Ein lesenswerter Beitrag im Tagi von Allan Guggenbühl
In verschiedensten Blogartikeln forderte ich für unsere Schule mehr KONSTANZ und vor einer BEZUGSPERSON, die sich mit den Kindern auseinandersetzt. Auch MEHR ZEIT fürs Kerngeschäft. Allan Guggenbühl beleuchtet im Tagi dieses Problem mit treffenden Worten.
PS: Ihre Meinung zu Guggenbühls Gedanken können Sie mir zukommen lassen - unter k-k@bluewin.ch
Heute steht die Volksschule noch unter zusätzlichem Druck: Reformen, die mit dem Stichwort Qualitätssicherung durchgesetzt werden und bei denen die Pisa-Resultate als Begründung herhalten müssen, erschweren die Arbeit vieler Lehrpersonen. Man will die Fachlehrpersonen einführen. Die Schüler und Schülerinnen haben dann nicht ein oder zwei Lehrpersonen, sondern werden schon ab der ersten Klassen von drei, vier und später noch mehr Lehrpersonen unterrichtet. Dazu kommen noch spezielle Förderlehrer und Spezialunterricht. Die Idee ist, dass sich die Fachkompetenz der Lehrperson erhöht. Die Folge: Die Schüler müssen mit verschiedenen Erwachsenen eine Beziehung aufnehmen, psychologisch etwas Unmögliches. Vor allem für zurückgezogene oder sozial herausgeforderte Kinder ist dies eine Katastrophe. Sie haben niemanden, der sich wirklich mit ihnen auseinandersetzt, sie kennen lernt, Konflikte austrägt. Es kommt zu einer Verantwortungsdiffusion.
Andere Reformen betreffend den Unterrichtsstil: Man setzt auf soziale Kompetenzen und eigenständiges Lernen und degradiert den Lehrer zum Coach. Wieder: Für viele Kinder kein Problem! Doch einige Kinder, und darunter vor allem Knaben, haben damit grosse Mühe. Sie bräuchten einen klaren Bezugsrahmen, eindeutige Verhältnisse. Zudem: Bei den sogenannten sozialen Kompetenzen, die heute entscheidend für eine erfolgreiche Schulkarriere sind, handelt es sich um Verhaltensweisen, die vor allem den Mädchen entgegenkommen: Beziehungssprache, Gefühle in Worte ausdrücken, sich umarmen statt zu rammeln, ruhig sitzen und hinhören statt dreinreden und verhandeln wollen. Das bübische Verhalten ist verpönt: witzeln, provozieren, prahlen oder krasse Geschichten erzählen wird selten goutiert. Oft verlangt man von den Jungs sogar, dass sie selbstständig merken, was sie tun sollten; eigene Lernziele formulieren, ein Portfolio führen. Dies funktioniert bei den meisten Knaben nicht: Sie wollen, dass man ihnen befiehlt, was sie zu tun bzw. zu lernen haben. Sie integrieren sich in der Schule über Widerstand. Die Folge dieser Pädagogik: Knaben haben objektiv grosse Probleme in der Schule, schreiben schlechtere Noten, leiden unter mehr Schulausschlüssen und im Gegensatz zu den Mädchen häufiger unter Schulverleider. Und: Obwohl sie es von der Intelligenz her könnten, haben sie schlechtere Chancen ins Gymnasium zu kommen, wie eine schubladisierte Untersuchung des Kantons Zürich zeigt.
Es ist ein Skandal, dass diese Missstände nicht behoben werden und man nicht an einer knabengerechteren Schule arbeitet. Knaben können auch Freude am Lernen entwickeln und gerne zur Schule gehen. Keines der Geschlechter darf in der Volksschule benachteiligt werden!
Allan Guggenbühl, Psychologe FSP, dipl. analyt. Psychotherapeut SGAP, ist Leiter des Instituts für Konfliktmanagement und Mythodrama (IKM), Leiter der Abteilung für Gruppenpsychotherapie für Kinder und Jugendliche an der Erziehungsberatung der Stadt Bern sowie Dozent an der Pädagogischen Hochschule des Kantons Zürich. Guggenbühl ist Autor von «Kleine Machos in der Krise».
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