Samstag, 31. Dezember 2011

Kann Christian Wulff aufatmen?

 

Vor Weihnachten hat der Bundespräsident eine Erklärung zu seiner Affäre abgegeben. Doch die Debatte scheint nicht zu Ende.

Eine Demonstrantin vor dem Schloss Bellevue

Eine Demonstrantin vor dem Schloss Bellevue


Bernd Ulrich: Nein, Wulff kann nicht weitermachen. Er hat die Öffentlichkeit bewusst in die Irre geführt. Das zerstört seine Autorität – und die des Amtes


»Es wäre verheerend und nahe an einer echten Staatskrise, wenn innerhalb von zwei Jahren zum zweiten Mal ein Bundespräsident zurückträte.« Das sagte diese Woche Sigmar Gabriel. Lassen wir das mit der Staatskrise mal als typische Gabrielsche Übertreibung beiseite und widmen uns der Logik seiner Aussage: Der SPD-Chef sagt nämlich – und trifft damit die Stimmung der meisten Politiker und Leitartikler –, dass Christian Wulff, wenn sein Vorgänger Horst Köhler nicht auch schon zurückgetreten wäre, eigentlich zurücktreten müsste.
Damit hat er recht. Nicht, weil Wulff sich mehrfach zu sehr mit reichen Unternehmern eingelassen hat, was verzeihlich wäre. Auch nicht, weil der niedersächsische Ministerpräsident das dortige Parlament im Jahr 2009 bewusst getäuscht hat, als er unterschlug, mit Frau Geerkens in einer geschäftlichen Beziehung zu stehen. Nein, zurücktreten müsste Wulff keineswegs wegen etwas, das länger zurückliegt, sondern wegen dem, was er dieser Tage in eigener Sache tut und versäumt.


Der Bundespräsident hat am 13. Dezember 2011 verlauten lassen: »Solche geschäftlichen Beziehungen (zu Herrn Egon Geerkens) bestanden und bestehen nicht.« Eine Woche später lässt Wulff seine Anwälte verbreiten, »dass Herr Egon Geerkens an den Verhandlungen rund um den 500.000-Euro-Kredit beteiligt war«. Wulff hat also nicht irgendwann, sondern heute, und nicht nur das niedersächsische Parlament, sondern die deutsche Öffentlichkeit bewusst in die Irre geführt. Bedauert hat er dann auch nicht seinen Täuschungsversuch, sondern nur die Irritation, die er ausgelöst hat. Weil Wulff nur zugibt, was er zugeben muss, und so lange finassiert, wie er kann, weil er, kurzum, keine Einsicht zeigt, deswegen müsste er an sich gehen.


Deutschland ist nicht Puritanien, und deshalb könnte Wulff sich auch aus dieser Lage noch befreien, wenn er denn mutig wäre, alles auf den Tisch legen und sich den Fragen der Presse direkt stellen würde. Stattdessen hat er in den letzten Wochen einen unschönen Charakterzug zu erkennen gegeben. Zunächst ließ er nur immer verlauten, ohne je selbst vor die Öffentlichkeit zu treten. Erst als ihm gar nichts mehr anderes übrig blieb, weil der Termin seiner Weihnachtsansprache bedrohlich nahe rückte, trat er selbst vor die Kameras. Das tat er am 22. Dezember, so spät wie möglich, so kurz wie möglich (vier Minuten) und so gefahrlos wie möglich (keine Journalistenfragen). Zugleich entließ er seinen langjährigen Sprecher. Man würde gern einen anderen Ausdruck dafür finden, es gibt jedoch nur einen: feige.
Was aber bedeutet unter diesen Umständen Gabriels Aussage, dass es verheerend wäre, wenn Wulff zurückträte? Ist es etwa weniger verheerend, wenn er nur deswegen im Amt bleibt, weil schon sein Vorgänger vorzeitig aufgab?


Es gibt etwas wirklich Merkwürdiges rund um die Causa Wulff. Auf der einen Seite wird er nicht so scharf kritisiert, wie es von der Sache her richtig wäre – mit Rücksicht auf das Amt. Auf der anderen Seite scheint man sich unter Politikern und Kommentatoren zu sagen: Er ist ja nur Bundespräsident, da kann er eh nicht viel Schaden anrichten. (Wäre Christian Wulff, sagen wir, Wirtschaftsminister, so wäre er es schon nicht mehr.) Der Rücktritt des beschädigten Präsidenten würde dem Amt mehr schaden, als wenn er beschädigt im Amt bliebe? Was für ein Hohn – gegen das Amt!


