Gibt es doch noch einen Ausweg aus dem Politdillemma?
Konflikt um Widmer-Schlumpf: Ein möglicher Ausweg
Der Konflikt um Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf trägt die typischen Züge einer Eskalation. Kann man die Spirale der Empörung durchbrechen? Ja, man kann, sofern der Wille dazu besteht und kreative Kompromisslösungen gefunden werden.
Vor allem gegen Blocher
In einer Partei muss es heftige Reaktionen auslösen, wenn einem Mitglied vorgeworfen wird, gegen Regeln und Abmachungen verstossen, mit dem politischen Gegner zusammengearbeitet, ja die eigene Partei angelogen zu haben.
Der Vorwurf, Widmer-Schlumpf habe persönliche Interessen über die Interessen der Partei(führung) gestellt, wiegt schwer. Bei Parteien und Parlamentariern, welche die Wahl von Widmer-Schlumpf unterstützt haben, stösst der rüde Stil, mit der die SVP mit einer Bundesrätin umgeht, auf Ablehnung. Das Interesse dieser Akteure war weniger die Wahl von Widmer-Schlumpf, sondern die Nichtwiederwahl von Christoph Blocher. Es brauchte, um Blocher zu entfernen, nicht nur eine Mehrheit gegen ihn, sondern auch eine Mehrheit für eine andere Person.
Wechseln wir die Perspektive und betrachten den Konflikt aus der Ebene des politischen Systems. Hier können wir feststellen, dass nach den Wahlen vom 21. Oktober sämtliche Bundesratsparteien an der Konkordanz festhalten wollten. Jene Parlamentarier, die Blocher nicht mehr gewählt haben, wollten mit der Wahl von Widmer-Schlumpf ausdrücklich die Konkordanz wahren. In der Tat funktioniert unser politisches System am besten, wenn diese gegeben ist. Die direkte Demokratie zwingt zur Einbindung der stärksten politischen Kräfte. Mit parteilosen Regierungsmitgliedern ist diese Einbindung nicht gewährleistet.
Bundesrätin ohne Fraktion
Wenn nun die SVP die Bündner Kantonalpartei ausschliesst und Widmer-Schlumpf nicht mehr Mitglied einer Landespartei wäre – funktioniert das? Rein formell sicher. Bundesräte sind auf vier Jahre gewählt. Aber die wichtigere Frage ist: Welche Auswirkungen hätte dies auf die politischen Prozesse und die Politikergebnisse? Und hier lautet die Antwort: Eher negative. Denn der Sinn der Einbindung der stärksten Kräfte ist ein Transfer in zwei Richtungen: Die gewählten Parteienvertreter sollen die Forderungen und Werthaltungen ihrer Lager in die Regierung einbringen. Auf der anderen Seite sollten Parteienvertreter, einmal gewählt, als Staatsmänner und –frauen agieren, tragfähige Lösungen suchen, zusammenführen und nicht spalten sowie für die Kompromisse innerhalb der eigenen Gruppierung um Unterstützung werben. Wer das nicht kann oder will, ist für eine Konkordanzregierung ungeeignet. Insofern war Blocher eine Fehlbesetzung.
Widmer-Schlumpf wird ohne Partei und Fraktion das Systemerfordernis des Transfers nach beiden Seiten nicht erfüllen können, weil die eine Seite fehlt. Und es wird ihr auch das politische Basislager fehlen, welches Bundesräten eine Grundunterstützung bietet.
Risiken des Ausschlusses
Wenn die SVP die Bündner Kantonalpartei ausschliesst, ist das für sie nicht ohne Risiko. Die Empörungsspirale dreht sich weiter, und niemand ist mehr in der Lage, mögliche Prozesse der Umbildung in der Parteienlandschaft zu steuern. Es ist ein Szenario denkbar, wonach sich auch in anderen Kantonen Teile der SVP zur Mitte hin orientieren und abspalten. Das wäre dann eine Neuauflage der Bündner Demokraten, aber schweizweit. Man darf nicht vergessen, dass die SVP nicht nur dank Stimmen aus CVP und FDP so stark geworden ist, sondern auch dank des Aufsaugens der kleinen Rechtsparteien.
Ein möglicher Ausweg
Ein Stoppen der Empörungsspirale ist nur möglich, wenn von beiden Seiten der Wille zu einer Konfliktlösung vorhanden ist.
Ein solcher Kompromiss könnte wie folgt aussehen:
1. Die SVP nimmt Widmer-Schlumpf nach einer Abkühlungsperiode in die Fraktion auf. Sie respektiert damit, dass die Bundesrätin demokratisch gewählt worden ist.
2. Widmer-Schlumpf anerkennt, dass bei den nächsten Bundesratswahlen das Nominationsrecht für SVP-Bundesräte der Partei zusteht. Sie verpflichtet sich, vor der erneuten Kandidatur ein internes Nominationsverfahren zu durchlaufen. Sie sagt zu, nicht mehr zu kandidieren, falls ein nationales Parteigremium mit Zweidrittelmehrheit ihre Kandidatur nicht mehr wünschen würde.
3. Widmer-Schlumpf könnte ihre Energien auf inhaltliche Politik konzentrieren und hätte mehr als drei Jahre Zeit, in Partei und Fraktion zu beweisen, dass sie eine SVP-Bundesrätin ist.
Momentan werden die beteiligten Akteure auf einen solchen Vorschlag nicht eintreten wollen. Aber sie sollten sich mal zurücklehnen und fragen, welches die Folgen sind, wenn der Konflikt über die ganze Legislaturperiode andauert – nicht nur für das Land, sondern auch für sie selbst.
Silvano Möckli ist Autor des Buches «Das politische System der Schweiz verstehen.
Kommentar: Die ist der zweite interessante Vorschlag zu einer Lösung aus dem Dillemma. Der Vorschlag Spuhlers wurde von Widmer- Schlumpf abgelehnt. Ob nun auf Möcklis Vorschlag etwas ins Rollen kommt?
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