Freitag, 15. November 2013

Zum Spiegel Video


Coach als Hofnarr

Könige leisteten sich früher  Hofnarren, um bewusst auf blinde Flecken aufmerksam gemacht zu werden. Denn die Angehörigen des Hofstaates wagten es kaum, die Wahrheit zu sagen, weil bei offener Kritik der Kritiker damit rechnen musste, geköpft zu werden. Ueberbringer negativer Botschaften werden auch heute geschätzt. Wer Schwächen aufdeckt, macht sich auch heute nicht beliebt. Er muss damit rechnen, dass seine Offenheit mit Nichtbeförderung oder Entlassung gleichsam bestraft wird. Etwas Aehnliches geschieht auch den oberen Führungsebenen bei Behörden oder Firmen. Der CEO kann kaum mit einer ehrlichen  Rückmeldungen bei den Stabsmitarbeitern (Hofstaat?) rechnen. Der Grund: Die Führungskräfte sind  in einem Abhängigkeitsverhältnis. Deshalb holen sich viele CEOs bewusst externe Hofnarren. Sie wünschen ein offenes ungeschminktes Feedback. 



Ein Coach benötigt unbedingt für seine Tätigkeit den Hofnarrenstatus. Er darf nicht gegeisselt werden, wenn er dem Vorgesetzten den Spiegel vorhält.  Coachs werden heute von Führungspersönlichkeiten meist als aussenstehender "Till Eulenspiegel" angestellt, damit sie offen allfällige blinde Flecken ausleuchten.

Jüngst habe ich in einem Seminar mit Ausbildern eine spannende Geschichte mitbekommen:

Der Referent arbeitete nach dem "Hofnarrenprinzip" mit dem SPIEGEL VIDEO. Es ging beim besagten Seminar um die Thematik AUSBILDEN-LEHREN-LERNEN.
Nach der Einführung in die Thematik stellte der Coach den anwesenden Profis die Frage:"Dank welcher Methode habe ich als Ausbildner Erfolg hinsichtlich Effizienz?"

Die Antwort einzelner Teilnehmer wurden mit dem Spiegel Video gespeichert und nachher fachgerecht analysiert.
Das heisst: Die Anwesenden wurden zuerst gebeten, die Stärken der jeweiligen Redner zu notieren oder dies der betreffenden Person zu sagen oder zu schreiben. Nachher erhielt die Vortragende die Gelegenheit die Aussage SELBST  zu reflektieren, SELBST zu kritisieren oder bei den Anwesenden Klärungsfragen zu stellen. Bei dieser ersten Analyse  machte  der Seminarleiter nach der erfolgten Selbstkritik  auch noch  auf einen blinden Fleck aufmerksam, der ihm als Coach wichtig schien. Er wies bei einer Teilnehmerin darauf hin, dass bei ihrer zu ausführlichen Antwort bei den verschiedenen allgemein formulierten Substantiven ein konkretes BEISPIEL (zur Veranschaulichung)  hilfreich gewesen wäre.


Nun geschah das, was beim Kritiker eines Königs erfolgen kann, wenn der Status "Hofnarr" nicht akzeptiert wird. Akzeptiert nämlich eine Person die positive Kritik des Coachs nicht oder fühlt sie sich durch den Hinweis auf einen Schwachpunkt verletzt fühlt,  folgt in der Regel ein typisches Selbstschutzverhalten. Die kritisierte Person kritisiert postwendend den Hofnarren. Das war an jener Veranstaltung nach der Einführung nach der Kaffeepause ebenfalls der Fall. Im Plenum erlebten die Anwesenden die Retourkutsche der betroffenen Person.  Erstaunlicherweise sind es oft gute Berufkritiker, die Mühe bekunden beim Aufdecken von Schwachpunkten.

