Dienstag, 3. Juli 2012

KOERPERSPRACHE: WAS VERRAET DIE MIMIK?


Falls Sie den nachfolgenden Beitrag  lesen, erfahren Sie was Jörg Merten schreibt über die Möglichkeiten der Gesichter unserer Mitmenschen zu lesen. Es geht um das Erkennen versteckter Signale. Für ihn sind die Schnittstellen zwischen INNEN und AUSSEN die Muskeln. Ein universeller Code lasse Menschen einander verstehen, findet er. Tatsächlich kann niemand bestreiten, dass sich grundlegende Emotionen wie AERGER, ANGST, TRAUER, FREUDE, VERACHTUNG, UEBERRASCHUNG im Muskelspiel des Gesichtes abzeichenen.

Manche Ausdrücke sind  nach Mertens schlicht Angewohnheit oder dienen dazu, beim Erzählen Akzente zu setzen. Ich zitiere Mertens:  »Außerdem verfügen wir über viel Potenzial, andere zu täuschen.« Wer seine wahren Emotionen verbergen kann, etwa die Wut auf den Chef, hätten Vorteile, denn er ecke weniger an.

Mertens ergänzt:

Auch unterdrückte Emotionen Spuren, sogenannte micromomentary expressions: minimale Bewegungen, die für Zehntelsekunden übers Gesicht huschen, bevor die Mimik unter Kontrolle gebracht ist. Die Signale sind schwer zu erkennen, aber man kann seinen Blick für sie trainieren.  Psychologen, Coachs und Verhandlungsführer aus der Wirtschaft können lernen in Gesichtern nicht wie in einem Buch zu lesen. Der Eindruck, den Beobachter von außen gewinne, sei stets konstruiert und durch eigene Emotionen gefärbt.




Gelesen in ZEIT- ONLINE:



Psychologie Das Fenster zum Ich

Schnell schließen wir vom Aussehen und von der Körpersprache eines Menschen auf seinen Charakter. Doch wie gut kann man wirklich in andere hineinsehen?

