Freitag, 18. Mai 2018

Zürich: Zwei Stadträte zwangsversetzt










Strafversetzungen im Zürcher Stadtrat?

Die Stadträte Filippo Leutenegger und Richard Wolff müssen ihre Büros räumen. Sie wurden gegen ihren Willen in andere Departemente versetzt. Das sorgt für Empörung in den Rängen der AL und der FDP.
Quelle NZZ:
Filippo Leutenegger muss ins Schul- und Sportdepartement wechseln. (Bild: Annick Ramp / NZZ)

Filippo Leutenegger muss ins Schul- und Sportdepartement wechseln.


Dass da wohl die Fetzen geflogen sind, ist an diesem Mittwoch bereits an den Minen der Zürcher Stadträte abzulesen. Während der Bekanntgabe der Departementsverteilung zeichnet sich folgendes Bild: Michael Baumer (fdp.), mit undurchdringlichem Lächeln in die Weite schauend, Karin Rykart (gp.), kühles Pokerface aufsetzend, Andreas Hauri (glp.), angespannt grübelnd, Filippo Leutenegger (fdp.), sich verstimmt am Stoppelbart kraulend, Richard Wolff (al.), mit gewölbter Denkerstirn unergründliche Notizen machend.

Die bedrückte Stimmung hat einen triftigen Grund. Denn was Stadtpräsidentin Corine Mauch (sp.) nun verkündet, überrascht alle. Sicherheitsvorsteher Richard Wolff muss sein Büro in der Urania-Wache räumen. Er wird neu das Tiefbau- und Entsorgungsdepartement (TED) leiten. Dies führt gleich zur zweiten Zwangsversetzung. Sie betrifft den Noch-TED-Vorsteher Filippo Leutenegger. Das national bekannte politische Schlachtross wird ins Schul- und Sportdepartement abgeschoben.
Leutenegger beklagt, dass alles sehr kurzfristig entschieden worden sei. «Mir wurde das Departement weggenommen. Deshalb ist bei mir der emotionale Verdauungsapparat noch in vollem Gang.»
Das gebeutelte Gesundheitsdossier mit seinen defizitären Stadtspitälern wiederum wurde Andreas Hauri zugeteilt. Die Herkulesaufgabe soll damit ein Neuer richten. Auch die frei werdende Lücke im Sicherheitsdepartement, die sich mit dem Wechsel von Wolff aufgetan hat, wird mit Karin Rykart durch eine neue Kraft geschlossen. Und schliesslich wird der dritte Neue, Michael Baumer, das Departement der Industriellen Betriebe übernehmen. Der Rest bleibt beim Alten. Heisst: Die drei SP-Stadträte bleiben auf ihren Dossiers sitzen, genauso der Grüne Daniel Leupi.
 Nicht alle Stadträte hätten ein Departement bekommen, das ihrem Wunsch entsprochen habe, erklärt Mauch den Entscheid. «Das liegt aber in der Natur der Sache.» Bei einer grossen Rochade könnten eben nicht alle Vorlieben berücksichtigt werden.
Ganz anders sehen dies die Strafversetzten – allen voran Filippo Leutenegger, dessen Votum einer Abrechnung gleichkommt: «Ich bin gegen meinen Willen in ein anderes Amt versetzt worden», erklärt er mit düsterem Blick, während ihn die Stadtpräsidentin gebannt von der Seite anschaut. «Mir wurde das Departement weggenommen.» Der FDP-Stadtrat beklagt, dass alles sehr kurzfristig entschieden worden sei. «Deshalb ist bei mir der emotionale Verdauungsapparat noch in vollem Gang.» Die Mehrheit des Stadtrates habe ihm das Vertrauen nicht entgegengebracht, das TED weitere vier Jahre zu leiten, erklärt er weiter. Es handle sich also um einen politischen Entscheid. «Man sagte: Wir wollen die Verkehrspolitik alleine machen, ohne den Filippo.» Dies sei sehr bedauerlich, denn: «Eine Konkordanz lebt davon, dass auch starke Minderheiten wie die FDP eingebunden werden.» Eines sei klar: Sein Vertrauen in das Gremium habe sehr gelitten.
«Nun kann ich nicht im Sicherheitsdepartement bleiben. Das schmerzt. Das tut weh.» – 

Richard Wolff ist ebenfalls frustriert.


Auch Richard Wolff macht seinem Unmut über die Verteilung Luft: «Vor fünf Jahren bin ich gegen meinen Willen ins Sicherheitsdepartement ‹empfohlen› worden.» Nach anfänglichen Zweifeln habe er aber die Arbeit schätzen gelernt und sich stark mit den Themen identifiziert. «Doch nun kann ich nicht bleiben. Das schmerzt. Das tut weh.» Er bedaure sehr, dass er sein Departement abgeben müsse, «aber ich kann es in gutem Gewissen meiner Nachfolgerin übergeben».
Was man sich aber fragen muss: Wie ist eine Konkordanz, eine Konsenspolitik unter solchen Umständen überhaupt noch möglich?


