Ombudsmann rügt erneut Schweizer Fernsehen
Daniel Jositsch beurteilte in der «Tagesschau» als
Rechtsexperte einen politischen Vorstoss seiner Lebenspartnerin. Das SF
zieht nun die Konsequenzen.
Die «Tagesschau» wird bei Experten zukünftig das politische Amt
erwähnen: Chantal Galladé und Daniel Jositsch bei einer
Wahlveranstaltung.
Bild: Keystone
Dass die Politik auf gesellschaftliche Entwicklungen reagiert, ist
nicht falsch – es ist ihre Aufgabe. Insofern hatte SP-Nationalrätin
Chantal Galladé jedes
Recht, einen Vorstoss zu lancieren, nachdem im November 2011 eine junge
Frau mit einer Armeewaffe getötet worden war. Der Täter, ein junger
Mann, war der Polizei bekannt: Diebstahl und Drogendelikte waren in
seinem Strafregisterauszug vermerkt. Hätte die Armee dies gewusst, nie
hätte sie dem Mann eine Waffe ausgehändigt, folgerte Galladé – und
forderte Konsequenzen: Die Armee solle künftig einfacher Zugriff
erhalten auf sensible Personendaten.
Die «Tagesschau» des
Schweizer Fernsehens nahm den Ball auf. Am 14. November, Punkt 19.30
Uhr, eröffnete sie ihre Hauptausgabe mit einem Beitrag zum Thema. Gleich
zu Beginn formulierte der Journalist die Gretchenfrage: «Kann man
Leuten, von denen eine Gefahr ausgeht, die Armeewaffe rasch entziehen –
oder steht dem der Datenschutz entgegen, weil die Armee von anderen
Behörden gar nicht erfährt, dass jemand gefährlich ist?» Der Zuschauer
blickte unterdessen in eine Gewehrmündung, eine martialische Sequenz.
Zeughaus statt Privathaushalt
Schnitt – im Bild erscheint Galladé. Geht es um Armeewaffen, ist sie die erste Sprecherin der
SP.
Als die Schweiz im Februar 2011 über die Volksinitiative «Für den
Schutz vor Waffengewalt» abstimmte, war sie eine der eifrigsten
Befürworterinnen. Die Initiative hatte verlangt, Armeewaffen künftig im
Zeughaus zu lagern, nicht mehr in Privathaushalten. Volk und Stände
lehnten das Ansinnen ab. Am 14. November, nach dem neuerlichen
Gewaltverbrechen mit einer Armeewaffe, sagte Galladé im Interview mit
der «Tagesschau»: «Datenschutz darf kein Täterschutz sein» – und fügte
hinzu: «Es kann nicht sein, dass die eine staatliche Instanz für
Sicherheit nicht weiss, was die andere staatliche Instanz für Sicherheit
tut.»
Schnitt – der Zuschauer sieht einen Mann, der ein
Sturmgewehr zusammenbaut. Aus dem Off ertönt die Stimme des
Journalisten: «Waffen sind in Händen von labilen Personen gefährlich,
das ist unbestritten. Bei Juristen umstritten ist allerdings, ob aus
Datenschutzgründen die Strafverfolgungsbehörden auch auf blossen
Verdacht hin die Armee informieren dürfen.» Nach einem weiteren Schnitt
ist
Daniel Jositsch zu
sehen, Professor für Strafrecht an der Universität Zürich. Um seine
Einschätzung gebeten, sagt er, die Armee werde nicht informiert über
potenzielle Gewaltverbrecher, solange diese nicht rechtskräftig
verurteilt seien. «Da müsste es eine Anpassung der entsprechenden
gesetzlichen Grundlagen geben.»
Was die Zuschauer nicht erfahren:
Jositsch ist nicht einfach ein unbefangener Rechtsprofessor, der über
ein juristisches Problem redet, er ist SP-Nationalrat und Lebenspartner
von Chantal Galladé. In der sogenannten Bauchbinde, die das Fernsehen
einblendet, steht dagegen bloss: «Strafrechtler Universität Zürich» –
und sonst nichts weiter.
«Lehrstück der Filzokratie»
Ein
Zuschauer im schwyzerischen Wollerau ist empört. Er setzt sich an den
Computer und schreibt einen Brief an den Ombudsmann der SRG, den
früheren Vizekanzler Achille Casanova von der CVP. Das Schweizer
Fernsehen habe ein «unrühmliches Lehrstück in Filzokratie» geboten, das
«an Dreistheit kaum zu überbieten» sei. Casanova nimmt die Beschwerde
entgegen und konfrontiert die Redaktion der «Tagesschau» mit dem
Vorwurf. Vom stellvertretenden Redaktionsleiter Franz Lustenberger
erhält er zur Antwort: «Der ‹Tagesschau›-Beitrag hat klar die beiden
Ebenen – die politische Forderung und die juristische Beurteilung –
unterschieden.» Alles in Ordnung, Fall erledigt?
Casanova kommt zu
einem anderen Schluss. Letzte Woche setzte er sich seinerseits an den
Computer, um dem Beschwerdeführer zu antworten. Und was er schrieb,
hatte es in sich: «Nachdem ich den Beitrag sehr genau anschauen und die
Angelegenheit analysieren konnte, muss ich offen sagen, dass mich die
Stellungnahme von Herrn Franz Lustenberger keinesfalls überzeugt.» Dass
Jositsch nicht als SP-Politiker ausgewiesen wurde, sei ein
«schwerwiegender Fehler». «Dies umso mehr, wenn es sich wie im
vorliegenden Fall um eine parteipolitisch kontroverse Frage handelt.»
Mit
dieser Rüge erschöpfen sich allerdings die Möglichkeiten des
Ombudsmanns. Wollte der Beschwerdeführer den Fall weiterziehen, müsste
er an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen
gelangen. Dass er dies tun wird, ist unwahrscheinlich, sein
schriftlicher Kommentar auf das Urteil lässt es zumindest vermuten: «
Voilà. Man muss sich immer wieder wehren – wird dennoch nichts nützen…»
In diesem Fall dürfte er jedoch falsch liegen. Am Abend erreichte die
Basler Zeitung eine Stellungnahme von Franz Lustenberger, dem
stellvertretenden Redaktionsleiter der «Tagesschau»:
«Die ‹Tagesschau›
kann die Argumentation des Ombudsmannes nachvollziehen. Sie zieht darum
die Konsequenzen aus dem Entscheid. Die ‹Tagesschau› wird in Zukunft bei
nationalen Politikern, die als Experten in einem Beitrag auftreten,
jeweils das politische Amt erwähnen, entweder im Text oder im
Einblender.» Daniel Jositsch, dem nicht eigentlich ein Fehler
vorzuwerfen ist, war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. (Tages-Anzeiger)
Kommentar: Transparenz herstellen, will heissen, in der Bauchbinde wichtige Verbindungen nicht zu verschweigen. Doch ist es noch besser, bei Beurteilungen keine Experten zuziehen, die offensichtlich mit der zu beurteilenden Person verbandelt sind. Das Fernsehen hat es in der Hand, den Vorwurf der Filzokratie nicht mit solchen Pannen Vorschub zu leisten.