Protokoll der Intrigen im BLICK
Kaum war Calmy-Rey am 14. Juni mit Göldi zurück in der Schweiz, begannen in Bundesbern die Tage der Intrigen.
Donnerstag, 17. Juni
Die «Weltwoche» schreibt, dass der Krisenstab zu Beginn der Libyen-Affäre drei Optionen geprüft habe. Eine davon: «Die Geiseln durch eine Kommandoaktion befreien.» Die sei aber als politisch und menschlich zu riskant verworfen worden. Im Lauf des Tages empfängt Calmy-Rey den «Tages-Anzeiger» zum Interview. Sie wird gefragt: «Gab es auch eine militärische Option?» Antwort: «In einer Krise darf man a priori keine Möglichkeit ausschliessen.»
Nachfrage: «Gab es konkrete Pläne für eine Militärintervention?» Calmy-Rey: «Dazu kann ich mich nicht äussern.» Eine ähnliche Antwort hatte Calmy-Rey dem SVP-Mann Walter Wobmann schon am 14. September 2009 in der Fragestunde des Nationalrats gegeben: «Der Bundesrat äussert sich aus Prinzip nicht zur allfälligen Verwendung eines Militärdetachements.»
Am Abend reicht Finanzminister Hans-Rudolf Merz (FDP) für die Bundesratssitzung des Folgetags ein Papier ein. Calmy-Rey habe ihn nicht über Befreiungspläne informiert und ihn bei seiner Tripolis-Reise ins Messer laufen lassen. Im Papier, das an den normalen, über 20 Adressaten umfassenden Verteiler in der Verwaltung geht, nennt Merz angeblich Details aus dem bisher hochgeheimen Libyen-Dossier. Ab jetzt sickern solche Details durch.
Freitag, 18. Juni
Westschweizer Radio und Fernsehen berichten, die Schweiz habe zwei Mal geplant, die Geiseln aus Libyen zu exfil-trieren. Sie nennen Details, wann welche Aktionen geplant waren. Die Infos seien von Vertrauten von Merz gestreut worden. Merz sage, Calmy-Rey habe «allein» über die Missionen entschieden. Bundespräsidentin Doris Leuthard sei «wütend» in die Bundesratssitzung geeilt.
Am Abend lehnt sich ein Bern-Korrespondent der «Tagesschau» aus dem Fenster: Calmy-Rey habe womöglich ein gravierendes Problem, «man spricht sogar von einem Rücktritt». Laut BLICK-Informationen hat vorher auch Leuthard wissen lassen, Calmy-Rey müsse weg.
Sonntag, 20. Juni
Calmy-Rey wehrt sich. «Mein Departement hat das Finanzdepartement nach Kräften unterstützt», sagt sie im «Sonntag».
Montag, 21. Juni
Leuthard zieht den Bundesrat um 8 Uhr zur Libyen-Sitzung zusammen. Zwischendurch marschiert die Regierung ins Sitzungszimmer der Geschäftsprüfungsdelegation. Die Aufseher, seit Frühjahr 2009 über die Pläne informiert, stellen einige Sachverhalte klar. Ein Punkt bleibt hängen: EDA und VBS hätten den Gesamtbundesrat früher über die Pläne informieren müssen. Der Bundesrat streitet danach heftig darüber, wie im Anschluss informiert werden soll.
Kurz nach Mittag liest Leuthard vor den Medien eine explosive Erklärung vor. Es sei ein «Einsatzbefehl» für Befreiungsaktionen erteilt worden. Damit erweckt sie den Eindruck, dass es ein «Go» für Militäraktionen gab. Aber das gab es nicht, wie GPDel-Präsident Claude Janiak dem «Sonntag» sagte.
Dienstag, 22. Juni
Das Wort «Einsatzbefehl» sorgt bei Politikern weiter für Verwirrung. Auch nach Anhörung von Leuthard und Calmy-Rey sagen Aussenpolitiker, sie wüssten nicht, was gelaufen sei.
