Mittwoch, 11. November 2009

Werbung: Genügt es Aufregung zu erzeugen?

Marcus Knill

Wir hatten am letzten Wochenende mit Behinderten zu arbeiten. Das jüngste Plakat mit den provozierenden Aussagen war bereits am ersten Tag ein Diskussionsthema. Es zeigte sich, dass die Behinderten dieser Schockkampagne nichts Gutes abgewinnen konnten. Die Wenigsten wussten, dass der Spruch “Behinderte liegen uns nur auf der Tasche” aufgelöst wurde und in einem zweiten Schritt unter dem Satz: BEHINDERTE LIEGEN UNS AUF DER TASCHE der Nachsatz angefügt wurde: “WENN WIR DIESE FAEHIGKEIT NICHT NUTZEN!” Dieser Nachtrag war jedoch kleiner dafür in deutlichem Rot gedruckt.

Die heftig geführte Diskussion der Behinderten machte mir bewusst, dass es bei dieser Plakataktion ums VERSTEHEN und MISSVERSTEHEN geht. Die Macher der mehrjährigen Kampagnen sahen in ihrer Aktion einen guten Beitrag FUER die Behinderten. Die Plakate weckten tatsächlich Aufmerksamkeit und man redete darüber. Die Behinderten selbst, die von der gestaffelten Aktion keine Ahnung hatten, ärgerten sich jedoch grün und blau. Eine Organisation hatte sogar in den Plakate Anzeichen übler Nachrede und Verleumdung erkannt und klagte die Auftraggeber ein.

Gute Werbung kann mehr als nur Aufmerksamkeit zu wecken __________________________________________

Ich frage mich, ob mit dem Erzeugen von Aufregung den Behinderten das Ziel dieser Kampagnen bereits erfüllt ist? Es darf bezweifelt werden, dass die teure Aktion (sie kostete immerhin 6 Millionen) dazu führt, dass Behinderte vermehrt integriert werden. Etwas hatten die Werber sicher nicht berücksichtigt: Die selektive Wahrnehmung der Menschen. Leser und Macher dürfen in der Webung nicht aneinander vorbei reden. In wissenschaftlichen Untersuchung über die Wahrnehmung von Plakataussagen hat sich eindeutig gezeigt, das vor allem DAS nachhaltig wirkt, das DIE EIGENE MEINUNG STUETZT. Gegenteilige Meinungen wird in der Regel ausgeblendet.

Schon einmal gab es 2003 ein ähnliche irritierende Kampagne ___________________________________________

Ich blende zurück:

Die eigenwillige Antirassismuskampagne mit provozierenden Aussagen und Bildern führte bereits im Herbst 03 zu einen ähnlichen Wirbel wie bei der heutigen Behindertenplakataktion. Damals wurde mit Worten und farbigen Bildern provoziert

Das Kalkül des Initianten Sigi Feigel, dem medial versierten Präsidenten der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus schien auch aufzugehen: Mit relativ wenig Aufwand wurde mit einer Provokation grosse Aufmerksamkeit erzielt:

Kaum hingen jedoch die ersten Plakate mit simple Klischees und hässliche Vorurteilen kam es zu einem Medienwirbel. Beispielsweise stand auf einem Plakat in fetten Lettern: “Woher haben die Kosovo-Albaner ihre Autoradios?” Daneben lachte ein holzschnittartig gezeichneter Männerkopf mit Goldzahn. Nur wer beim genaueren Hinsehen das Kleingedruckte lesen konnte, erfuhr die Antwort: “Aus dem Fachgeschäft, wie die meisten Schweizer auch.”

Hernach hagelte es Kritik. Die Welle an Kritik riss nicht ab: Weil das Kleingedruckte von den Betrachtern kaum gelesen werden konnte, wurde die ganze Aktion beanstandet. Die Bilder und die fettgedruckten Texte würden sogar die Vorurteile zementieren, hiess es. Man schaue in erster Linie die Bilder an. Bilder würden nachhaltiger wirken als Worte usw.