Der Bundespräsident war jahrzehntelang äußerst wichtig für ein Land, das sich nach dem moralischen und materiellen Desaster des Zweiten Weltkriegs erst wieder finden musste. Wie sich Deutschland in der Welt repräsentieren, wie ein Deutscher sich geben könnte, das zeigte dem Volk Theodor Heuss (1949–59), der erste Präsident. Dass die Sozialdemokratie diesen Staat auch mittragen konnte und wollte, dafür stand Gustav Heinemann (1969–74). Und wie dieses Land schlussendlich mit seiner Vergangenheit umzugehen hatte, das ließ es sich von Richard von Weizsäcker sagen (1984–94). Seither sind die Deutschen erwachsen geworden, sie können sich selbst benehmen, der Bundespräsident ist kein Erzieher mehr, keine Reserve-Queen und kein politisches Über-Ich, er ist ein politischer Akteur unter anderen.
Dass der Bundespräsident gleichwohl stets beliebt ist, spricht keineswegs gegen die These von der Profanisierung des Amtes. Schließlich speist sich dessen Beliebtheit schon aus der dekorativen Wohlfeilheit. Der Bundespräsident, so wird gesagt, kann nur reden, er muss aber auch nur reden. Auch wenn er gar nichts macht, ist er beliebt, so wie Wetten, dass..? beliebt ist.


Kommentar: Wulff müsste schon lange gehen, wenn nicht vor ihm schon  der Fall Köhler die Bundesrepublik geschockt  hätte. Deutschland kann sich einen zweiten Fall Horst Köhler nicht mehr leisten. Selbst die SP stützt deshalb den angeschlagenen Bundespräsidenten. Ein Rücktritt würde dem Amt zu  grossen Schaden zufügen. Dank dem Wohlwollen der Kanzlerin ist Wulff noch im Amt. Der Bundespräsident steht jedoch eindeutig als Täuscher da. Seine Taktik ist nicht neu: Er hatte etwas zu verbergen und gibt immer nur das zu, was schon enthüllt ist. Dies ist eines Bundespräsidenten unwürdig. Wulff nutzte offenkundig jede Gelegenheit, sich finanzielle Vorteile zu verschaffen. 
So oder so ist heute das Amt des Bundespräsidenten angeschlagen. Ob Wulff bleibt oder ob er geht. Der Schaden ist bereits angerichtet. Wenn Wulff die Krise übersteht, dann nur deshalb, weil die Regierung zu schwach ist, einen Nachfolger zu wählen. Einen zweiten Fall Horst Köhler kann und will man sich nicht leisten.


LINK:


31. Mai 2010 ... Bundespräsident Horst Köhler tritt Ende Mai überraschend und ... Angela Merkel hat Horst Köhler in der schwierigsten Zeit weder gestützt ...
www.rhetorik.ch/Aktuell/10/05_31/index.html


NACHTRAG STERN:



Wulff soll Bild-Chef gedroht haben


Nach den fortdauernden Diskussionen über seinen Hauskauf-Kredit gerät Bundespräsident Christian Wulff nun auch wegen möglicher Einflussnahme auf recherchierende Journalisten unter Druck. Nach übereinstimmenden Berichten versuchte Wulff persönlich bei der "Bild"-Zeitung, die erste Veröffentlichung von Recherchen zur Finanzierung seines Privathauses zu verhindern. Nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" hat Wulff zudem mit einem Strafantrag gegen die in der Affäre recherchierenden Journalisten gedroht.


Auch die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" berichtete über eine Einflussnahme von Wulff bei der "Bild".
Laut den Berichten drohte Wulff am 12. Dezember Chefredakteur Kai Diekmann den "endgültigen Bruch" mit dem Springer-Verlag an - für den Fall, dass diese "unglaubliche" Geschichte tatsächlich erscheine. Dies war einen Tag bevor "Bild" den ersten Bericht zur umstrittenen Hauskauf-Finanzierung durch das befreundete Unternehmer-Ehepaar Geerkens veröffentlichte.

Anruf bei "Bild"-Chef Diekmann

Nach SZ-Informationen rief der Bundespräsident Diekmann aus Kuwait an, erreichte den Chefredakteur aber nicht, weil dieser in New York weilte. Er habe um ein Gespräch mit Diekmann gebeten. Dabei sei auch die Formulierung "Krieg führen" gefallen.
Offiziell äußerte sich der Springer-Verlag bisher nicht zu dem Vorgang. "Bild" ließ sich von der Veröffentlichung der Recherchen nicht abbringen, wonach der damalige niedersächsische Ministerpräsident Wulff 500.000 Euro bei den Geerkens' geliehen hatte. Über die versuchte Einflussnahme des Bundespräsidenten im Dezember berichtete das Blatt nicht. Laut SZ nahm Wulff später erneut Kontakt zu dem "Bild"-Chefredakteur auf und bedauerte seinen früheren Anruf. Aus dem Umfeld Wulffs verlautete laut "SZ", der Anruf des Präsidenten sei "nicht besonders geschickt" gewesen.

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