Unkoordinierte Informationspolitik im Bundesrat?
Das Vorpreschen der Finanzministerin hilft den Atomstrombefürwortern.
Denn: Der Ausstieg schien zementiert. Doch das Volk merkt nun allmählich, was der totale Ausstieg für Folgen hat.
Stromknappheit. Nämlich: Massive Verteuerung der Energie. Dies trifft alle: Wirtschaft und Privathaushalte.
Zuerst kündigte
Widmer-Schlumpf in Inverviews eine Vernehmlassungsvorlage an. Nun
berichtete die «SonntagsZeitung», die Finanzministerin wolle dem Bundesrat am
kommenden Mittwoch ein Aussprachepapier zu einer ökologischen
Steuerreform vorlegen. Wolle man die Energieziele des Bundesrates
erreichen, müsse zum Beispiel der Benzinpreis bis 2050 auf 5 Franken
ansteigen. Strom müsse um 50 Prozent verteuert werden. Der Ertrag aus
dieser Lenkungsabgabe soll den Haushalten und Unternehmen
zurückerstattet werden.
Auftrag des Bundesrates zu einem BerichtDiesen Mittwoch wird der Bundesrat allerdings keine Anträge Widmer-Schlumpfs diskutieren. Beim von der «SonntagsZeitung» zitierten Aussprachepapier handelt es sich um einen besseren Entwurf, der bis am letzten Freitag in einer Ämterkonsultation unterwegs war. Will heissen: Die verschiedenen Bundesämter konnten ihre Meinung dazu abgeben. Während der Energieklausur des Bundesrates, welche ebenfalls am Mittwoch stattfindet, sind rund 10 Minuten für eine Information zur ökologischen Steuerreform vorgesehen.
Das bestätigt EFD-Informationschefin Brigitte Hauser-Süess: «Dabei handelt es sich um Modellsimulationen mit dem Ziel, die Funktionsweise und die Auswirkungen der verschiedenen Varianten abzubilden», sagt sie. Dies entspricht auch dem Auftrag des Gesamtbundesrates, den die Finanzministerin am 30. November 2011 erhalten hat. Nur: Statt in enger Zusammenarbeit mit den Energie- und Wirtschaftsdepartementen einen Bericht zur Machbarkeit einer Ökosteuer auszuarbeiten, liess Widmer-Schlumpf im stillen Kämmerlein ein Aussprachepapier anfertigen.
Gegenvorschlag zur Initiative «Energie- statt Mehrwertsteuer»
Vom forschen Zeitplan der Finanzministerin erfuhren die anderen Bundesräte aus den Medien.
Dem Vernehmen nach will sie Ende September, wenn Doris Leuthard ihr neues Energiegesetz in die Vernehmlassung schickt, ihre Pläne offenlegen. Im Frühjahr will sie laut «SonntagsZeitung» «eine ausgereifte Vorlage präsentieren». Offenbar gibt es im EFD Überlegungen, die Ökosteuerreform der Initiative «Energie- statt Mehrwertsteuer» der Grünliberalen gegenüberzustellen. Das Volksbegehren will die Mehrwertsteuer zugunsten einer Abgabe auf Energieträger abschaffen.
Gegenwärtig sieht es aber danach aus, als hätten die Initianten grosse Mühe, die notwendigen Unterschriften zu sammeln. Aber auch Widmer-Schlumpf könnte Mühe habe, ihr Prestigeprojekt durchzubringen. Das vom EFD in die Ämter verschickte Papier strotzt laut Energieexperten nur so von Fehlern, Unterlassungen, Annahmen und Ungenauigkeiten. So sind zum Beispiel viele Fragen hinsichtlich Übergangsphase vom heutigen Fördersystem zu einem Lenkungssystem noch nicht geklärt.
Viele Fehler, Unterlassungen, Annahmen
Heute ist es so, dass die erneuerbaren Energieträger mit einem Zuschlag auf elektrischer Energie und die Gebäudesanierung mit einer CO2-Abgabe auf Brennstoffen gefördert werden. Leuthard will diese Fördermittel nach dem Atomausstieg zusätzlich verstärken. Die Lenkungsabgabe, die Widmer-Schlumpf vorschwebt, soll die Förderinstrumente nach 2020 ablösen. Nur hat die Finanzministerin in ihrem Entwurf nicht berücksichtigt, wie die Fördermittel zurückgefahren und langfristig auf null reduziert werden können.
