Freitag, 18. Juni 2010

Sie taten nur so, als hätten sie das Heu auf der gleichen Bühne

Wie haben bereits an der ominösen Pressekonferenz - an der Einigkeit vorgespielt worden war - an der Körpersprache deutlich erkannt, dass Merz und Calmy-Rey spinnefeind sind.

Heute lesen wir im blick-online:

Haben das Heu nicht auf der gleichen Bühne: Calmy-Rey und Merz. (Reuters)

Haben das Heu nicht auf der gleichen Bühne: Calmy-Rey und Merz. (Reuters)

Auslöser ist die Libyen-Affäre: Hans-Rudolf Merz soll heute Morgen ein Papier samt einem Antrag in den Bundesrat gebracht haben. In diesem erwähnte er die von der Schweiz geplante Kommando-Aktion. Laut Insider soll Merz der Aussenministerin den Vorwurf gemacht haben, man habe ihn bei seiner Reise nach Tripolis im August 2009 ins Messer laufen lassen. Micheline Calmy-Rey soll dies jedoch vehement bestritten haben. Offenbar endete die Bundesratssitzung so, dass nicht klar wurde, ob nun Calmy-Rey Merz über die Pläne informiert hat oder nicht. Über diese Auseinandersetzung wurde im Bundesrat Stillschweigen vereinbart. Bundesratssprecher André Simonazzi sagte heute vor den Bundesratsmedien lediglich, dass der Bundesrat sich über die Libyen-Affäre unterhalten habe. Aus Rücksicht auf die Untersuchung der Geschäftsprüfungskommission GPK könne er dazu aber vorerst nichts sagen und wollte keine Fragen beantworten. Gut informierte Kreise in Bundesbern wollen allerdings nicht ausschliessen, dass die geplante Kommandoaktion vielleicht mit ein Grund gewesen sein könnte, dass Merz bei seinem Gang nach Tripolis scheiterte. Was man bisher nicht wusste: Ende 2008 und im April 2009 zogen Kreise im EDA und im VBS ernsthaft eine Befreiungsaktion der beiden Geiseln in Erwägung.

Blattmann hatte Einsatzbefehl bereits unterschrieben

Das Westschweizer Radio berichtet von einer geplanten Aktion im September 2009. Bundesrat Merz nahestehende Kreise, hätten erklärt, dass Micheline Calmy-Rey die Entscheidung, ein militärische Intervention vorzubereiten, alleine gefällt habe. Dem Dossier nahestehende Kreise erklärten gegenüber BLICK: Armeechef André Blattmann habe gar zweimal den Einsatzbefehl unterschrieben. Beim ersten Versuch 2008 seien die für einen Befreiungsschlag notwendigen Vorbereitungen weit fortgeschritten gewesen. Im April 2009 habe man hingegen eine Kommando-Aktion bloss geprüft. Pikantes Detail: Als Aussenministerin Calmy-Rey im Mai 2009 mit den Ehefrauen der zwei Geiseln aus Tripolis abfliegen wollte, wurde sie am Flughafen aufgehalten. Offiziell war von einem technischen Problem die Rede. Inzwischen wollen Politiker in Bern erfahren haben, dass Calmy-Rey wegen den geplanten Kommando-Aktionen aufgehalten worden sei. Der libysche Geheimdienst habe von diesen erfahren.

Nach 20 Min:

Die Anfeindungen unter den Bundesräten wegen der Planung einer Befreiungsaktion in Libyen schwelen weiter. FDP-Politiker fordert den Rücktritt Calmy-Reys.

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Hat Calmy-Rey Merz während seines Libyen-Besuchs einem Risiko ausgesetzt oder hat ihr Departement nur alle Optionen geprüft? (Archivbild vom März 2010) (Bild: Keystone)

Sollte sich der Vorwurf von Finanzminister Hans-Rudolf Merz an Aussenministerin Micheline Calmy-Rey erhärten, müsse diese «als Bundesrätin zurücktreten». Das sagt FDP-Nationalrat Walter Müller gegenüber der «SonntagsZeitung».

Das SMS des Anstosses: In wessen Auftrag wurde es an die Journalisten verschickt? (Screenshot SF)

Das SMS des Anstosses: In wessen Auftrag wurde es an die Journalisten verschickt? (Screenshot SF)

Der Titel von Hansjürg Zumsteins TV-Film über die Libyen-Krise ist vieldeutig: «Die verlorene Ehre» heisst die Dokumentation, die das Schweizer Fernsehen noch am Tag von Max Göldis Landung in Kloten ZH ausstrahlte. Ist damit das libysche Regime gemeint? Oder spielt Zumstein auch auf Bundesratsmitglieder an? In Bern wurde das Werk jedenfalls mit Argusaugen betrachtet. Besonders gross ist der Ärger im EDA, dem Departement von Aussenministerin Micheline Calmy-Rey (SP). Eine Schlüsselszene des Films ist die Medienkonferenz ihres Kollegen Hans-Rudolf Merz am 21. August 2009 in Bern. Der damalige Bundespräsident teilt mit, dass er mit Libyen den Vertrag zur Einsetzung eines Schiedsgerichts unterzeichnet hat. SMS während Merz-Konferenz Im selben Moment erhalten mehrere anwesende Journalisten ein SMS: «Die Direktion für Völkerrecht hat gestrigen Vertrag vor Unterzeichnung nicht gesehen» – eine Ohrfeige für den Bundespräsidenten. Der TV-Kommentator: «Absender ist Lars Knuchel, Calmy-Reys oberster Informationschef.» Dann kommt der entscheidende Satz: «Verfasst hat er es im Auftrag von ihr.» Sollte tatsächlich Calmy-Rey die SMS-Attacke auf den FDP-Bundesrat Merz in Auftrag gegeben haben, wäre das ein grober Verstoss gegen das Kollegialitätsprinzip.