Mittwoch, 23. Juni
Die SVP fordert vor den Medien vorsorglich Calmy-Reys Rücktritt, die offenbar einen «militärischen Schlag» gegen Libyen geplant habe.
Donnerstag, 24. Juni
Der Bundesrat gibt bekannt, dass er Anzeige eingereicht hat, weil die geheimen Libyen-Pläne bekannt geworden waren.
Freitag, 25. Juni
In der «Arena» gibt sich ein SVP-naher Dokfilmer des Staatsfernsehens schockiert darüber, dass Calmy-Rey schon am 17. Juni gesagt habe, es seien «sämtliche Optionen» geprüft worden (siehe oben). Er suggeriert, Calmy-Rey selbst habe die Pläne verraten.
Samstag, 26. Juni
BLICK veröffentlicht jetzt die Tatsache, dass Merz zu Beginn seines Präsidialjahrs über die Pläne informiert wurde. Von Vorgänger Couchepin. Wenig später hat ihn auch Calmy-Rey noch informiert.
Kommentar: Die Differenzen im Bundesrat dürfen nicht schön geredet werden. Eine Regierung, die Krisen nicht managen kann, müsste bei der kommenden Wahl ersetzt werden. Dass dieser Bundesrat wieder zu einem Kollegium zusammengeschweisst werden kann, ist aus meiner Sicht ein frommer Wunsch. Früher waren es oft nur zwei Bundesräte, die nicht zusammen gespielt hatten - beispielsweise das Duo Ogi und Stich. Jene Dauerfehde eskalierte damals auch zu einem Dauerstreit (Neatfragen). Machtpolitische Duelle setzen sich jedoch heute seit Monaten bei mehreren Mitgliedern fort. Die Regierungskrise wurde zum politischen Geschäft. Es geht bei der jetzigen Zusammensetzung nicht mehr nur um EIN Duell. Es ist kaum mehr auszumachen, wer gegen wen agiert.
Während der Finanzkrise herrschte ein Klima des Misstrauens. Das war alarmierend. Nach der Libyenkrise trat die Uneinigkeit der Landesregierung noch deutlicher zu Tage. Ritschard hatte recht mit seiner These: Ohne Kollegen gibt es keine Kollegialität.
Die Intrigien, die Kompetenzüberschreitungen eskalierten zu einer veritablen Regierungskrise.
Weshalb schlingert der jetzige Bundesrat dermassen?
Nach der NZZ ist das Parteiengefüge aus dem Lot geraten. Nach der Abwahl von Ruth Metzler sei die Aera der Zauberformel zu Ende.
Die Abwahl Blochers destabilisierte hernach das Gefüge vollends. Zwischen Parlament und Bundesrat besteht ein Wackelkontakt, lesen wir in der NZZ.
Ferner könnten auch die personelle Komponenten zur heutigen Krise beigetragen haben:
Früher schienen es die Alphatiere Couchepin, Blocher und Calmy-Rey zu sein, welche die Harmonie im Rat gefährdet hatten. Erstaunlich ist es nun, dass es ausgerechnet nach der Abwahl Blochers und nach der Demission Couchepins mit der Harmonie endgültig vorbei war. Hans-Rudolf Merz spielte im Management by Indiskretionen eine tragische Rolle. Hinter den Kulissen spielrn sich Kleinkriege ab.
Was müsste getan werden?
Es fehlt derzeit ein Kapitän, der den Bundesrat führt. Die Bundespräsidentin versuchte zwar verschiedentlich zu führen. Doch sie setzte an Medienkonferenzen nur neue Fragezeichen.
Die Bundeskanzlei hätte es in der Hand, die Zusammenarbeit zwischen den Departementen straffer zu koordinieren.
Es dürfte keine Sololäufe mehr geben. Der Bundesrat müsste nur mit einer Stimme reden. Die Mentalität "Jeder gegen jeden" sollte endgültig gestoppt werden.
Ob jedoch der Kurs des in Schlingern geratene Schiff des Bundesrates unter dieser Konstellation geändert werden kann, ist mehr als fraglich.
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