Freitag, 11. September 2009

Zur Selbstschutzbehauptung des Schweizer Fernsehens

Zum Vorwurf, man habe das Publikum mit der Kindertagesschau irregeführt, sagt Thomas Schäppi: "Kindertagesschau ist eine "Quasi Live Sendung!"

In persönlich.com lesen wir:

Persönlich: Die Sendung wurde aufgezeichnet. Warum?

Thomas Schäppi:

Es war eine reine Vorsichtsmassnahme, auch den Kindern gegenüber, um diese nicht einem zusätzlichen Druck auszusetzen. Im Gegensatz zu den Tagesschau-Moderatoren hat Ana zudem nie ein Pannentraining absolvieren können.

Wäre es nicht besser gewesen, im Vorfeld darauf hinzuweisen?

Thomas Schäppi:

Man hätte dies offensiv kommunizieren können, das ist richtig. Wir haben es nicht an die grosse Glocke gehängt, weil die Tagesschau in der Regel live ist. Es wurde jedoch auch nie ein Geheimnis darum gemacht. Im Übrigen ist es eine Aufzeichnung, die quasi live ist. In einer halben Stunde hätten wir auch nicht mehr viel daran ändern können.

Kommentar: Schäppi gibt immerhin zu, dass zu wenig offensiv kommuniziert wurde. Die Argumentation der "Quasi Live Sendung" ist aber eine zu plumpe Beschönigung. Entweder ist eine Sendung "Live" oder sie ist "aufgezeichnet". Sorry: Thomas Schäppi , sie müssten künftig nicht nur offener, sondern auch eindeutiger kommunizieren.

Uebrigens:

Dass Schäppi nicht einsehen will, dass die echte Tagesschau mit einem Schulkind dem Berufsstand schadet, ist nachvollziehbar. Aus Loyalität zum Vorgesetzten konnte er kaum zugeben, dass das Experiment mit Kindern an der echten Tagesschau den Beruf des Journalisten in Misskredit bringt.

Der ehemalige Presseratspräsident Peter Studer übte nämlich an der Sendung harte Kritik: Die Sendung vermittle den Eindruck, Journalismus sei eine "kinderleichte" Tätigkeit.

Ich zweifle daran, dass Schäppi im persönlichen Gespräch die Bedenken Studers ebenso leichtfertig in den Wind schlagen würde, wie er es im besagten Interview in Persönlich.com gemacht hat.

Schleckt keine Geiss weg: Das Kinder Experiment fand am falschen Platz statt.

Das Interview mit Fernsehmann Schäppi zeigt, dass es auch für Medienprofis nicht einfach ist mit kritischen Fragen umzugehen:

Ich zitiere BLICK:

Das Mädchen mit den Rehaugen wurde von den Zuschauern ins Herz geschlossen. Leider stellte sich bisweilen das Gefühl ein, dass die Produzenten den Kindern Worte in den Mund legten, die den Jöö-Effekt steigern sollten. Sätze wie «im Bundeshaus haben wir gemerkt, dass Politiker gar nicht zuhören» stammen kaum aus der Feder von Kindern. Und Ana bohrte in einer aufgezeichneten Sendung vor der Anmoderation des nächsten Beitrags in der Nase, ohne dass die Szene dem Schnitt zum Opfer fiel. So wirkte die Sendung teilweise gestellt und bemüht.

Das Hauptproblem liegt allerdings im Format an sich. Tragödien lassen sich in der «Tagesschau» nun mal nicht vollständig ausblenden, und wenn Schnügel-TV über Tote berichtet, wirkt das deplatziert. Was man auch am Leutschenbach merkte, weswegen die Macher im Verlauf der Woche immer stärker auf Hintergrundberichterstattung setzten.

Stellt sich die Frage, wieso man die Kinder in der Tagesschau werkeln liess und nicht in einem Magazin wie «Schweiz aktuell» einsetzte. Die Primar-Schüler hätten dort in einem vom Weltgeschehen losgelösten Format freiere Hand gehabt, ohne dass der Informationsauftrag darunter gelitten hätte.

Das Schweizer Fernsehen durfte sich dank dem fragwürdigen Experiment über gute Quoten freuen.

Aufschlussreich ist wie Schäppi auf kritischen Fragen reagiert.

- Er macht den verbreiteten Fehler, dass er den Vorwurf "Es sei eine Geringschätzung des Journalistenberufs" unnötigerweise wiederholt. Schätti antwortet:

"Es ist gar keine Geringschätzunge des Journalistenberufs!"

Damit wiederholt und festigt er das Hauptargumentes gegen die Kinder-Tagesschau und das Argument bleibt länger im Kopf der Zuhörer.

Schäppi macht im Interview einen gespannten Eindruck. Der Stress wirkt sich auf die Sprechgeschwindigkeit aus (Tempo wird beschleunigt - spricht gleichsam pausenlos). Schluckbewegungen sind deutlich sichtbar. Die Mimik ist starr, die Muskeln angespannt.

Mit dem Hinweis, man habe vorgängig deutlich angekündigt, dass man die Kinder gut betreut werden und das Experiment nur eine Woche dauere, umgeht Schäppi den Hauptvorwurf, dass man die Zuschauer im Glauben liess, die Sendung sei live. (Diese Ausklammerung hätte der Interviewer unbedingt ansprechen müssen).

Zusatzbemerkung: Schäppis Argumentation, das Experiment habe ja nur eine Woche gedauert und die Leute hätten sich immerhin gefreut, greift zu kurz. Ist das Ziel eines offiziellen Informationskanals, den Leute mit einem "herzigen, netten Mädchen" eine Freude zu bereiten - oder müsste er nicht in erster Linie die Bevölkerung an der offiziellen Tagesschau über das Tagesgeschehen informieren?

Schäppis tröstet im Interview alle Kritiker, das Experiment habe ja nur eine Woche gedauert und andere hätte diese Experiment auch schon gewagt finde ich bedenklich:

1. Ein Fehler ist ein Fehler - auch wenn man ihn nur eine Woche macht.

2. "Andere machten es auch..." ist ein billige Begründung von Kindere, nachdem sie etwas getan hatten, dass falsch war.

Persönlich weiss Schäppi bestimmt, dass das Experiment falsch war, doch musste er im Interesse der Chefredaktion - aus Loyalität - gute Mine zum bösen Spiel machen.

Nachtrag der NZZ zur Tagesschau mit Schulkindern:

Keine Nachhaltigkeit

Trotz Trailern und Ankündigungen sowie der Resonanz in den Medien dürfte von dieser «Kinderwoche» wenig zurückbleiben. Zu beliebig ist die Zusammenstellung der Themen, zu gross die (Eigen-)Inszenierung. Die Kinder spielen nicht nur Reporter, sie werden als solche auch in den Mittelpunkt ihrer eigenen Reportage gestellt. Das mag bei Primarschülern noch niedlich und unverkrampft wirken. Die Jugendlichen einer Sekundarklasse hingegen fühlten sich beim Besuch des Bundeshauses, wo sie Politiker befragen sollten, derart unwohl, dass man ihnen am liebsten zur Hilfe geeilt wäre. Letztlich blieb es unerheblich, wen die Kinder interviewt haben, Neues war jedenfalls kaum zu erfahren.

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