Sauberkeit hemmt die Verschmutzer
«Eine sogenannte Verantwortungsdiffusion»
Wieso diese
einfach achtlos draussen liegen gelassen werden, weiss Jürg Artho. Er
leitet die Sozialforschungsstelle des Psychologischen Instituts der
Universität Zürich: «Es handelt sich dabei um eine sogenannte
Verantwortungsdiffusion.» Die Leute denken: Wenn andere ihren Müll nicht
wegräumen, muss ich das auch nicht. «Man kommt sich schnell blöd vor,
wenn man der Einzige ist, der sich Mühe gibt und etwas Gutes für die
Allgemeinheit tut. Man steckt in einem sozialen Dilemma.» Das Resultat:
Bald sammelt keiner mehr den Abfall zusammen.
Den Typ
«Sommergüselgrüsel» gebe es dabei aber nicht – jeder unterliege bis zu
einem gewissen Masse diesem Mechanismus, so Artho. Das Problem auf die
Jungen abschieben, zähle auch nicht, obwohl bei ihnen zu beobachten sei,
dass sie allgemein unüberlegter handelten, Grenzen ausloteten und ein
unangepassteres Verhalten hätten – auch im Bezug auf Littering. Auch sei
der Gruppendruck bei Jugendlichen ausgeprägter. Doch einer
grundsätzlich anderen Persönlichkeit als bei älteren Leuten sei dies
nicht geschuldet. «Es ist einer der Antriebe der Menschen, zu machen,
was andere auch machen.» Bei Erwachsenen werde dieser Trieb sogar gerne
unterschätzt.
Je weniger Müll, desto grösser die Hemmungen
Wie ist dem unordentlichen Treiben beizukommen? Mit einer Umkehrtaktik. ERZ reinigt
gezielt nach Zeiten, in denen viel los war, und vor der nächsten Welle
an Parkbesuchern oder Seeflanierern. «Je sauberer es ist, desto mehr
Hemmungen haben die Leute, etwas liegenzulassen», sagt Filli.
Auch
Bussen sind möglich, für den Fall, dass jemand den öffentlichen Raum
verschmutzt. Diese können allerdings nur durch die Stadtpolizei und
nicht durch den Reinigungsdienst ausgestellt werden. Mit Verboten und
Sanktionen sei laut Artho sowieso sparsam umzugehen. «Denn übermässig
viele Verbote können dazu führen, dass die Menschen sich nicht mehr am
gesundem Menschenverstand und am Gemeinschaftssinn orientieren.»
Stattdessen würden sie alles als ausdrücklich erlaubt verstehen, was
nicht ausdrücklich verboten sei.
Was eher helfe als Verbote: eine
gute Erziehung. Diese lege generell den Grundstein dafür, wie stark der
Solidaritätsgedanke einer Person ausgeprägt sein wird. Auch dieser
Prozess sei natürlich Zeiten unterworfen, in denen man sämtliche
Prinzipien über Bord werfe, zum Beispiel in der Pubertät. Doch mit dem
Denken an die Gesellschaft und dem Litteringproblem sei es oft wie mit
dem Wandern: «Früher musste ich, dann wollte ich nicht mehr, heute gehe
ich wieder.»
(Tages-Anzeiger)