Samstag, 16. Dezember 2006

Quelle: Swissinfo

Micheline Calmy-Rey und die Neutralität

"Die öffentliche Diplomatie bedeutet, die übliche Diskretion, die um die Diskussion oder die Verhandlung von Abkommen oder internationalen Verträgen zwischen Regierungen herrscht, durch eine offene Kommunikation unserer Position zu ersetzen, als Mittel des Drucks in den Verhandlungen", hatte Micheline Calmy Rey bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt nach 100 Tagen im Amt erklärt.

Doch die Stiländerung ist weit davon entfernt, alle glücklich zu machen. Nach ihrer Erklärung zur militärischen Intervention Israels in Libanon haben ihr viele eine Verletzung der Neutralität vorgeworfen.

Calmy-Rey wies diesen Vorwurf zurück und erklärte, die Schweiz als Depositärstaat der Genfer Konventionen habe die Aufgabe, diese zu verteidigen. Eine Haltung, die auch Cornelio Sommaruga, ehemaliger Präsident des internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), vertritt.

Im Gegenzug kritisierte die rechtsbürgerliche Schweizerische Volkspartei (SVP) diese Politik als zu aktiv. Am Dienstag verlangte die Partei, dass der Bundesrat oder das EDA bei Themen, welche die Neutralität betreffen, vor einem Positionsbezug die Aussenpolitischen Kommissionen beider Parlamentskammern konsultieren müsse. Die Kommission lehnte den Vorstoss jedoch ab.

"Für manche Leute sollte die Schweiz nichts sagen, nichts tun - und ich sollte mich unter dem Tisch verstecken."

Micheline Calmy-Rey

Initiative angekündigt

Die mögliche Schweizer Kandidatur für den UNO-Sicherheitsrat rief SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli auf den Plan, der ein solches Engagement als nicht vereinbar mit der Neutralität bezeichnete.

Die politische Rechte will ausserdem eine Volksinitiative lancieren, um die Einhaltung der Neutralität in der Bundesverfassung festzuschreiben. "In Sachen Aussenpolitik muss die Schweiz einen Schritt zurück machen", betonte SVP-Präsident Ueli Maurer.

Auch die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) kritisierte Micheline Calmy-Reys "Ankündigungs-Politik". In den Augen der FDP führt diese Vorgehensweise die Landesregierung dazu, sich vermehrt um rhetorische Fragen statt um konkrete Taten zu kümmern.

Neutralität: Ja, aber eine aktive

"Wissen Sie, für manche Leute sollte die Schweiz nichts sagen, nichts tun - und ich sollte mich unter dem Tisch verstecken. Diese Leute haben ein statisches Verständnis von Neutralität", erklärte Aussenministerin Calmy-Rey in einem Interview mit der Basler Zeitung.

"Nur durch Schweigen und Passivität würden wir unsere Interessen - also Sicherheit und Wohlstand für alle, für das ganze Land - nicht wahren können."

Für Peter Maurer, Schweizer UNO-Botschafter in New York, gibt es "keinen Widerspruch" zwischen dem Engagement der Schweiz für Frieden, Menschenrechte, Umweltfragen, Entwicklungsfragen und der immer währenden Neutralität.

Gegenüber Schweizer Radio DRS erinnerte Maurer am Mittwoch daran, dass der Bundesrat schon 2003 gesagt habe, die Teilnahme im Sicherheitsrat sei ein Projekt, das zu gegebener Zeit zu prüfen sei.

Auf die Frage, ob er die derzeitige Neutralitätsdiskussion in der Schweiz wie "einen Sturm im Wasserglas" erlebe, antwortete Maurer: "Nein, ich denke, diese reflektiert die Sorge darum, wie genau wir unser Engagement in den internationalen Foren interpretierten. Und es ist ein Zeichen dafür, dass wir eine lebhafte Diskussion zur Aussenpolitik haben, und das ist auch ein gutes Zeichen für die politische Kultur in unserem Land."

Kommentar:

Nach unserem Dafürhalten wird die Neutralitätsfrage von der SVP als Wahlkampfthema zum Kernthema gemacht. Dies wird jedoch Micheline Calmy-Rey nicht den Kopf kosten.

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