Montag, 1. August 2016

1. Augustrede leicht gemacht

Blick hat das Rezept:

Garantiert patriotisch! 

Der perfekte Wortschatz zum Nationalfeiertag 

Diese Floskeln gehen ab wie eine Rakete

Müssen Sie am Montag eine Ansprache zum Wiegenfest der Schweiz halten – und noch fehlen Ihnen die tiefgründigen und launigen Worte? BLICK hilft! Mit diesem ABC geht Ihre Rede ab wie eine Feuerwerksrakete.
Andreas Dietrich (Text), Igor Kravarik (Illustrationen)
ALPEN
Ein Lob unserer Bergwelt ist ein Muss, es zeugt von unverbrüchlicher Heimatliebe. Je nach politischer Gesinnung verwenden Sie die Alpen als Sinnbild der Abschottung vor Ausländern oder als Ausgangspunkt für eine weltoffene Schweiz. Wenn Sie deutscher Gastredner sind: Sagen Sie «Almöhi»… und Sie können die Einbürgerung vergessen.

BILATERAL
EIhr Publikum wird sofort gähnen. Aber zumindest 1x muss das Schlaftabletten-Wort vorkommen, wenn Sie als ums Landeswohl besorgter Politiker ernst genommen werden wollen. Als SVPler im gleichen Atemzug Brexit loben und Brüssel geisseln, als Linker originell die Brücke zu Bisexuellen schlagen und «Love me, gender» anstimmen.

CERVELAT
Was wäre die Confoederatio Helvetica ohne ihre Nationalwurst? Eben. Im Übrigen dreht sich eine 1.-August-Rede immer um das Schicksal des Landes, es geht also um die Wurst. Nennen Sie die Wurst beim Namen!

DÜRFEN
Geheimtipp! Auch wenn Sie rechthaberisch finden, ihr Publikum müsse etwas tun, also etwa «Ihr müsst stolz sein!» oder «Wir müssen dankbar sein!» – sagen Sie: dürfen. Es meint dasselbe, klingt aber demütiger. Das Publikum darf am Ende dankbar applaudieren.

EU
Meiden Sie diese giftige Buchstaben-Kombination wie Erdogan die Demokratie! Die Schweizer wollen an diesem Tag nicht daran erinnert werden, dass es das gibt. Darf höchstens im Wort Euter vorkommen. Oder Eusi Schwiiz.

FÖDERALISMUS
Keine Angst vor Fremdwörtern: Loben Sie den Föderalismus über den Klee. Jeder versteht zwar etwas anderes darunter – aber genau dies ist Föderalismus.

GOTTHARD
Oben drüber oder unten durch: So aktuell wie dieses Jahr war das Schweizer Ur-Gestein noch nie. So oft erwähnen wie möglich. Lieber Ogi-knackig den Mythos beschwören als Leuenberger-schwurblig die Verkehrspolitik erklären.

HERAUSFORDERUNG
Das herausragende Synonym im Wortschatz der Schönredner. Probleme kennen nur Höseler und Heimatmüde. Wer Stärke und Optimismus markiert, sieht in jedem Damoklesschwert und in jeder hohlen Gasse nur Herausforderungen.

ISLAM
O Gott, ja nicht erwähnen, sofort unter den Gebetsteppich kehren!

JASSEN
Islam höchstens im Zusammenhang mit Jassen ins Spiel bringen: Terror darf keinen Stich haben, Toleranz ist Trumpf. Wem das zu heikel ist, besingt lieber das Jodeln. Aber bloss nicht als Schweizer Alternative zum Ruf des Muezzins!

KRISE
Gibts nicht! Siehe → Herausforderung.

LACHEN
Spätestens seit der Rede von Bundespräsident Johann Schneider-Ammann zum Tag der Kranken weiss das ganze Land und Ausland, dass Lachen gesund ist. Spielen Sie auf diesen denkwürdigen Auftritt an, ohne dabei zu lächeln – die Lacher im Publikum sind Ihnen gewiss.

MIGRATION
Grosses Thema, grosses Risiko. Der eine Teil des Publikums könnte Sie ausbuhen («ausschaffen!»), der andere protestieren, warum kein Flüchtling Ihre Rede hält. Erwähnen Sie lieber die Migros, das klingt ähnlich und ist ein M unverfänglicher.

NACHHALTIG
Nachhaltige Massnahmen nach und nach fürs Wohl der Nation nachhaltig fordern – tut jeder, bedeutet nichts und hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck.

ORIGAMI
Nochmals ein Geheimtipp! Während andere Gähn-Redner sich mit Olympia bei Sportfans anbiedern («3 Eidgenossen, 5 Ringe, 1 → Vision!»), referieren Sie kurz und völlig zusammenhangslos über die Faltpapierkunst Origami. Oder über den Orgasmus beim Oktopus, den Ordnungssinn des Okapi. Egal was, Hauptsache überraschend. Ihr Publikum wird volkswillig den Kopf schütteln und plötzlich hellwach sein.

POKEMON
Die Hälfte Ihrer Zuhörer wird auf dem Handy ohnehin Pokemon jagen. Zeigen Sie sich aufgeschlossen und erklären Sie Pikachu zum grössten Patrioten der virtuellen Welt. Was Sie in Wirklichkeit denken, behalten Sie für sich: Die reale Welt spinnt.

