Mittwoch, 15. September 2010

Kurze Befragungen der Bundesratskandidaten sind ungenügend

Die aktuellen Bundesrats-Kandiaten werden von den Parteien nur ein halbe Stunde lang befragt. Ich teile die Meinung des Headhunters Björn Johannsson, welcher den Kurzbefragungen recht kritisch gegenübersteht. Bei meinen Medienassessements wird ein Kandiat vor der Kamera mindestens eine Stunde auf Herz und Nieren geprüft. Ich könnte nie mit gutem Gewissen eine fundierte Beurteilung verfassen, wenn mir nur 30 Minuten zur Verfügung stehen würden. Ich muss sagen können, ob die Person medientauglich ist, ob sie zusätzlich ausgebildet werden müsste oder ob sie die Bedingungen der Ausschreibung - hinsichtlich Umgang mit Medien - nicht erfüllt.

Headhunter Björn Johannsson weiss, wie man Spitzenposten besetzt. Das Auswahlverfahren im Bundesratsrennen kritisiert er. Für die 30-Minuten-Hearings hat er ein vernichtendes Urteil.

1/5 Alles bereit zum Hearing? Die CVP-Fraktion erwartet am Dienstag, 14. September im Bundeshaus die Kandidatinnen und Kandidaten, damit diese befragt werden können.

«Ich finde das ist nicht professionell»: Björn Johannsson.

INTERVIEW (Tagi)

Herr Johannsson, reichen 30 Minuten bei den Hearings der Kandidatinnen und Kandidaten vor den Fraktionen?

Nein. Die Hearings wirken eher wie eine Schönheitskonkurrenz, denn wie ein richtiges Interview. So kann man höchstens herausfinden, wer am sympathischsten ist, aber nicht, wer der geeignetste Kandidat ist.

Was wäre Ihrer Meinung nach nötig?

Drei Stunden lang müssten sie grilliert werden. Erst dann spürt man die Menschen richtig. In 30 Minuten sagen sie «guten Tag» und «adieu», zu viel mehr reicht es nicht. Ich finde, das ist nicht professionell und nicht seriös. Wenn ich Spitzenleute suche, dann müssen die durch bis zu acht knallharte Interviews. Unsere Bewerber gehen in der Regel auch durch ein psychologisches Assessment, das ein oder mehrere Tage dauert…

… schlagen Sie das auch für Bundesratskandidaten vor?

Das wäre sicher nicht schlecht, wenn die durch ein solches Assessment gehen müssten. Und das Resultat könnte man ja für die Debatte öffentlich machen. Warum nicht.

Sehen Sie weitere Fehler bei dem Auswahlverfahren im Bundesratsrennen?

Was mir zu wenig zum Tragen kommt, ist die Frage, ob jemand ins bestehende Team passt. Wie setzt sich der Bundesrat zusammen und wer passt da rein? Es wird zu viel über die Frauenfrage diskutiert. Und auch die Debatte über die regionale Herkunft der Kandidaten gewinnt zu viel Gewicht. Ein Problem sehe ich zudem darin, dass nicht nach Persönlichkeiten gesucht wird, die in bestimmte Departemente passen.

Das wird damit begründet, dass ein Bundesrat oder eine Bundesrätin primär für die politische Führung der Departemente verantwortlich ist. In der Sache selber stützen sie sich auf ihre Mitarbeiter, insbesondere auf die Chefbeamten.

Trotzdem, ein Finanzminister muss doch mit der Materie bestens vertraut sein. Für das Justizministerium braucht es einen Juristen und wer das VBS leitet, muss etwas von Militär verstehen und auch eine gewisse Leidenschaft dafür haben. Auch hier sehe ich eine deutliche Schwäche in diesem Auswahlverfahren. Wüsste man, wofür eine Persönlichkeit gesucht wird, könnte dieser Prozess deutlich professioneller geführt werden.

Sehen Sie auch Positives in der Kandidatenkür zur Bundesratswahl?

Wenn wir eine Persönlichkeit für eine Spitzenposition in der Wirtschaft suchen, dann sind in der Regel nur ganz wenige Menschen involviert. Im Gegensatz dazu ist das System in der Politik viel transparenter. Hat jemand irgendwelche Leichen im Keller, kommt das sicher zum Vorschein. Es sind viel mehr Menschen an dem Prozess beteiligt. Auch die Medien helfen hier tatkräftig mit. Und das wirkt sich auf die Qualität des Auswahlverfahrens positiv aus. Im Übrigen gibt es auch viele Parallelen zwischen den Verfahren sowohl in der Wirtschaft wie auch in der Politik. Anfänglich werden Anforderungsprofile erstellt, über mehrere Stufen wird das Kandidatenfeld immer kleiner, der Suchprozess dauert in der Regel zwei bis vier Monate, und am Schluss sollten nur noch wenige Kandidaten in der Endausscheidung stehen. Darin erkenne ich auch meine Arbeit wieder.

Sehen Sie eine Alternative zum jetzigen Auswahlverfahren?

Die Rede ist immer von der Volkswahl. Die SVP kommt ja mit dieser Initiative. Ich glaube aber nicht, dass dadurch die Auswahl besser wird. Normalerweise verfügt der Bürger nicht über die Kenntnisse, ob eine Person für eine bestimmte Aufgabe geeignet ist oder nicht. Und dann liefe es wieder darauf hinaus, ob jemand sympathisch ist oder nicht.

Ihre Kritik am Auswahlverfahren ist hart. Heisst das, wir bekommen nicht zwingend die besten Bundesräte oder Bundesrätinnen?

Das ganze Verfahren ist auf Glück und Zufall angelegt und nicht unbedingt darauf, dass diejenigen mit den besten Qualifikationen gewählt werden. Trotzdem hoffen wir nun, dass für die Schweiz das bestmögliche Resultat herauskommt.

(Tagesanzeiger.ch/Newsnetz)

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