Bei den Gebäudesanierungen dürfte der Bedarf voraussichtlich auch weit nach 2020 hoch sein, monieren Experten im Bundesamt für Energie. Bei der Förderung der erneuerbaren Energien gelte es zu bedenken, dass gewisse Geldmittel auch nach der Sistierung der Förderung benötigt werden, da heute die Vergütungsdauer der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) je nach Technologie 20 bis 25 Jahre betrage.
Auftrieb für Atom-Ausstiegsgegner
Aus dem Papier geht auch nicht hervor, welche Steuern eingeführt oder erhöht werden müssen, falls die Energieabgabe wie erhofft den Energieverbrauch reduziert und als Folge davon Steuereinnahmen massiv wegbrechen. Es gibt keine Auskunft über internationale Erfahrungen mit einer ökologischen Steuerreform. Dazu kommt, dass einzelne Zahlen im Papier schlicht falsch sind, bei anderen fehlt die Quellenangabe. Kurzum: Für Insider handelt es sich um einen unausgereiften Schnellschuss, der den Atomausstieg gefährden könnte.
Eine Diskussion über einen Benzinpreis von 5 Franken und 50 Prozent höhere Stromtarife würde jenen Kräften von FDP, SVP und Wirtschaftsverbänden Auftrieb geben, die sich zum Atomausstieg schon immer skeptisch äusserten. Das wäre auch Gift für die künftige Debatte über das neue Energiegesetz, mit dem Leuthard den Atomausstieg zementieren will. «Ich verstehe nicht ganz, wieso Frau Widmer-Schlumpf jede Woche mit dem Thema ökologische Steuerreform in den Medien herumgeistern muss», sagt denn auch SP-Energiespezialist Eric Nussbaumer. Die Instrumente für den Atomausstieg seien mit der KEV und CO2-Abgaben vorhanden. Auch die Erhöhung der Treibstoffpreise sei schon heute mittels CO2-Gesetz möglich.
Finanzdepartement schiebt Erklärung nach
Auch CVP-Präsident Christophe Darbellay wundert sich über die Indiskretion zur Ökosteuerreform in der «SonntagsZeitung». Er habe zwar nichts gegen eine Ökosteuer, aber bei dem publik gewordenen System seien ihm noch zu viele Fragen offen. «Eine ökologische Steuerreform hat für mich keine Priorität», so Darbellay. Der Energiepolitiker der BDP, Nationalrat Hans Grunder, gibt sich dagegen vage: Er kenne das Papier nicht, sagt er. Widmer-Schlumpf habe sich mit der BDP noch nicht über ihre Pläne zur ökologischen Steuerreform ausgesprochen.
Im EFD schiebt man auf Anfrage eine Präzisierung nach: Die von der «SonntagsZeitung» zitierte Variante mit einem Benzinpreis von 5 Franken wird als ambitioniertes Szenario beschrieben. Die schlussendlich notwendige Energieabgabe hänge sehr stark von der Entwicklung der Energiepreise und der Technologie ab. Je nach Technologiesprüngen könne auch eine bedeutend tiefere Abgabe resultieren, heisst es. (Tagesanzeiger.ch/Newsnet)
Kommentar: Schnellschüsse sind immer schlecht. Unkoordinierte Informationen stets eine Todsünde.
Die SVP hat sofort das Malaise im Kommunikationsmanagement des Bundesrates erkannt und nutzt die unkoordinierten Verlautbarungen. Sie will als einzige Partei den Ausstieg aus dem Atomstrom in die Länge ziehen. Sie spricht sogar vom Bau eines neuen AKWs (der neuen Generation). Gespannt warte ich auf das Resultat einer vorgesehenen Volksbefragung. Haben die Bürger tatsächlich die Meinung geändert, nachdem erkannt wird, was für Folgen der endgültige Ausstieg hat?
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