Ein lesenswerter Beitrag (Quelle PERSOENLICH.COM):
Herr Luginbühl, welches sind typische Wortschöpfungen im aktuellen Diskurs, die auf die SVP als Urheberin zurückzuführen sind?
- "Scheinelite" zum Beispiel, "Balkanisierung der
IV" oder "Asyl-Missbrauch". Ob die SVP die Urheberin dieser Begriffe
ist, habe ich nicht untersucht. Wichtig ist aber vor allem, dass die SVP
diese Begriffe intensiv verwendet und ihnen eine bestimmte Bedeutung
zuschreibt.
Sie nennen den Begriff "Scheinelite". Damit geht die SVP von der Vorstellung einer "falschen Elite" aus. Wer ist gemeint?
- Es handelt sich hier um eine in vielen Texten der
SVP konstruierte Gruppe, welche laut SVP im Moment gesellschaftliche
Macht hat, diese aber aus Sicht der SVP missbraucht oder nicht mit ihr
umzugehen weiss. "Scheinelite" meint die "aufgeblasenen Bluffer",
"Privilegienreiter", "unfähige Manager", ganz allgemein die "Oberen".
Und wer gehört auf der anderen Seite zur "wahren Elite"?
- Als "oberste, wichtigste und entscheidendste
Elite" werden die Bürgerinnen und Bürger konstruiert, wobei zu dieser
'Wir-Gruppe' dann neben Gewerbetreibenden, Landwirten und Arbeitnehmern
auch die nationalkonservativen Volksvertreter selbst gehören. So
positioniert sich die SVP ausserhalb der von ihr so genannten "classe
politique". Sie präsentiert sich als einzige Partei, welche die falsche
Elite bekämpft, volksnah ist und die "wahre Elite" kennt.
Plakate sind für Schweizer Politik mit zahlreichen
Volksabstimmungen typisch und entfachen jeweils heftige Diskussionen.
Welche Mittel nutzt die SVP dabei?
- Zentral sind Tabubrüche. Mit teilweise
stigmatisierenden Darstellungen ganzer Bevölkerungsgruppen, deutlichen
Abwertungen politischer Gegner oder gezielten provokativen
Zweideutigkeiten werden bewusst Tabus gebrochen.
"Keiner will Rainer" Anzeige in der "Aargauer Zeitung" von 2009. Quelle: www.wahlkampfblog.ch
"Keiner will Rainer" ist ein SVP-Beispiel für einen Tabubruch. Gibt es ähnliche Beispiele anderer Parteien?
- Ja, die eben genannten Mittel werden nicht
ausschliesslich von der SVP verwendet, sondern auch von anderen
Akteuren, allerdings weniger häufig. Ich erinnere an die Kampagne des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes,
in der einzelne Mitglieder des Bundesrates als Blinde, Einbeinige oder
Rollstuhlfahrer abgebildet wurden, während ihnen gleichzeitig im
Begleittext Mangel an Empathie und rein strategisches Verhalten
zugeschrieben wurde. Ebenfalls als tabuverletzend kann man bestimmte
Plakate der SP bewerten, etwa wenn auf einem Plakat in einer Fotomontage
(vgl. Abbildung unten) gezeigt wird, wie ein Flugzeug in einen
AKW-Kühlturm fliegt und explodiert und so nahegelegt wird, Atomenergie
könnte Terroranschläge wie diejenigen auf das World Trade Center in New
York begünstigen.
SP-Plakat zur Atomenergie von 2007. Quelle: www.ignoranz.ch
Offenbar haben es die Mitteparteien schwierig, denn nur die
Polparteien können Inhalte stark zuspitzen und Emotionalisieren. Sehen
Sie konkrete Möglichkeiten, wie sich CVP, FDP, die Grünen, BDP oder GLP
mehr Gehör verschaffen können?
- Stark zuspitzen und emotionalisieren können
natürlich alle Parteien. Die Frage ist, ob sie es wollen und wirklich
tun. Auffallend ist aber, dass sowohl im rechten wie im linken Lager mit
illegitimen Praktiken geworben wird: Einzelne Personen oder ganze
Personengruppen werden stigmatisierend dargestellt, Zweideutigkeiten
werden bewusst in Kauf genommen, viele Plakate und Anzeigen sind darauf
angelegt, Angst vor vermeintlichen Bedrohungen auszulösen. Es gehört
wohl zur Natur der Sache, dass auf Plakaten und in Inseraten zugespitzt
wird oder sogar zugespitzt werden muss, weil der Platz beschränkt ist
und die Rezeptionsdauer ebenfalls. Problematisch sind Zuspitzungen
meiner Meinung nach dann, wenn sie eben auf illegitime Praktiken
zurückgreifen.
So würde ich den Mitteparteien und eigentlich allen
Parteien empfehlen, zuzuspitzen und die eigene Position klar zu
kommunizieren. Aber eben auf eine Weise, die nicht unsachgemäss
verletzend, beleidigend oder verängstigend ist.
Laut Ihrem Aufsatz
gab es in den 1930er und 1940er Jahren eine Phase mit ähnlich scharfem,
teilweise diskriminierendem Tonfall in Medien und Politik. Können Sie
Beispiele geben?
- 1921 gab es ein Plakat in dem die Sympathisanten
von Bolschewiken als rote Ratten dargestellt werden. Genau so werden
"die Linken" in einem Plakat der SVP aus dem Jahr 2004 dargestellt.