Die erwähnte Ausbilderin, intelligent - übrigens mit einem Universitätsabschluss - holte im Plenum unverhofft zum  gezielten Gegenschlag (gegen den Hofnarren) aus: Statt auf die aktuelle Lerneinheit einzugehen oder auf die aktuelle Thematik (sprich: Kritik)  Bezug zu nehmen, kritisierte sie  den Caoch persönlich und  zwar generell,  im Allgemeinen ohne -  konkret Fakten zu beschreiben,  heraus zu schälen oder zu klären. Die Ausbilderin  wählte diesen  generellen Rundumschlag bewusst im Plenum  und nicht unter vier Augen mit dem Coach. (Die gekränkte Person interpretierte, verallgemeinerte und rechtfertigte sich in einem subjektiv gefärben Votum). Sie  stellte das Konzept, die Einstellung und das Verhalten des Referenten generell in Frage.
Sie hoffte - dank dieses "mutigen" Auftrittes im Plenum - auf Unterstützung ihres Kollegenkreises.




Eine ähnliche Situation hatte ich persönlich vor Jahren bei der Supervision  - anlässlich einer Chefärztesitzung in einem Spital - erlebt. Ein Chefarzt, der dank des Spiegels Video erkannte, dass er während des Meetings Zeitung gelesen hatte, ein Sandwich ass und der Kontrahentin den (kalten) Rücken zugekehrt hatte, war nicht bereit, diese  Tatsache im  Video entgegenzunehmen. Er kehrte den Spiess um und beanstandete den Einsatz des Spiegels VIDEO durch den Supervisors. So etwas dürfte eigentlich  nicht gefilmt werden, monierte er. Schon damals erkannte ich: Der Spiegel Video allein schon genügt (ohne Kommentar), um etwas auszulösen. Deshalb kommt es bei Menschen, die den Hofnarrenstatus nicht akzeptieren, zu sonderbaren Reaktionen.
Die Schwierigkeit bei derartigen Ausbrüchen liegt darin: Der Coach darf eine Veranstaltung von einer derartigen Störung nicht zu einer Psychoveranstaltung verkommen lassen und die einer Weiterbildungsveranstaltung darf nicht zu einer Streitstunde ausarten.
Trotz des persönlichen Angriffes muss eine Teilnehmerin ernst genommen werden, die den Spiegel des Hofnarren nicht akzpetieren will.

Falls ein Seminarleiter auf die Problematik voll und ganz eingehen würde, weicht er zwangsläufig vom roten Faden ab und das Publikum würde zurücklehnen und dieses evt. lang dauernde Klärungsgespräch mitverfolgen  - das in der Praxis oft zum verbalen Ping-Pong verkommt oder zu einem Rechfertigungsvortrag des Coachs verleiten könnte.
Das hat für die anderen Kursteilnehmer zwar Unterhaltungswert, aber das Streitgespräch bringt nichts.
Wenn jedoch der Coach die Vorwürfe aufnimmt und konsequent zurückstellt, muss er damit rechnen, dass ihm die Gruppe vorwirft, er nehme die Teilnehmerin nicht ernst. Oder es mangle ihm am Einfühlungsvermögen oder an der notwendigen Wertschätzung.
Wahrlich eine heikle Situation, die herausfordert.

Fazit: Eine Missstimmung kann vermieden werden, wenn man bei einer neuen Gruppe auf das Verfahren mit Videoanalysen so lange verzichtet, bis die Spielregeln akzeptiert sind.
Nach derartigen Episoden dürfte jedenfalls ein Referent unter keinen Umständen eine Person  im Plenum coachen. Was sich bislang bei mir bewährt hatte: Den Vorwurf des Kritikers ruhig entgegenzunehmen und zu sagen, dass man nach der Veranstaltung diese Beanstandung gerne unter vier Augen diskutieren möchte. Anderseits aber den Anwesenden unmissverständlich bewusst macht, dass dieses kritische Votum in ein Seminar über Kritikgespräche- Konfliktgespräch oder  Streitgespäche gehört und dort eingehend behandelt werden könnte. Dann wird auf die Thematik der Veranstaltung  hingewiesen. Hernach muss der Coach unbedingt zum roten Faden zurückkehren. Störungen haben bekanntlich Vorrang. Sie dürfen aber nicht dazu führen, dass der Inhalt des Seminares verlassen wird.
Auch Seminarleiter, Dozenten und Ausbilder sind herausgefordert, mit überraschenden heiklen Situationen um zu gehen. 

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