Jugendliche entlarven Redehülsen der Politiker
- solche Wörter verwenden viele Politiker ganz selbstverständlich, als wüsste jeder, was damit gemeint ist. Ob unter 18 oder schon wahlberechtigt, wenn Volksvertreter ihre Wortpirouetten drehen, verstehen jung und alt leider oft wenig. Besonders jungen Leuten wird dann allerdings vorgehalten, sie interessierten sich nicht für Politik. Sie seien nämlich irgendwie verdrossen - oder auch zu verspaßt für die ernsten Dinge des Lebens.
Johannes Neumann und Lukas Kiepe, beide 20, ärgert das. Sie wollen Politiker gerne verstehen und den gewählten Volksvertretern helfen, sich verständlicher auszudrücken. In ihrem Freiwilligen Politischen Jahr beschäftigten sie sich mit "Sprache und Politik". In einem Projekt mit zwei zehnten Gymnasialklassen überlegten sie: Wie könnten sich mehr Jugendliche für Politik begeistern?
(Quelle SPIEGEL-online)
SPIEGEL ONLINE: Was ist eure liebste Politikervokabel?
Johannes: Alternativlos.
Lukas: Intelligenter Fehlwurf.
SPIEGEL ONLINE: Was ist das?
Lukas: Wenn man einen Plastikgegenstand in den gelben Sack wirft, obwohl er keinen grünen Punkt hat.
SPIEGEL ONLINE: Wie kamt ihr auf die Idee für euer Projekt?
Lukas: Vor etwa einem Jahr hat die Friedrich-Ebert-Stiftung eine Studie zum Thema veröffentlicht. Von 30.000 Jugendlichen sagten 60 Prozent, dass Politiker absichtlich abgehoben sprechen.
Johannes: Am Ende der Studie folgten Handlungsempfehlungen an die Politik. Das wollten wir aufgreifen - nur dass die Teilnehmer bei uns ihre eigenen Ratschläge formulieren sollten.
SPIEGEL ONLINE: Habt ihr euch in der Studie wiedergefunden?
Johannes: Ja, ich habe den Eindruck, dass viele Debatten sehr verklausuliert geführt werden.
Lukas: Wobei ich Politikern nicht unterstellen würde, dass sie absichtlich abgehoben sprechen.
SPIEGEL ONLINE: Bemüht ihr euch denn, Politiker zu verstehen?
Johannes: Ja, wir sind beide politisch interessiert und waren auch früher schon politisch aktiv, Lukas in der Jugendvertretung der Kirche in Kassel, ich in der Schülervertretung, unter anderem als Schülersprecher. Ich verfolge die Politik im Fernsehen, im Radio, im Internet.
SPIEGEL ONLINE: Ihr habt den Schülern einen kurzen Film gezeigt, unter anderem mit der Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin, mit Walter Ulbrichts Satz "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten", Edmund Stoibers Rede zum Transrapid und mit Karl-Theodor zu Guttenbergs Erklärung zu seiner Doktorarbeit. Die Schüler sollten ihre Assoziationen aufschreiben - was nannten sie besonders oft?
Lukas: Lügen, unverständlich, Fremdwörter, lächerlich, laut, aggressiv, Beleidigung. Wobei die Lügen wohl vor allem auf Ulbrichts Mauersatz zurückgehen. Wir hatten auch Filmausschnitte dabei, die wir eigentlich gar nicht so schlecht fanden - trotzdem haben die Schüler wenig gelobt.
SPIEGEL ONLINE: Was stört die Schüler an der Politik?
Johannes: Dass Politiker sich abgehoben präsentieren und auch so reden, dass sie in Talkshows Schaukämpfe durchführen, dass sie wenig Interesse für die Themen der Jugendlichen zeigen, dass sie zu selten Schulen und Jugendtreffs besuchen.
Lukas: Wobei sie nicht auf die Idee gekommen sind, dass sie auch mal selbst auf Politiker zugehen könnten. Sie fragen sich: Warum sollen wir uns für Politik interessieren, wenn wir nicht entscheiden dürfen?
SPIEGEL ONLINE: Diese Vorschläge habt ihr gemeinsam mit den Schülern dem Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, präsentiert. Wie hat er geredet?
Johannes: Er hat sich nicht hinter Phrasen versteckt. Aber ich habe mich oft gefragt: Na, kommt er noch auf die Frage zurück?
Lukas: Er ging immer kurz auf die Fragen der Schüler ein, sagte 15 bis 20 sehr allgemeine Sätze zum Thema und beantwortete dann erst in drei Sätzen die Frage.
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