedichteErschienen 2003
Format 11,5 x 21 cm
93 Seiten
Broschur
Preis: SFr 28,00
ISBN 3-907149-13-0
Nimrod-Literaturverlag, Schweiz
Aus dem Inhalt
Horizonte
Den Erdboden
sich selbst gleichgemacht
unter sich gelassen.
Die Probleme
verkrümelt
in alle Winde verstreut.
Den Alltag
bleibelegt
im Meer ertränkt.
Ganz oben
endlich adlergleich
in wolkenloser Übersicht
die Menschen durchschaut.
Ach
lasst mir doch lieber
die Frösche und ihre Perspektive.
Zu Buch und Autorin
LYRIK MIT WIDERHAKEN
Zu diesen Gedichten
Mit "Gelassene Federn", seit langem gesammelt und nun kurzweg in die Tinte getaucht, sind diese Gedichte geschrieben: engagiert, nicht milde abgeklärt, da zwar aus einer gewissen Melancholie heraus und zärtlich, dort aber voller Wut und mit messerscharfem Verstand, pointiert aphoristisch oder unverblümt frech ­ immer jedoch sehr persönlich und einprägsam.
In diesen Gedichten behauptet sich eine Autorin, die das Leben in all seinen Spielarten kennt und sich, ohne Angst vor Blessuren, darauf einlässt, dass die Federn nur so stieben. Themen und Sprache bezeugen es: Zerzaust wurde das Federkleid im Fuchsmaul des Lebens, in der Umarmung der Liebe und scharf an der Sense des Todes. Klein beigeben aber, gelassen sich anpassen «und nie ein Verstoss / gegen die Spielregeln», einer solchen Nicht-Haltung verweigert sie sich.
"Gelassene Federn" ist der vierte Lyrikband der in Holland lebenden Schweizer Autorin Jacqueline Crevoisier, die sich auch international, unter Literaturgourmets einen Namen gemacht hat mit Prosatexten, mit ihren Fernseh- und Rundfunkarbeiten (Hörspiel des Monats) und mit ihrer geistreich-kongenialen Übertragung der in den Niederlanden klassisch gewordenen "Ollie B. Bommel"-Geschichten von Marten Toonder.
Bendicht Arni



Erster Zürcher Lyrik-Preis: Laudatio für Jacqueline Crevoisier.

  Von Charles Linsmayer

Wir stehen in einem Laden voller Bücher, und doch sei die ketzerische Frage erlaubt, welche literarische Formen jenen Kahlschlag überleben werden, den die Elektronik und die von ihr geschaffenen Möglichkeiten früher oder später bei all dem anrichten wird, was heute noch, in grotesk überbordender Weise, auf Papier gedruckt in den Handel kommt. Dass es angesichts von Youtube und den damit popularisierten millionenfach reproduzierten Jekami-Szenerien nicht das Theater sein wird, scheint mir klar. Aber es wird auch nicht der Roman sein, der angesichts der Bebilderungs- und Aktivierungsmöglichkeiten des Internets als hoffnungslos veraltete, sterile rein textmässige Datenmenge weder den Rezeptionsgewohnheiten künftiger Generationen entsprechen, noch die eines Tages unabdingbar notwendig werdende quantitative Einschränkung der Serverbelegung überleben wird.
Bleiben wird, da bin ich mir sicher, das Gedicht als kleinste, aber raffinierteste literarische Form. Die Königsdisziplin, die mit 8 Zeilen einen ganzen Roman oder ein ganzes Drama vor uns hinzustellen vermag – «Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde,/ es war getan, fast eh gedacht, /der Abend wiegte schon die Erde, /und an den Bergen hing die Nacht… …«Schläft ein Lied in allen Dingen, /die da träumen fort und fort/ und die Welt hebt an zu singen, / triffst du nur das Zauberwort» – diese auf das Wesentliche reduzierte, sprachlich virtuose Möglichkeit, die sich sogar dann noch von Mund zu Mund weitertradieren lässt, wenn nicht nur die Bücher alle verbrannt, sondern auch dem Internet die Luft ausgegangen ist.
Was wir auf jeden Fall tun müssen, jetzt schon und nicht erst nach jener medientechnischen Apokalypse, ist, uns von einer Vorstellung von Lyrik zu verabschieden, die von Poeten in stillen Kämmerchen, von Eingeweihten in esoterischen Zirkeln, von durch die Autoren selbst finanzierten Feld- und Wiesenverlagen produziert und verbreitet wird und gegenüber Formen, die in Theatern Triumphe feiern, auf Bestsellerlisten hochgejubelt oder auf Buchpreistourneen bewundert werden, absolut chancenlos ist und im Wesentlichen der schön formulierten Präsentation von privaten Gefühlszuständen oder poetischen Stimmungsbildern verpflichtet ist.
«Das Gedicht ist mein Messer», hat Wolfgang Weyrauch formuliert, und für mich heisst dieser Satz nichts anderes, als dass das Gedicht alles kann: hassen und lieben, aufwühlen und zornig machen, bekehren und aufstacheln, rächen und belohnen, ja vielleicht sogar töten und wieder lebendig machen. Und es kann das, wenn der Inhalt mit der Form kongruent geht, auf eine viel wuchtigere, unmittelbarere, bewegendere, treffsicherere Art, als es ein Roman, ein Drama oder meinetwegen ein politisches Pamphlet je könnte.


Der erste Zürcher Lyrikpreis 2012 geht an ein Gedicht, das in diesem Sinne beispielhaft ist, weil es kämpferische Wucht, Verve, formale Brillanz und Treffsicherheit der Argumentation auf eindrückliche Weise miteinander verbindet. Es stammt von der in Zürich geborenen, seit Jahren in der Nähe von Amsterdam lebenden Filmemacherin, Hörspielverfasserin und Lyrikerin Jacqueline Crevoisier und heisst: «Abendgebet der Spassgesellschaft». Ein Langgedicht, das der archaischen Form des schweizerischen Alpsegens nachgebaut ist, aber den heiligen Sankt Dumianus mit Bitten, die uns Hören und Sehen vergessen machen, um den Segen für jene Medien-, Freizeit- und Eventkultur anfleht, der wir alle, ohne es zu merken, längst auf eine fatale Weise zum Opfer gefallen sind.
Aber hören Sie selbst. Wir haben den Schauspieler Robert Hunger-Bühler gebeten, Ihnen das Preisgedicht vorzutragen.

Auch rhetorik.ch gratuliert der Preisträgerin im Nachhinein.
Wir interessieren uns  für Schriftsteller, die der Sprache mächtig sind.

1. Preis: JACQUELINE CREVOISIER
ABENDGEBET DER SPASSGESELLSCHAFT





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