Gibt es Parallelen in den politischen, gesellschaftlichen oder
wirtschaftlichen Gegebenheiten zwischen den 30er/40er-Jahren und heute,
resp. welches sind die Ursachen für die jeweils laute, kräftige und
vereinfachende Sprache im öffentlichen Diskurs?
- Dies ist natürlich eine Frage, die man mit
linguistischen Analysen allein so nicht beantworten kann. Ich gehe aber
davon aus, dass sich der Ton im politischen Diskurs immer dann
verschärft, wenn sich gesellschaftliche Verteilkämpfe zuspitzen.
In "Reflexe" auf DRS 2 bemängeln Sie den Unterhaltungsfaktor der SF-Arena. Können Sie Ihre Kritik noch etwas genauer ausführen?
- Ich habe nichts dagegen, politische Inhalte
unterhaltsam präsentiert zu bekommen. Die Frage ist aber auch hier, zu
welchem Preis die Unterhaltung realisiert wird. Die Sendung "Arena" ist
vom redaktionellen Konzept über den Studioaufbau bis hin zur
Gesprächsführung der moderierenden Personen darauf angelegt, dass vor
laufender Kamera gestritten wird. Dadurch fallen nicht nur
Gemeinsamkeiten von vornherein unter den Tisch, sondern der Hauptakzent
verschiebt sich tendenziell von der Inhalts- auf die Beziehungsebene.
Letztlich wird somit spannend, wer wen "schlägt" - und es geht nicht im
Kern nicht mehr darum, um welches Problem es geht oder darum, die
verschiedenen Positionen differenziert darzulegen. Davon können
Politiker profitieren, indem sie sich als gute Kämpfer im verbalen Kampf
zeigen, ohne sich wirklich auf anspruchsvolle Argumentationen einlassen
zu müssen. Und das Fernsehen profitiert durch eine dynamische
Gesprächssendung mit hohen Einschaltquoten.
Somit sollte die "Arena" Ihrer Meinung nach nicht auf Unterhaltung
setzen, sondern auf konstruktive, inhaltsorientierte Diskussion?
- Die Unterhaltung sollte nicht auf Kosten
konstruktiver Diskussionen realisiert werden. So, wie das Konzept jetzt
ist, wird konstruktive Diskussion im Interesse der Unterhaltung eher
verhindert als ermöglicht.
Sie sagen, dass aufgrund des mediatisierten politischen Diskurs‘ Inhalte zugespitzt werden. Welche Probleme resultieren daraus?
- Es liegt, wie gesagt, wohl in der Natur der Sache,
dass in bestimmten Zusammenhängen zugespitzt werden muss, zum Beispiel
auf Plakaten. Problematisch wird es meiner Meinung nach dann, wenn dabei
Inhalte verfälscht werden - also wenn etwa einzelne Bundesräte auf
unsachliche Weise beleidigt oder ganze Bevölkerungsgruppen negativ
bewertet werden. Hier spielen die Massenmedien insofern auch eine
Rolle, als sie – wie etwa mit der "Arena" - eben auch Formate
produzieren, die derartigen Entwicklungen tendenziell Vorschub leisten.
Der Schwarze Peter liegt nicht nur bei der "Arena" alleine. Es
wird ja generell kritisiert, dass der SVP im medialen Diskurs zu viel
Gewicht zukommt. Was können Medienschaffende gegen diese Asymmetrie tun?
- Die SVP ist so prominent in der
Medienberichterstattung, weil sie sich in ihrer Aussenkommunikation gut
an die Medienlogik angepasst hat. Oder anders gesagt: Sie liefert
regelmässig das, worüber Medien gerne berichten. Das hat natürlich genau
mit diesem Rückgriff auf illegitime Praktiken zu tun. Medienschaffende
sollten sich dieser Instrumentalisierung bewusst sein - und jeweils gut
abwägen, inwiefern eine Berichterstattung substanziell auch
gerechtfertigt ist. Aber dies gilt natürlich nicht nur für die SVP,
sondern auch für andere Parteien, die sich entsprechender Praktiken
bedienen.
Was halten Sie vom Vorschlag die Themen der SVP wenn immer möglich
zu ignorieren und ihnen andere, relevantere entgegenzustellen ("persoenlich.com" berichtete)?
- Ich bin aufgrund meiner demokratischen Überzeugung
dagegen, einzelne Parteien "wenn immer möglich" zu ignorieren und in den Medien auszuklammern.
Ich bin
aber sehr dafür, im Einzelfall die Relevanz gut abzuwägen und nicht über
jedes für die Medien inszenierte Pseudo-Ereignis zu berichten. Zudem
sollten Inszenierungsaspekte in der Medienberichterstattung vermehrt
Berücksichtigung finden.
Welche Konsequenzen haben dauerhaft nörgelnde oder besonders harte
Töne Ihrer Meinung nach auf die Schweizer Gesellschaft und Politik?
- Ich glaube, dass dies einerseits zu einer
Verhärtung politischer Fronten führt und somit die Erarbeitung
konsensfähiger Lösungen für anstehende Probleme erschweren kann. Und ich
glaube auch, dass dies dazu führen kann, dass sich Stimmbürger von der
Politik abwenden, weil der politische Diskurs tendenziell auf den Aspekt
des Streitens, Angreifens und Beleidigens reduziert wird.
Montag, 7. März 2011
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