Wer ein Seminar bei Jörg Merten besucht hat, sieht danach mitunter Verstörendes in den Gesichtern der anderen. Ein leichtes Zucken zum Beispiel. Merten macht es vor: Er zieht ganz kurz seine linke Wange hoch, als rümpfe er einseitig die Nase. Das Zucken ist so flüchtig und zart, dass man es leicht übersieht. Dabei ist seine Botschaft gravierend. Es bedeutet Verachtung.
Jörg Merten lehrt Psychologie an der Universität des Saarlandes und leitet das Institut für Mimikforschung Gnosis Facialis. Er bringt Menschen bei, in Gesichtern zu lesen. »Für die Kursteilnehmer ist das so, als öffne sich eine Tür zu einer neuen Welt«, sagt er. Plötzlich sehen sie in der Mimik anderer feine Bewegungen, die ihnen zuvor entgangen sind. Mit etwas Übung erkennen sie sogar versteckte Signale. »Man kann manchmal auch Emotionen sehen, die das Gegenüber verbergen will«, sagt Merten.
Es ist ein verlockender Gedanke: hinter die Fassade der anderen zu blicken, sehen zu können, was sie wirklich fühlen und denken. Zu einem gewissen Grad beherrscht jeder diese Fähigkeit und nutzt sie tagtäglich, oft unbewusst. Wenn Menschen einander begegnen, machen sie sich automatisch ein Bild davon, was im anderen vorgeht, ja sogar was für ein Wesen er hat. Innerhalb von Sekunden schließen wir von der äußeren Erscheinung auf Charakter und Einstellungen. Wir sehen Kleidung, Körpersprache und Gesicht und meinen prompt zu wissen, was für ein Mensch vor uns steht. Und allzu leicht glaubt man, jemanden in- und auswendig zu kennen, sein Verhalten vorhersagen zu können. Forscher versuchen zu ergründen, wie solche Eindrücke entstehen und wie gut man wirklich in andere hineinsehen kann.
Der Mensch ist ein soziales Wesen, sein ausgeprägtes kooperatives Denken hat ihn in der Evolution erfolgreich gemacht. Es ist überlebenswichtig, schnell zu begreifen, wer Freund und wer Feind ist und was in den Artgenossen vorgeht. Haben sie Angst, droht womöglich auch Gefahr für das eigene Leben. Kochen sie innerlich vor Wut, gilt es, zu beschwichtigen, ehe es Schläge setzt. Schon Darwin war überzeugt, dass es einen evolutionären Vorteil hat, Emotionen ausdrücken und ablesen zu können.
»Die Schnittstelle zwischen innen und außen«, sagt Jörg Merten, »sind die Muskeln.« Mit ihnen senden wir Signale an die Umwelt, die sich in Körperhaltung, Bewegungen und vor allem in der Mimik niederschlagen. Diese gleicht einem universellen Code, der Menschen hilft, einander zu verstehen.
Die amerikanischen Psychologen Paul Ekman und Wallace Friesen haben mit ihrem Facial Action Coding System dokumentiert, welche Muskeln – Action Units – angespannt werden, um die grundlegenden Emotionen Ärger, Angst, Trauer, Freude, Ekel, Verachtung und Überraschung zu zeigen. Trauer etwa lässt sich schon mit einer einzigen Bewegung ausdrücken. Jörg Merten hebt seine Augenbrauen zur Mitte hin an – und sieht mitleiderregend aus. Ärger ist etwas komplexer. »Da gibt es zum Beispiel die Action Units vier und sieben«, sagt Merten, zieht die Stirnfalte zusammen und verengt die Augen.
Einblicke in die Seele offenbart die Mimik aber nicht immer. Manche Ausdrücke sind schlicht Angewohnheit oder dienen dazu, beim Erzählen Akzente zu setzen, sagt Merten. »Außerdem verfügen wir über viel Potenzial, andere zu täuschen.« Wer seine wahren Emotionen verbergen kann, etwa die Wut auf den Chef, hat Vorteile, denn er eckt weniger an.
Allerdings hinterlassen auch unterdrückte Emotionen Spuren, sogenannte micromomentary expressions: minimale Bewegungen, die für Zehntelsekunden übers Gesicht huschen, bevor die Mimik unter Kontrolle gebracht ist. Die Signale sind schwer zu erkennen, aber man kann seinen Blick für sie trainieren. In Mertens Kursen lernen dies etwa Psychologen, Coachs und Verhandlungsführer aus der Wirtschaft. In Gesichtern wie in einem Buch zu lesen sei aber dennoch nicht möglich, betont Merten. Der Eindruck, den Beobachter von außen gewinnen, sei stets konstruiert und durch eigene Emotionen gefärbt. Seine Experimente ergaben: Sollen Personen einschätzen, wie sich ihr Gegenüber in einem Gespräch gefühlt hat, dann hängt das Ergebnis auch davon ab, was sie selbst in dieser Situation empfunden haben. »Wir sind eben keine Messinstrumente.«
Am Media Lab des Massachusetts Institute of Technology arbeiten Wissenschaftler an Maschinen, die Gesichtsausdrücke objektiver analysieren sollen als ein Mensch. Wer die berühmte Bastelwerkstatt betritt, stößt auf erstaunliche Erfindungen, darunter ein Spiegel, der Herzfrequenzen misst. Hier hat Rana el Kaliouby eine Brille entwickelt, die Mimik interpretiert.


Das Fenster zum Ich
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Widersprüchliche Signale

Die Informatikerin hat ein großes Lächeln, das sie oft zeigt. Und dank ihrer Erfindung kann das nun auch ihr Computer erkennen. Eine Kamera registriert, ob jemand nickt oder den Kopf schüttelt, und verfolgt 24 Punkte im Gesicht. Das Programm vermisst die Bewegungen der Punkte und gleicht sie mit Gesichtsausdrücken ab, die aus einer Datenbank eingespeist wurden. Über einen kleinen Lautsprecher erfährt der Nutzer, ob sein Gegenüber interessiert zuhört oder gelangweilt abschweift, ob die andere Person Zustimmung, Widerspruch oder Irritation signalisiert. Auf einem Monitor dokumentieren farbige Kurven die Stimmung des Beobachteten.
Autisten sollen mithilfe des Programms lernen, die Mimik anderer besser zu verstehen. Es gibt aber noch andere Interessenten, etwa die Werbeindustrie oder Partnervermittlungen, die die Technik gern für Online- und Speeddating einsetzen würden. Anfragen kamen auch von Sicherheitsbehörden. »Die haben wir aber abgelehnt«, sagt el Kaliouby. Dennoch ist es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis Passagiere an US-Flughäfen mit derartiger Technik überwacht werden. Schon heute patrouillieren mancherorts Sicherheitskräfte, die verdächtige Personen an der Körpersprache erkennen sollen, bisher jedoch ohne nennenswerten Erfolg.
ZEIT Wissen 4/2012

