Donnerstag, 16. Januar 2014

Apfelbaum BILD-RHETORIK

BILDER SAGEN MEHR ALS WORTE

Wenn nun Kontrahenten mit dem analogen Bild überzeugen wollen: Wie wirken diese Bilder?

Apfelbaum-Wirrwarr

Quelle Tagi-online
SVP und Economiesuisse liefern sich vor der Einwanderungsinitiative ein Duell – mit Apfelbäumen. Das Chaos scheint perfekt.
1/6 Ein SVP-Plakat gegen die sogenannte Masseneinwanderung wirbt für die Annahme der SVP-Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung», aufgenommen am Sonntag, 12. Januar 2014, in Effretikon.
Bild: Steffen Schmidt/Keystone

   

Symbole sind in der politischen Kommunikation wichtig. Indem sie verkürzen und emotionalisieren, vermitteln sie auf einen Blick Positionen und Traditionen. Beispiele sind die lachende Sonne der AKW-Gegner oder SVP-Geissbock Zottel. Aktuell dominiert ein anderes politisches Symbol auf Plakaten und in Zeitungsinseraten: Ein Apfelbaum, an dessen Ästen pralle, rote Früchte hängen. Im Text dazu geht es je nachdem um die «bewährten Bilateralen», um die «SVP-Abschottungsinitiative» oder darum, die «Masseneinwanderung zu stoppen». Zu sehen ist der Baum, wie er seine Wurzeln um die Schweiz schlägt oder wie er von einem Holzfäller umgelegt wird. Manchmal steht er auch einfach da. Um die Weihnachtszeit hatte er Schnee auf den Ästen.
Kurz, es herrscht Verwirrung. Wer wirbt hier eigentlich für was? Und wer hats erfunden? Ein Anruf bei Economiesuisse ergibt Folgendes: Der Wirtschaftsdachverband hat den Apfelbaum im Jahr 2000 zum ersten Mal ins Spiel gebracht. Seither hat Economiesuisse mit dem Symbol immer wieder für die Bilateralen geworben. Ende 2013 holte man das Sujet für die Kampagne gegen die SVP-Masseneinwanderungsinitiative aus der Schublade. Mitte Dezember konterte die SVP mit dem Wurzelplakat. Anfang Jahr doppelte Economiesuisse mit dem Holzfällerinserat nach. Auch, weil die politischen Alliierten an der Wirksamkeit der ursprünglichen Bäumchen-Plakate zweifelten. Diese hätten in einem derart hitzig geführten Abstimmungskampf zu wenig Biss.


SVP-nahes Motiv

Zumindest die Chronologie ist also geklärt, nicht aber das Bedeutungswirrwarr. Der Apfelbaum ist bereits symbolisch aufgeladen – als Baum der Erkenntnis in der Bibel. Economiesuisse setzt ihn allerdings als Fruchtbarkeitssymbol ein: Die Schweiz, ein reiches Land, dank der Bilateralen. Ungünstigerweise ist ein Apfelbaum jedoch ein SVP-nahes Motiv; man verbindet damit Bauern und Heimat. Dessen sei man sich bewusst, heisst es bei Economiesuisse. Man wolle diese Assoziationen aber nicht kampflos der SVP überlassen. Aus diesem Grund kämen die neuen Apfelbäume denn auch im Emmentaler Scherenschnitt-Stil daher.
So weit, so verzwickt. Mit dem Wurzelplakat ist der Betrachter allerdings definitiv überfordert. Beim SVP-Sujet greifen die Wurzeln des Baums nach der Schweiz und beschädigen sie sogar. Der Slogan dazu: «Masslosigkeit schadet». Übersetzt heisst das ja nichts anderes als: Die Schweiz (der Baum) greift die Schweiz an – und Wohlstand ist schlecht. Dass SVP-Bundesrat Ueli Maurer noch im Herbst am Schwing- und Älplerfest verlauten liess, dass ein Baum bei Sturm starke Wurzeln haben müsse, erleichtert die Interpretation nicht. Besagter Holzfäller auf dem neusten Economiesuisse-Inserat macht das semiotische Chaos dann perfekt: Der Mann ist einem Hodler-Gemälde entliehen. Selbst wenn einem das bekannt ist, müsste man auch wissen, dass SVP-Stratege Christoph Blocher Hodler-Sammler ist.
Laut Economiesuisse ist der Holzfäller der Abschluss der Baumkampagne. Man behalte sich allerdings vor, auf etwaige gegnerische Apfelbäume zu antworten. Die SVP verweist derweil auf den Wahltag. Dann müssten die Schweizer über den Apfelkrieg entscheiden, so Nationalrat Adrian Amstutz. Leichter gesagt, als getan. Sieht der Wähler doch den Wald vor lauter Bäumen nicht. (Tagesanzeiger.ch/Newsnet)

