Dauerkonfrontation mit der Inszenierung von Politik

Hinzukommen weitere Unlust verursachende Faktoren. Die sind nicht zu unterschätzen, denn neben Erkenntnis, Vernunft und Verantwortung sind auch Lust und Unlust Triebfedern des Handelns oder der Verweigerung.

Kurt Kister von der Süddeutschen Zeitung hat neulich über das "Gesummse unter der Berliner Käseglocke" geschrieben. Er unterschied zwischen der realen Welt und der Welt der Politiker, die davon abgelöst sei. Insofern besteht der Verdacht, dass die Bewohner der Käseglocke Politik mit dem Politikbetrieb gleichsetzen. Wie ätzend fürs Publikum: Die Dauerkonfrontation mit der Inszenierung von Politik, vor allem in Talkshows, und nicht mit echter Politik, nämlich der Gestaltung der realen Welt (siehe Stuttgart 21), vergällt ihm das Interesse.


Jüngstes Beispiel: ein Interview der TV-Journalistin Sandra Maischberger mit dem Kanzlerkandidaten. 

 Ihr ging es vornehmlich darum, aus ihm herauszukitzeln, dass er selbst nicht mehr an einen Erfolg glaube, es ging darum, was Steinbrück über Steinbrück denkt und nicht, welche Konzepte er für die Lösung von Problemen hat. So trägt Journalismus dazu bei, dass Politik um sich selbst kreist und an Relevanz und Strahlkraft verliert. Journalistischer Ehrgeiz kann so inhaltsleer sein wie die Phrasen derer, die darauf reagieren.
Sachzwänge über den Haufen werfen
Es gibt einen weiteren Punkt, der einem das Interesse an Politik vermiesen kann. Es ist das Gerede von der Alternativlosigkeit bestimmter Entscheidungen. Dies ist die Entpolitisierung von Politik. Die Opposition hat häufig in wichtigen Fragen mit der Regierung gestimmt und ist damit de facto auf die Alternativlosigkeitsnummer aufgesprungen, wenngleich sie sich verbal davon distanziert hat. Wenn Sachpolitik den Wettstreit der Ideen ersetzt, obsiegen die Technokraten über die politischen Visionäre, die Attraktion lässt nach.

Vorbild: Der neue Papst

Wie es anders geht, zeigt der neue Papst. Er muss sich zwar nicht in den Mühlen der Demokratie aufreiben, dafür könnte er sich jedoch in den Machtkämpfen der Seilschaften in der Kurie verstricken. Doch der Mann rüttelt mit seiner unkonventionellen Art den Vatikan auf, er straft die Alternativlosigkeit Lügen. Er zirkelt nicht um sich selbst, sondern verlässt die Käseglocke. Er fügt sich nicht dem Zeremoniellen, den überkommenen Strukturen und Erwartungen, kurz den Sachzwängen, sondern wirft sie über den Haufen und rückt stattdessen die einfachen, essentiellen Wahrheiten und Werte seiner Religion, etwa sich den Schwachen zuzuwenden, in den Vordergrund, und wird darüber hinaus, soweit man sieht, den eigenen Ansprüchen gerecht. Die Zustimmung, die er dafür erfährt, ist über die eigene Klientel hinaus groß.
Dem Spitzenpersonal der Parteien gelingt es dagegen nicht, die Aufgabe, den Bürger etwa vor den Folgen des Spekulantentums oder vor dem Übergriff auf seine Privatsphäre zu schützen, so zu erfüllen, dass er das Gefühl haben könnte, es gäbe eine klare Vorstellung davon, welche Regeln künftig zu gelten haben. Entweder ist der politische Kompass abhandengekommen, oder es mangelt am Willen und Mut, das als richtig Erkannte umzusetzen.


Kommentar:

Wie wäre es, wenn sich die heutigen Politiker wieder auf das geistige Fundament ihrer Traditon zurückbesännen?
Wie wäre es, wenn die politischen Grundsätze klarer, eindeutiger formuliert würden?

Es fehlen Entwürfe, welche unsere Gesellschaft beleben und die Stimmberechtigten zur Wahl animieren. Obschon Vieles für einen Wahlboykott spricht, bringt uns dies jedoch nicht weiter.