Dieser Text stammt aus dem aktuellen ZEIT Wissen Magazin, das am Kiosk erhältlich ist. Klicken Sie auf das Bild, um auf die Seite des Magazins zu gelangen
Emotionspsychologe Merten sieht solche Technologien kritisch. Die Mimik sei zu komplex, um von einer Software gelesen zu werden. »Ein Lächeln ist für solche Programme immer ein Lächeln, auch wenn ich damit Wut oder Verachtung verdecke.«
Wenn das Gesicht eines Menschen schon so widersprüchliche Signale über den augenblicklichen Gemütszustand sendet, dann muss es umso schwerer sein, von außen zu erkennen, welchen Charakter jemand hat, was für ein Mensch er ist. Dennoch fällen wir ständig allein aufgrund des Aussehens Urteile über solche tiefer gehenden Merkmale.
Um uns ein Bild von einer anderen Person zu machen, reichen wenige Augenblicke. Thin slices nannten die Psychologen Robert Rosenthal und Nalini Ambady die kleinen Eindrücke, die wir in diesen Momenten aufschnappen. Mit aufsehenerregenden Studien zeigten sie bereits vor 20 Jahren, dass Menschen anhand sehr weniger Informationen Urteile über andere abgeben, die öfter der Wahrheit entsprechen, als mit bloßen Zufallstreffern erklärbar wäre.
Schon anhand eines kurzen Videoausschnitts oder Wortwechsels können wir manche Eigenschaften erkennen. Haltung und Bewegungen deuten auf den sozialen Status hin; Extrovertiertheit zeigt sich in ausladender Gestik, expressiver Mimik und einer lauten Stimme; auf Gewissenhaftigkeit lassen formaler Kleidungsstil und ein etwas steifes Verhalten schließen.
  • Das Ich im Netz
  • Facebook und eigene Websites
Auch die Spuren, die wir im Internet hinterlassen, geben Hinweise auf unsere Persönlichkeit.
Die E-Mail-Adresse
Schon die Absenderzeile kann verräterisch sein, ergab eine Studie des Münsteraner Psychologen Mitja Back. Gewissenhafte Menschen haben seltener lustige E-Mail-Adressen und häufiger solche, die auf .de enden. Auf Offenheit deuten kreative Wortschöpfungen und viele Unterstriche hin.
Mitunter reicht sogar ein Passfoto, um Menschen einzuschätzen. Eine Studie des Baseler Psychologen Jakub Samochowiec zeigte, dass Probanden häufig die politische Orientierung (rechts oder links) eines ihnen unbekannten Politikers von einem Foto ablesen konnten. »Besonders gut erkannten sie Politiker, deren Einstellung der eigenen widersprach«, sagt der Heidelberger Sozialpsychologe und Co-Autor Klaus Fiedler. Welche Merkmale die entscheidenden Hinweise lieferten, ist nicht klar. »Die Kleidung allein war es nicht, denn als sie wegretuschiert wurde, waren die Einschätzungen noch immer besser als Zufallstreffer.«
Solche Studien geben den Forschern Rätsel auf. Sogar wenn Testpersonen Persönlichkeitseigenschaften an Gesichtern ablesen sollen, gelangen erstaunlich viele zu den gleichen Ergebnissen. Der Wahrheit entsprechen diese Urteile aber nicht unbedingt. Offenbar hat die ausgeprägte Fähigkeit, Emotionen in Gesichtern zu lesen, die Nebenwirkung, dass wir manchmal schon die bloße Gesichtsstruktur interpretieren. Der Psychologe Alexander Todorov von der Princeton University fand heraus: Neutrale Gesichter, deren Physiognomie an einen emotionalen Ausdruck erinnert, rufen die Assoziation mit verwandten Charakterzügen hervor. Ähnelt ein Gesicht von Natur aus einer zornigen Mimik, hält man den Menschen eher für aggressiv und gemein.
Psychologen vermuten, dass in solchen Fällen die Gehirnsysteme zur Emotionserkennung »übergeneralisieren«. Sie interpretieren selbst ein starres Muster als Signal. Eine ähnliche Verzerrung sehen Forscher auch beim Babyface-Effekt. Kindliche Gesichtszüge lassen Erwachsene naiver, fügsamer und ehrlicher aussehen. Auf ein Babygesicht mild zu reagieren ist zum Schutz unseres Nachwuchses anscheinend so tief in uns angelegt, dass wir auch bei Erwachsenen auf solche Reize ansprechen. Einmal zu viel ist offenbar besser als einmal zu wenig. Das kann kuriose Folgen haben: Eine Studie deutet darauf hin, dass Straftäter mit kindlichen Gesichtszügen bei vorsätzlichen Taten eher freigesprochen, bei Fahrlässigkeit dagegen eher für schuldig gehalten werden.

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