KOMMENTAR: Plakate und deren Wirkung sind wahrnehmungspsychologisch interessant. Man sieht das Plakat in Vorbeigehen nur wenige Sekunden und die Bilder  wecken bei allen Personen Assoziationen. Ich habe mich bei  einigen Leuten erkundigt, was die Ausschaffungs GEGNER und Ausschaffungs - BEFUERWORTER Plakate aussagen. Dabei hat sich gezeigt, dass immer nur jene Palakate gut geheissen wurden, welche  die eigenen Meinung stützen. Das BILD BAUM wird aus meiner Sicht bei dieser Kampagne zu sehr strapaziert.
Die zu starken Wurzeln, die unser Land schädigen und die visualisierte Gefahr der Abschottung mit dem gefällten Baum (in Anlehnung an Blochers Hodler Bild). Beide Plakate wirken in der Aufmachung ähnlich. Beide Seiten wollen den Gegner mit der eigenen Waffe schlagen. An vielen Orten sind die beiden Plakate nebeneinander zu sehen. Dies signalisiert uns optisch eine Patt-Situation. Auch die Begriffe "Masseneinwanderung" und "Abschotten" sind von beiden Seiten rhetorisch geschickt gewählt. Obschon es Initiativen schwer haben, die Hürde zu einer Annahme zu schaffen - obwohl die SVP gleichsam allein auf weiter Flur gegen die Economiesuisse Werbemacht und den mobliliserten Bundesrat antritt (und alle SVP Gegner auf den Plan ruft) - obschon es bei allen Abstimmungen ein Sockel NEIN  von 10 % gibt - obschon bei allen Kampagnen, gegen Ende der Mobilisierung, der Nein-Anteil wächst, so wäre ich dennoch bei dieser Initiative nicht überrascht, wenn der NEIN Anteil gar nicht mehr so eindeutig ausfällt, wie es die jüngste Umfrage prognostiziert. Ich habe mich umgehört und viele Stimmen gehört, die eigentlich die Ausschaffungsinitiative in dieser Form ablehnen, aber dennoch ein Zeichen setzen möchten und deshalb ein JA in die Urne legen werden. Ich würde mich somit nicht wundern, wenn die Ablehnung viel  knapper ausfällt, als vorausgesagt.
Uebrigens: Vom Apfel hat niemand etwas geschrieben. Eva hatte Adam mit einem Apfel in Versuchung gebracht. Wir könnten uns somit auch die Frage stellen: Wem gelingt es mehr, den Gegner in Versuchung zu bringen und die eigene Meinung zu verleugnen? On verra!

NACHTRAG 20 Min:

«Die Apfelbaum-Plakate haben eine ganz andere Tonalität als frühere Sujets», sagt Kampagnenspezialist Mark Balsiger. Die milderen Töne passen zu einem generellen Stilwandel: Seit der Niederlage bei den nationalen Wahlen 2011 verzichtet die SVP weitgehend auf provokative Kampagnen und Attacken auf andere bürgerliche Parteien – und ist so auch wieder zum Erfolg zurückgekehrt.
Fraktionschef Adrian Amstutz schliesst nicht aus, dass seine Partei irgendwann wieder pointierter auftritt. Doch im Fall der Zuwanderung sei das gar nicht nötig: «Es braucht keinen Schrei von uns – den machen die Leute selber.» Die Bevölkerung spüre jeden Tag die Auswirkungen der Massenzuwanderung am eigenen Leib. Die Kampagne sei deshalb darauf ausgerichtet, die Leute an ihre täglichen Erfahrungen zu erinnern und sie an die Urne zu bringen.
 

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