(Aus TAGI)
Er vertritt nicht einmal ein halbes Prozent aller Musliminnen und Muslime in der Schweiz. Dennoch wird derzeit mehr über ihn berichtet als über alle anderen. Denn der Schweizer Konvertit Nicolas Blancho, der den Islamischen Zentralrat der Schweiz präsidiert, gibt mit seinen Positionen extrem zu reden. Er verlangt eigene Schulen für Muslime, nennt die Steinigung «einen Wert meiner Religion» und möchte seine Organisation als Vertreterin des traditionellen Islams in der Öffentlichkeit etablieren. Das ist ihm spätestens mit dem Auftritt in der «Arena» des Deutschschweizer Fernsehens auf grelle Weise gelungen.
Kontrollieren, überwachen
Die politischen Reaktionen auf Blanchos Ansichten fallen heftig aus. «Dieser Mann ist gefährlich für die Schweiz», sagt zum Beispiel CVP-Präsident Christophe Darbellay; wäre er nicht Schweizer, sondern ausländischer Imam, müsste man ihn als Hassprediger sofort ausweisen.
Was aber fordern die grossen Bundesratsparteien konkret von den radikalen Muslimen in der Schweiz? In erstaunlich vielen Punkten sind sie sich einig: Erstens gelte der Schweizer Rechtsstaat auch für Islamisten, und zwar ohne jede Einschränkung. Zweitens sollen Musliminnen in öffentlichen Ämtern keine Burka tragen dürfen (hier geht Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf von der BDP noch weiter, sie könnte sich sogar ein generelles Verbot vorstellen). Drittens darf es keine Schuldispensierung aus religiösen Gründen geben. Viertens halten es die Parteien aber für kontraproduktiv, den Islamischen Zentralrat einfach zu verbieten. Dann nämlich, sagt der Bieler Stadtpräsident und SP-Nationalrat Hans Stöckli, «gehen diese Leute einfach in den Untergrund». Fünftens aber solle man solche Organisationen überwachen und kontrollieren. Dazu müsse erst, sagt der Aargauer FDP-Nationalrat Philipp Müller, endlich das neue Staatsschutzgesetz installiert werden. Dieses war vom Parlament im letzten Jahr an den Bundesrat zurückgewiesen worden, die beiden Kammern kritisierten übermässige Eingriffe in die Grundrechte.
Über die Gemeinsamkeiten hinaus sind auch Unterschiede in den Positionen auszumachen, wenn auch keine besonders grossen. Die SVP widersetzt sich auch dem Anspruch von Muslimen auf besondere Grabesregeln in öffentlichen Friedhöfen: Wenn schon, müssten dazu private Friedhöfe nach kantonalem Recht errichtet und auch privat finanziert werden. Der Nationalrat hat unlängst zwei SVP-Vorstösse überwiesen. Der eine verlangt eine Bewilligungspflicht für Imame in der Schweiz, der andere die Ausweisung islamischer Hassprediger. Zustimmend sagt CVP-Präsident Darbellay, seine Partei bekämpfe Hassprediger und Fundamentalisten und halte überhaupt nichts von Koranschulen und Parallelgesellschaften.
Bärtige Männer, verhüllte Frauen
Selbst Hans Stöckli von der SP findet, man habe den Islamismus in der Schweiz «als Problem zu lange unterschätzt, jetzt müssen wir uns intensiv damit auseinandersetzen». Er ist sich aber mit der Genfer Liberalen Martine Brunschwig einig, dass sehr viel über Islamisten gestritten und fast nie über die grosse Mehrheit der moderaten Muslime gesprochen werde. «Wir müssen differenziert und intelligent reagieren», sagt sie, es gehe nicht an, dass einige Extremisten eine ganze Bevölkerungsgruppe diffamierten.
Dieselbe Forderung gelte auch für die Medien, findet die Islamwissenschaftlerin Amira Hafner-Al-Jabaji. Ihr fällt seit längerem auf, dass mit Vorliebe über bärtige Männer und verhüllte Frauen berichtet werde, «das garantiert natürlich auch das bessere Bildsujet». Weltlich lebende, tolerant denkende Muslime wären dagegen kaum je ein Medienthema, «denn die sind nicht spektakulär genug». Der Islamische Zentralrat von Nicolas Blancho hat nach eigenen Angaben rund 1000 Mitglieder. In der Schweiz leben schätzungsweise 350'000 bis 400'000 Muslime.
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