«Die
Stimmung war aufgeladen, zum Teil gereizt, und es wurde mit harten
Bandagen duelliert. Oft unter der Gürtellinie», so Marcus Knill
Einige
Besucher der Podiumsdiskussion um die Selbstbestimmungsinitiative haben
die Contenance verloren und die Bundesrätin beschimpft. Ein
Kommunikationsexperte erklärt warum.
Der
Experte für Kommunikation und Medienrhetorik Marcus Knill hat die
Podiumsdiskussion um die Selbstbestimmungsinitiative mitverfolgt. Er
erklärt, wie es zu solchen verbalen Entgleisungen kommen kann.
Herr Knill, bringt ein solcher Anlass überhaupt etwas zur
Meinungsbildung? Es wurden vor allem parteipolitische Fragen diskutiert.
Marcus Knill:
Wenn die Argumente verständlich, logisch und einleuchtend vorgetragen
werden, kann es doch noch zu einer gewissen Meinungsbildung kommen. Der
Anlass vermittelte immerhin ein Stimmungsbild und zeigte, wie
emotionalisiert die Thematik geworden ist.
Wie wirkte die Stimmung im Saal auf Sie?
Die Stimmung war aufgeladen, zum Teil gereizt, und es wurde mit harten Bandagen duelliert. Oft unter der Gürtellinie.
Die meisten Leute hatten ihre Meinung schon. Weshalb besuchen sie den Anlass trotzdem?
Die
Zuschauer wissen, dass das Publikum einen grossen Einfluss haben kann
auf die Wirkung nach aussen. Bei einer öffentlichen Versammlung, die in
den Medien gross aufgemacht wird, gibt es vielfach einen organisierten
Aufmarsch von Gleichgesinnten, um nach aussen zu demonstrieren, wie das
Befinden der Bevölkerung ist.
Weshalb sehen sich die Leute in einem grossen Saal ermutigt, eine Magistratin auszubuhen und ihr laut «Lügnerin» zuzurufen?
Bei
einer aufgeheizten Stimmung schaukeln sich die Teilnehmer gegenseitig
auf, wie Fans an einem Fussballmatch. Sommarugas Behauptung, das Volk
habe schon heute das letzte Wort, war für die Befürworter der Initiative
gleichsam eine «Lüge». Ihre Argumentationskette war für sie nicht
nachvollziehbar, weil für die Befürworter Europa bei zu vielen Problemen
nachweisbar das letzte Wort hätte.
Haben die Moderatoren ihre Rolle erfüllt?
Für
die verbalen Entgleisungen kann den Moderatoren kein Vorwurf gemacht
werden. Sie mahnten als Schiedsrichter, die Spielregeln einzuhalten. Bei
hitzigen Situationen muss damit gerechnet werden, dass Akteurinnen und
Akteure die Fassung verlieren.
Ist Bundesrätin Simonetta
Sommaruga glaubwürdig, wenn sie den Buh-Rufen lächelnd entgegnet: «Wenn
Diskussionen heftig sind, ist das gut.»
Ich kann mir vorstellen,
dass sie gelernt hat, sich nicht auf Provokationen einzulassen. Aus
rhetorischer Sicht nutzt sie das antizyklische Verhalten nach dem
bewährten Prinzip «Taxifahrer fahr langsam, es eilt!» Konkret: Brüllt
jemand, spreche ich bewusst leise. Ist jemand unfreundlich, bin ich
bewusst freundlich. Das muss aber trainiert werden.
Philipp Müller sagte entnervt: «Ich gehe heim. Dass ich mir diesen Mist anhören muss!», wie ordnen Sie das ein?
Wer die Nerven verliert, hat normalerweise verloren. Das darf einem
erfahrenen Politiker nicht passieren. Besonders, wenn er in Diskussionen
auch nicht zimperlich ist.
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