Montag, 3. Februar 2014

Vor lauter Bäumen sehen wir den Wald nicht mehr



Das grosse Apfelbaum-Wirrwarr

SVP und Economiesuisse liefern sich vor der Einwanderungsinitiative ein Duell – mit Apfelbäumen. Das Chaos ist perfekt.
1/6 Ein SVP-Plakat gegen die sogenannte Masseneinwanderung wirbt für die Annahme der SVP-Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung», aufgenommen am Sonntag, 12. Januar 2014, in Effretikon.
Bild: Steffen Schmidt/Keystone

   

Symbole sind in der politischen Kommunikation wichtig. Indem sie verkürzen und emotionalisieren, vermitteln sie auf einen Blick Positionen und Traditionen. Beispiele sind die lachende Sonne der AKW-Gegner oder SVP-Geissbock Zottel. Aktuell dominiert ein anderes politisches Symbol auf Plakaten und in Zeitungsinseraten: Ein Apfelbaum, an dessen Ästen pralle, rote Früchte hängen. Im Text dazu geht es je nachdem um die «bewährten Bilateralen», um die «SVP-Abschottungsinitiative» oder darum, die «Masseneinwanderung zu stoppen». Zu sehen ist der Baum, wie er seine Wurzeln um die Schweiz schlägt oder wie er von einem Holzfäller umgelegt wird. Manchmal steht er auch einfach da. Um die Weihnachtszeit hatte er Schnee auf den Ästen.
Kurz, es herrscht Verwirrung. Wer wirbt hier eigentlich für was? Und wer hats erfunden? Ein Anruf bei Economiesuisse ergibt Folgendes: Der Wirtschaftsdachverband hat den Apfelbaum im Jahr 2000 zum ersten Mal ins Spiel gebracht. Seither hat Economiesuisse mit dem Symbol immer wieder für die Bilateralen geworben. Ende 2013 holte man das Sujet für die Kampagne gegen die SVP-Masseneinwanderungsinitiative aus der Schublade. Mitte Dezember konterte die SVP mit dem Wurzelplakat. Anfang Jahr doppelte Economiesuisse mit dem Holzfällerinserat nach. Auch, weil die politischen Alliierten an der Wirksamkeit der ursprünglichen Bäumchen-Plakate zweifelten. Diese hätten in einem derart hitzig geführten Abstimmungskampf zu wenig Biss.
SVP-nahes Motiv
Zumindest die Chronologie ist also geklärt, nicht aber das Bedeutungswirrwarr. Der Apfelbaum ist bereits symbolisch aufgeladen – als Baum der Erkenntnis in der Bibel. Economiesuisse setzt ihn allerdings als Fruchtbarkeitssymbol ein: Die Schweiz, ein reiches Land, dank der Bilateralen. Ungünstigerweise ist ein Apfelbaum jedoch ein SVP-nahes Motiv; man verbindet damit Bauern und Heimat. Dessen sei man sich bewusst, heisst es bei Economiesuisse. Man wolle diese Assoziationen aber nicht kampflos der SVP überlassen. Aus diesem Grund kämen die neuen Apfelbäume denn auch im Emmentaler Scherenschnitt-Stil daher.
So weit, so verzwickt. Mit dem Wurzelplakat ist der Betrachter allerdings definitiv überfordert. Beim SVP-Sujet greifen die Wurzeln des Baums nach der Schweiz und beschädigen sie sogar. Der Slogan dazu: «Masslosigkeit schadet». Übersetzt heisst das ja nichts anderes als: Die Schweiz (der Baum) greift die Schweiz an – und Wohlstand ist schlecht. Dass SVP-Bundesrat Ueli Maurer noch im Herbst am Schwing- und Älplerfest verlauten liess, dass ein Baum bei Sturm starke Wurzeln haben müsse, erleichtert die Interpretation nicht. Besagter Holzfäller auf dem neusten Economiesuisse-Inserat macht das semiotische Chaos dann perfekt: Der Mann ist einem Hodler-Gemälde entliehen. Selbst wenn einem das bekannt ist, müsste man auch wissen, dass SVP-Stratege Christoph Blocher Hodler-Sammler ist.
Laut Economiesuisse ist der Holzfäller der Abschluss der Baumkampagne. Man behalte sich allerdings vor, auf etwaige gegnerische Apfelbäume zu antworten. Die SVP verweist derweil auf den Wahltag. Dann müssten die Schweizer über den Apfelkrieg entscheiden, so Nationalrat Adrian Amstutz. Leichter gesagt, als getan. Sieht der Wähler doch den Wald vor lauter Bäumen nicht. (Tagesanzeiger.ch/Newsnet)
KOMMENTAR: Gut geschrieben lesenswert.

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