Sigi Feigel, der für die Kampagne verantwortlich war, reagierte zuerst gelassen. Er sei erfreut über die Kritik, fand er, sie gehöre zum Konzept. Man wolle bewusst wachrütteln, vor allem die Jungen, denn “bei denen kann man noch etwas bewirken”. Und: Den Jungen gefalle die Kampagne. Der “Vater der Antirassismusplakate” bestätigte diese Absicht, er habe mit den provokativen Sprüchen d.h. den “visualisierten Vorwürfen” die Bevölkerung bewusst irritieren und wachrütteln wollen.

Dass die provokativen Vorwürfe vielePassanten missverstehen werden und es zu vielen kritischen Stimmen kommen wird, überraschte mich nicht.

Werber müssten sich mit vielleicht auch mit wahrnehmungspsychologischen Phänomenen intensiver auseinander setzen. _____________________________________________

Um zu erkennen, dass Bilder mehr als Worte bewirken, brauchen wir kein Psychologiestudium. Es zeigte sich damals: Die Auflösung der Aussagen auf den Antirassismusplakaten war zu klein geschrieben und wurde von den Passanten sehr selten wahrgenommen.

Die NZZ am Sonntag teilte damals unsere Analyse: Es könne bei der Antirassismusaktion schief gehen, wenn man glaube, den Teufel mit dem Belzebub austreiben zu können. Nach der NZZ hätte man argumentativ schon noch ein bisschen mehr leisten müssen, wenn zuerst die gross aufgemachten rassistische Vorurteile, welche mit Wort und Bildern zusätzlich verstärkt wurden, nachträglich wieder erfolgreich abgebaut werden sollten. Das Erreichen von Aufmerksamkeit darf nicht das oberste Ziel der Werbung sein.

Die NZZ am Sonntag vom 2. November O3 meinte schrieb unter dem Titel “Kampagne gegen Rassismus ist kontraproduktiv”, dass die breit gestreute Plakatkampagne gegen den Rassismus die Vorurteile zementiere, anstatt sie abzubauen. Dies habe eine Analyse mit 120 Testpersonen bestätigt. Walter Bösch von der Marketingberatungsfirma Management-Tools gestand ein, nachdem er eine Wahrnehmungsanalyse durchgeführt hatte:

“Die Kampagne ist derart missverständlich, dass die Gefahr der Fehlinterperetationen gross ist.”

Untersuchungen bestätigen diese Bedenken _______________________________

Passanten wurden am Hauptbahnhof Zürich in Speziallabors mit Plakatsujets konfrontiert bei der mit riesige Schrift die Vorurteile gezeigt werden und und im Kleingedrucktem die Entlarvung des Klischeedenkens gegeben wird. Wie vermutet, werden die kaum lesbaren verbalen Pointen kaum wahrgenommen: Während der ersten Sekunden der Wahrnehmung, erregt das Kleingedruckte bei allen Personen weniger als drei Prozent der Aufmerksamkeit. Selbst wenn nur drei Sekunden lang das Plakat betrachtet wird, fixieren die Augen über 90% das rassistische BILD mit dem fett gedruckten Vorurteil. Und nur höchstens zu 10% die Auflösung. Plakate werden übrigens kaum länger als drei Sekunden betrachtet.

Fazit: Bei allen Kommunikationsprozessen entscheidet letztlich bei den Wahrnehmungsprozessen der Empfänger. Wird eine Botschaft falsch verstanden, so ist der Sender schuld. Dies gilt auch bei den heutigen Behindertenplakaten und ist im Grunde genommen nichts Neues!

Übrigens: Es konnte auch nachgewiesen werden, dass die Plakataktion ” “Kampagnen gegen die Schwarzarbeit” ebenfalls ein Rohrkrepierer war. Nachträglich zeigte sich: Diese Werbekampagne war hinaus geschleudertes Geld und eindeutig kontraproduktiv. Es darf vermutet werden, dass die angeblich so originellen Plakate "gegen" (sprich "für") die Behinderten beim Publikum keinen Meinungswandel verursachen konnten.

Marcus Knill
Mittwoch, 11. November 2009 um 18:18 Uhr

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