QUERSUBVENTIONIERUNG
Auch wenn für Sie als Lokalpolitiker dieses zweifellos drängende Thema die Quadratur des Kreises darstellt: In Ihrer Rede darf es keines sein. Ein Wort mit so vielen Silben interessiert in einem Land, dessen Volksheld einsilbig → Tell heisst, kein Schwein und keine Kuh (auch nur 1 Silbe!).

RÜTLI
Andere Nationen haben pompöse Plätze, wir haben eine einfache Wiese. Ob Sie für die Legalisierung von Cannabis sind oder den Zaun nicht zu weit gesteckt haben wollen: Irgendwas zu Gras wird Ihnen bestimmt einfallen. Gratis-Tipp für rüstige Lateiner: Veni, vidi, Wiese.

SERVICE PUBLIC
Das kommt quälend oft schon in der SRF-Ansprache des Bundespräsidenten vor – viersprachig! Sie können das nicht übertreffen. Auch wenn Ihnen entfallen ist, wie der Bundespräsident heisst (Hinweis: → Lachen).

TERROR
Bei diesem ernsten Thema ist Ende der Fahnenstange für Humor. Wenn rundherum Feuerwerkskörper knallen, hat eine Schweigeminute für Attentats-Opfer eine zynische Wirkung. Kurz: Ein Tabu-Thema.

UNABHÄNGIGKEIT
Der Landesring der Unabhängigen war einst die finanziell abhängigste Partei der Schweiz (Migros-Millionen). Heute ist es die auf Unabhängigkeit pochende SVP (Blocher-Millionen). Mit dem Begriff können Sie also jeden Unsinn anstellen, den Sie wollen. Predigen Sie Wasser und trinken Sie Wein – unabhängig davon, ob Sie ihn als Honorar für Ihre Rede erhalten haben.

VISION
Erzählen Sie irgendeinen Schwachsinn und nennen Sie ihn Vision: Das kommt super an. Aber nennen Sie ihn deswegen nicht Supervision (ausser Sie sind Psychologin oder Sozialarbeiter).

WILHELM TELL
Der Typ mit dem Apfel auf der Birne seines Sohnes, den er sich zur Armbrust nahm – heute würde die Kesb einschreiten. Aber das sagen Sie lieber nicht. Auch nicht, dass Schiller ein Deutscher war. Damit der Schuss nicht nach hinten losgeht: wehrhaft bleiben. Wo ein Willy ist, ist auch eine Willensnation.

X für ein U
Als Linker geisseln Sie selbstverständlich die Xenophobie (Fremdenfeindlichkeit), als Rechter die Xenokratie (Fremdherrschaft). Und weil man mit Fremdwörtern seinem Publikum am leichtesten ein X für ein U vormachen kann: Labern Sie etwas X-Beliebiges, das gescheit klingt.

YES WE CAN!So abgelutscht wie ein Ricola-Bonbon (und nicht in der Schweiz erfunden). Als Patriot zitieren Sie lieber einheimisches Gewächs, die Landeshymne bietet allen etwas. «Lieber tot als Morgenrot» für aufrechte Rechte, «Seh ich dich nicht mehr im Strahlenmeer» für atomhysterische Ökos.

ZENSUR
Gibt es in der freien Eidgenossenschaft nicht. Deshalb können Sie in Ihrer 1.-August-Rede sagen, was Sie wollen. Wenn Sie als Schlussbouquet noch über die Zukunft fabulieren, wird Ihre Ansprache als Zäsur in die Geschichte Ihres Dorfes eingehen. Und das zünftig!

KOMMENTAR:

Ich war bei verschiedenen Persönlichkeiten behilflich bei der Vorbereitung der 1. Augustrede.
Der Erfolg basierte nie auf derartigen Rezepten oder Bausteinen.
Statt Geheimtipps wurde ein klares Konzept erarbeitet mit EINER Kernbotschaft, hinter die der Redner stehen konnte und die auch das entsprechnde Pulikum interessierte.
Wichtig war stets der Anfang (Storytelling), der rote Faden.
Zwingend war stets:
 FREIE REDE
KUERZE
UNTERHALTENDE, BILDHAFTE ELEMENTE
PERSONELICHE BEISPIELE

LINK:
3. Aug. 2013 ... Eine Festreden-Analyse des Experten Marcus Knill. 1. Augustreden Bundesräte In den Ansprachen der Bundesräte und -rätinnen spiegeln sich ...
www.rhetorik.ch/Aktuell/13/08_03/
1. Aug. 2012 ... Seine erste 1. August-Rede als Bundesrat hielt Alain Berset in Middes FR. Er plädierte für Weitsicht und realistisches Denken: "Die alten ...
www.rhetorik.ch/Aktuell/12/08_01/
6. Aug. 2004 ... 1. August Rede 2004. Neue Helvetische Gesellschaft des Kantons Schaffhausen von Bundesgerichtspräsident Heinz Aemisegger
www.rhetorik.ch/Aktuell/Aktuell_Aug_06_2004.html

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