Hat sie oder hat sie nicht?

Beim EDA widerspricht man Zumsteins Darstellung, die von zahlreichen Journalisten geteilt wird. Zwar sei der sachliche Inhalt des SMS mit Calmy-Rey abgesprochen; doch EDA-Sprecher Adrian Sollberger gibt nach internen Beratungen am Samstag Folgendes frei zum Druck: Es treffe nicht zu, dass die Departementschefin «den konkreten Versand von SMS mit dem Inhalt dieser offiziellen Stellungnahme angeordnet hätte». Zumstein beharrt darauf, dass sein Film korrekt sei. Er verweist auf eine EDA-Medienauskunft, in der es heisst, dass mit den SMS Medienanfragen «gemäss den Vorgaben» beantwortet worden seien – «aufgrund der länger verstrichenen Wartezeit und angesichts der grossen Zahl von Anfragen sowohl mündlich (Telefon) wie auch schriftlich (E-Mail, SMS)». Hat sie nun oder hat sie nicht? Heikel ist die Geschichte in jedem Fall: Sollte Calmy-Rey nichts von der SMS-Aktion gewusst haben, muss sie sich die Frage gefallen lassen, wie autonom ihr Kommunikationschef in politisch brisanten Situationen agieren darf.

NZZ über LA CRUELLA

Zwar hat die 64-Jährige das Image der jung gebliebenen Strahlefrau, doch in der Westschweiz nennt man sie auch «Cruella», die Grausame, nach der Figur im Trickfilm «101 Dalmatiner». Sie selber weiss: Den Namen hat sie sich nicht nur wegen ihrer Mèches eingehandelt. Sie polarisiert. Seit eh und je, bereits als Genfer Finanzdirektorin. Man hasst sie – oder man bewundert sie. Weil sie machtbewusst ist, weil sie sich durchzusetzen vermag. «Wäre sie es nicht, wäre sie nicht da, wo sie jetzt ist», verteidigt sie eine Genferin. Von Calmy-Rey selber stammen Sätze wie: «Ja, ich bin stur. Was ist falsch daran?» Oder: «Ich liebe die Macht, und ich stehe dazu.» Das kommt nicht immer gut an. Die Abneigung gewisser Männer dürfte, sagt ein Genfer Journalist, wenigstens teilweise auf chauvinistischen Reflexen beruhen. Trotzdem sind die wenigen Personen in ihrem Departement, denen Calmy-Rey vertraut, Männer: Generalsekretär Roberto Balzaretti, Staatssekretär Peter Maurer, Kommunikationschef Lars Knuchel. Weite Teile des eigenen Departements stehen mit Calmy-Rey derzeit hingegen auf Kriegsfuss. Der Unmut im diplomatischen Korps wächst, die Personalverbände der Diplomaten beklagten unlängst das schlechte Klima, konstatierten eine zunehmende Verunsicherung und einen Vertrauensverlust. Auch in der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) herrscht Verunsicherung, man vermisst eine klare Strategie – und den konkreten Nutzen der einst begrüssten Reorganisation. Zu hören ist auch, «Madame la cheffe» sei «in gewissen Dossiers beratungsresistent». Andere loben sie als führungsstark: «Es ist möglich, eine andere Meinung zu haben – man muss einfach die Stärke haben, dazu zu stehen», heisst es.

Drang zur Weltpolitik

«Ich bin eigentlich ein schüchterner Mensch», sagt Calmy-Rey über sich. Eine Schüchternheit, die sie offensichtlich zu überwinden vermag: So sang sie 2007 «Les trois cloches» in einer Sendung des Westschweizer Fernsehens. Und sie scheint auch die grossen Auftritte auf der internationalen Bühne eher zu geniessen als zu scheuen. Etwa bei der Unterzeichnung der unter Schweizer Vermittlung ausgehandelten türkisch-armenischen Protokolle im Oktober 2009 in Zürich im Kreise der Aussenminister Clinton, Lawrow, Kouchner. Es war einer ihrer grössten Erfolge der letzten Zeit, nebst der erfolgreichen Kandidatur von Joseph Deiss als Vorsitzender der Uno-Generalversammlung und der Ausrichtung des Frankofoniegipfels im Herbst.

Umstritten ist hingegen ihre Iran-Politik, wo ihr zu geringe Distanz zu den Mullahs vorgeworfen wird. Ähnliches gilt für ihre Nahostpolitik. Und die von Calmy-Rey medial inszenierte Lancierung des Global Humanitarian Forum mit Kofi Annan endete heuer faktisch in einer Bankrott-Erklärung.

Oft wird kritisiert, Calmy-Reys Vorliebe für Dossiers der Weltpolitik diene vorab der eigenen Profilierung. Martine-Brunschwig Graf, liberale Gegenspielerin aus Genf, attestiert der Aussenministerin aber: «Ich bin sicher, dass sie etwas für die Schweiz erreichen will. Ob es politisch das Richtige ist, ist eine andere Frage.» Kein Zweifel, Calmy-Rey ist Patriotin: Klingelt ihr Handy, ertönt die Nationalhymne.

Im Moment dürfte sie oft ertönen: In Bern jagen sich neue Gerüchte über Calmy-Reys Rolle in der Libyenkrise. Nachdem sie Anfang Woche von ihrem spanischen Freund Moratinos auf der internationalen Bühne mit Applaus bedacht wurde, spielt sie nun wieder die Hauptrolle im Provinztheater.

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