Montag, 6. August 2012

Eine nachdrückliche Rede

Die meisten Reden am 1. August haben keine nachhaltige Wirkung.
Das kann man von der Rede von Doris Fiala nicht sagen. Sie sprach Klartext und wurde wahrgenommen.

Aus So blick:

FDP-Nationalrätin Doris Fiala provoziert und rüttelt auf. Schweizer sind verwöhnt und verweichlicht!

Die Zürcher FDP-Nationalrätin Doris Fiala (55) hat genug von der muffen Jammerschweiz. Sie ruft zu Mut, Fleiss und Optimismus auf.


play «Wir haben ein Wohlstands-Schleudertrauma»: Fiala bei ihrem 1.-August-Auftritt.
(Sabine Wunderlin/SoBli)
Doris Fiala nimmt kein Blatt vor den Mund. Vor drei Wochen hat sie den rhetorischen Zweihänder ausgepackt und den Bundesrat aufgefordert, Deutschland wegen des Kaufs der geklauten Bankdaten vor Gericht zu zerren. Als vierfache 1.-August-Festrednerin am vergangenen Mittwoch schwang sie eine kaum kleinere Verbalkeule, diesmal in Richtung Volk. Ohne Rücksicht auf Verluste, mit strahlendem Lächeln, redete die Stadtzürcher FDP-Nationalrätin ihren Festgemeinden ins Gewissen – und provozierte mit ihrer Frontalkritik irritierte Blicke. 

Fiala diagnostiziert bei der Schweiz ein «Wohlstands-Schleudertrauma». Der Wohlstand in der vor hundert Jahren noch mausarmen Schweiz, erklärt sie im Gespräch mit SonntagsBlick, sei vielleicht zu schnell gekommen. Deshalb schmerze die Wachstumsbremse jetzt umso mehr. Die diffuse Zukunftsangst, die durchs Land geht, vergleicht Fiala mit dem diffusen Kopfschmerz bei einem Schleudertrauma.

Die Grundstimmung vieler Schweizer sei schlicht «muff», findet Fiala. Der typisch schweizerische Begriff stammt von Hugo Loetscher (1929–2009). Der weltläufigste der Schweizer Schriftsteller hatte ein scharfes Auge für die Schweizer Befindlichkeit («Der Waschküchenschlüssel»). In seinem Essay «Über das Muff-Sein» schrieb er, «wir Schweizer sind im Prinzip muff» – also permanent und vorsätzlich missgünstig, leicht säuerlich, wegen Nichtigkeiten verärgert und beleidigt.
Diese Mentalität schade dem Land, sagt Fiala und fragt: «Wie wollen wir im Wandel bestehen, wenn wir nicht begeistert, schaffig, engagiert, dienstleistungsbereit, leidenschaftlich, zufrieden und froh da­rüber sind, dass es uns insgesamt derart gut geht?» Neugierig und innovativ, fleissig, optimistisch und offen für den Wandel müssten die Schweizer sein. Wohlstand sei schliesslich nicht Gott gegeben. «Es kann doch nicht sein, dass 25-Jährige nur noch 80 Prozent arbeiten wollen, weil sie den Freitag brauchen, um das Wochenende vorzubereiten», echauffiert sich die Politikerin im Gespräch. Sie selber, sagt sie, arbeite 12 bis 14 Stunden am Tag.
Die Schweizer aber genössen heute nicht nur die Früchte der Produktivität, sondern lebten auch von der Substanz. Herausforderungen wie etwa die Rentensicherung für kommende Generationen würden einfach aufgeschoben. Dabei gehe es um einfache konkrete Fragen: «Sind wir gewillt, künftig wieder mehr und länger zu arbeiten, nachdem wir auch viel länger leben?» Denn: «Würde das AHV-Alter heute berechnet und an die neue Lebenserwartung gekoppelt – wir müssten bis 70 arbeiten.»

Zeit des Händchenhaltens ist vorbei

 Warum, Frau Fiala, fahren Sie dem Volk so gnadenlos an den Karren? «Die Zeit des Händchenhaltens ist vorbei. Ich will dazu aufrütteln, der ‹muffen› Schweiz eine Absage zu erteilen!»
Sie will die Schweiz bewegen. Und die Schweizer zur Bewegung motivieren.
«Die Deutschen und viele andere Ausländer, die bei uns arbeiten, sind nicht selten Service orientierter als wir Schweizer.» Betretenes Schweigen im Festzelt. Das höre natürlich niemand gern, räumt sie ein. «Wir sind zu rasch und zu oft ‹muff›», weil diese «cheibe Dütsche» einfach überall seien. Weil wir aber die Deutschen und all die anderen Ausländer brauchten, müsse sich das Land innerlich mit ihnen versöhnen und anerkennen, dass sie gute Arbeit leisteten – «gut sind sie da!».
So versöhnlich Fiala mit den Deutschen in der Schweiz ist, so angriffig ist sie gegen das offizielle Deutschland, mit dem weder der Streit um das Steuerabkommen noch jener um den Anfluglärm auf den Flughafen Kloten gelöst sind. «Wir müssen den deutschen Politikern entschieden härter entgegentreten», verlangt sie. «Ich wünsche uns den Mut, nicht immer mit dem billigsten Kompromiss voranzugehen. Wir müssen unsere internationalen Interessen hartnäckig vertreten.»
Und wieder ein wenig schmeichelhafter Vergleich, diesmal an die Adresse der offiziellen Schweiz: Angsthasen regierten das Land, lässt sie durchscheinen. «Wir sitzen im Steuerstreit wie das Kaninchen vor der Schlange statt uns zu wehren. Etwas mehr Zivilcourage ist angesagt und weniger falsche Bescheidenheit», enerviert sich die Nationalrätin.
Frau Fiala, warum reden Sie Schweiz und Schweizer schlecht – sind Sie keine Patriotin? «Ich bin glühende Patriotin, auch wenn ich die Nationalhymne nicht vollständig auswendig kann.» Und von schlechtreden könne keine Rede sein: «Ich möchte motivieren, stolz, glücklich, positiv in die Zukunft zu blicken und daran zu glauben, dass wir die aktuellen und künftigen Herausforderungen meistern.»

Kommentar: Der Erfolg dieser Rede ist vor allem darauf zurück zu führen, dass Doris Fiala das glaubt was sie sagt. Das spürten die Zuhörer. Nur, wer von dem selbst überzeugt ist, was er sagt überzeugt!

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