Mauch bagatellisiert: «Keine neue Situation»

Für Corine Mauch ist die Enttäuschung der beiden Stadträte nur eine vorübergehende Begleiterscheinung. «Es ist ja nicht so, dass beide grundsätzlich gegen ihre neuen Departemente wären», erklärt sie der NZZ. Leutenegger habe eine grosse Affinität zu den Schulen. Auch das anstehende Tagesschulprojekt sei ihm und seiner Partei wichtig. «Natürlich geht man ungern weg, wenn man gut mit den Leuten im Amt zusammengearbeitet hat und die Dossiers kennt.» Die anfängliche Unzufriedenheit nach einer Rochade sei aber keine neue Situation.
Natürlich brauche es eine gewisse Zeit, «Vertrauen in die gemeinsame Arbeit» wiederherzustellen. «Ich sehe mich da durchaus in der Verantwortung.» –Corine Mauch
Eine solche habe man bereits vor fünf Jahren gehabt. Daniel Leupi musste gegen seinen Willen von der Sicherheit zu den Finanzen wechseln. Dasselbe gilt für den damals frisch gewählten Richard Wolff, dem das Sicherheitsdepartement zugeteilt wurde. «Dass am Ende beide glücklich waren, ist der beste Beweis dafür, dass es wieder klappen wird.» Natürlich aber brauche es eine gewisse Zeit, dieses «Vertrauen in die gemeinsame Arbeit» wiederherzustellen. «Ich sehe mich da durchaus in der Verantwortung», erklärt Mauch. Man müsse alle wieder ins Boot holen. Zudem habe man einigen von Leuteneggers Wünschen entsprochen. «Er wird unter anderem zweiter Vizepräsident.»
Das mag die FDP aber nicht besänftigen. Sie äussert in einer Mitteilung «grosses Befremden» über den Entscheid. Die links-grüne Mehrheit sei offenbar bereit, Vertrauen und Konkordanz ihren Machtansprüchen zu opfern. Zudem stehle sich die SP beim Gesundheitsdossier aus ihrer Verantwortung. Auch die SVP wettert über die «feige SP». Die AL zeigt ebenfalls Bedauern. Der Entscheid habe einen «machtpolitischen Beigeschmack»

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KOMMENTAR: 
Ungewöhnliches, Ueberraschendes sind für die Medien immer spannend.
1.Auseinandersetzungen in einem Gremium sind normal.
Doch sollte die Wäsche intern und nicht in der Oeffentlichkeit
gewaschen werden. Wenn nach der Zwangsversetzung zwei Stadträte Klartext sprechen, so ist dies Futter für die Medien.
Das ist etwas Aussergewöhliches.
2. Kommunikation ist Chefsache.
Wenn es der Chefin nicht gelingt, die Spielregeln durchzusetzen hat sie ein Problem, das sie meistern muss.
Ich bin mir nicht sicher, dass nach dem Eklat an der Medienkonferenz die Zwangsversetzungen keine politischen Folgen haben. Die Sitaution könnte eskalieren.
Filippo Leutenegger hat seinen emotionalen Auftritt geschickt genutzt und Corine Mauch gab sich recht  selbstsicher. Doch könnten die Zwangsversetzungen durchaus noch politsche Folgen haben. Der Rot-grüne Sieg würde dann zum Bumerang.
Ich zitiere meine Stellungsnahme aus TAGI- Interview mit Hannes Weber:

Die Abrechnung und das Momentum der Psychologie

Video Emotionen und Mimik:
Experte Marcus Knill analysiert den Showdown zwischen
Filippo Leutenegger und Corine Mauch. Mehr.


Die Stadtzürcher Linke hat bei der gestrigen Departementsverteilung ihre Macht demonstriert: Der Freisinnige Stadtrat Filippo Leutenegger muss das zentrale Verkehrsdepartement abgeben. Auf diesen Entscheid reagiert er mit einer Abrechnung vor laufender Kamera und kritisiert den Entscheid von Links-Grün. Und auch der vom Sicherheitsdepartement ins Verkehrsdepartement versetzte Richard Wolff (AL) zeigte sich unzufrieden.

«Das ist sicher keine Bagatelle», sagt der Experte für Medienrhetorik, Marcus Knill. Für ihn hat der Stadtrat als Gremium hier eine wichtige Kommunikationsregel gebrochen: «Wasche deine Wäsche intern – und rede gegen Aussen mit einer Stimme.» Dass sie nicht eingehalten werden konnte sei problematisch und könnte noch ungeahnte Folgen haben.

Bessere Noten gibt Knill Filippo Leutenegger individuell. «Er hat seine Rede geschickt inszeniert und wusste genau, wann er was sagt.» Man merke zwar, dass er enttäuscht und wütend sei. Doch er konnte die Emotionen steuern.«Emotional vermittelte Argumente kommen besser an. Ich könnte mir vorstellen, dass der bedachte Auftritt Leuteneggers sogar Mitleid auslöst», sagt Knill.

Auffällig war aber nicht nur Leuteneggers Klartextrede, sondern auch die Reaktion von Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP). Diese fixiert ihren Kollegen während seinem Votum richtiggehend und wendet ihren Blick nur kurz von ihm ab.

«Ich interpretiere das als eine Art Kontrollblick», sagt  Knill. «Mauch signalisiert damit Präsenz und Selbstsicherheit, obwohl sie von den harschen Worten wohl überrascht ist.» Sie zeige ihrem Kollegen zudem dass sie ihm ganz genau zuhöre. Gleichzeitig habe sie damit ihre Rolle als Chefin souverän gespielt. «Alles an ihr war gefasst. Man merkt, dass Corine Mauch genau weiss, dass ihr nichts passieren kann. Sie sitzt fest im Sattel»

Jetzt sieht Marcus Knill aber die Stadtpräsidentin in der Pflicht. «Kommunikation ist Chefsache. Wenn sie im Stadtrat intern nicht funktioniert, ist nun Mauch gefordert.» Das heisse jetzt auch, dass sie nicht zu selbstsicher auftreten dürfe und sie der internen Aushandlung höchste Priorität einräumen müsse.   

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