aus NZZ:
Bilanz zur Bundespräsidentin
Widmer-Schlumpf aus dem Tritt
In ihrem Departement ist sie mit Bergen von Problemen konfrontiert. Und sie selber schafft sich auch noch neue. In ihrem Präsidialjahr kam Eveline Widmer-Schlumpf an ihre Grenzen. Dabei fehlen ihr die Verbündeten.
Es gibt Bundesräte, die erst ihre wahre Berufung finden, wenn sie besagtes Gremium leiten. Moritz Leuenberger etwa, der im Katastrophenjahr 2001 jedes Mal die richtigen Worte fand, als die Schweiz von einer Tragödie in die nächste schlitterte. Oder Pascal Couchepin, der die politische Detailarbeit verachtete, dafür aber als Bundespräsident bei der Rettung der UBS den Überblick behielt. Und dann gibt es jene Bundesräte, die ebenfalls turnusgemäss das Präsidium übernehmen, aber den Rollenwechsel zum Primus inter Pares nie ganz vollziehen. Dazu zählt Eveline Widmer-Schlumpf, Bundespräsidentin des Jahres 2012.Natürlich hat auch die 56-jährige Bündnerin das Pflichtprogramm absolviert. Sie hat die Sitzungen des Bundesrats geleitet, dem Vernehmen nach ohne grössere Probleme. Sie hat den Autosalon eröffnet und an der Olma für die Fotografen ein Schweinchen getätschelt. 14 Auslandreisen hat sie abgespult. Und sie hat rund ein Dutzend Schulklassen getroffen – bewusst unter Ausschluss der Medien. Solche Treffen im kleinen Kreis machen eine Politikerin zwar sympathisch. Aber ihre Wirkung bleibt auf einen winzigen Teil der Bevölkerung beschränkt.
Präsidiales Schweigen
In einer breiteren Öffentlichkeit war Widmer-Schlumpf deshalb kaum präsent – jedenfalls nicht als Präsidentin. Wenn sie wahrgenommen wurde, dann als Finanzministerin mit ihren vielen problematischen Dossiers. «Sie hat das Präsidium so ausgefüllt, wie es ihrer Persönlichkeit entspricht, unspektakulär, aber doch im Kontakt mit der Bevölkerung», sagt Martin Landolt, der Präsident von Widmer-Schlumpfs Bürgerlich-Demokratischer Partei (BDP).SP-Präsident Christian Levrat hingegen meint, Widmer-Schlumpf hätte mehr aus dem Präsidium machen können. Doris Leuthard oder Micheline Calmy-Rey etwa seien als Präsidentinnen gezielt mit der Bevölkerung auf Tuchfühlung gegangen, und sie hätten Botschaften ans Ausland ausgesendet. Widmer-Schlumpf hingegen habe «ihre Präsidentschaft wenig genutzt, um zu kommunizieren».
Kommunikationsbedarf hätte es durchaus gegeben: Europa steckt in einer fundamentalen Krise, die auch unser Land bedroht. Hinzu kommen massive ausländische Angriffe gegen die Schweiz. Zu diesen Themen war von der Bundespräsidentin wenig zu hören – weder Orientierungshilfen für die eigene Bevölkerung noch eine klare Ansage gegenüber dem Ausland.
Wer Widmer-Schlumpf wohlgesinnt ist, erklärt ihr präsidiales Schweigen mit ihrer grossen Belastung. In keinem anderen Departement brennt es mehr als bei ihr: Steuerstreit mit Amerika. Steuerstreit mit Deutschland. Rücktritt des Nationalbankpräsidenten. Skandal in der Eidgenössischen Steuerverwaltung. Ungelöstes Steuerproblem mit der EU. Angesichts dieses Dauerdrucks ist BDP-Präsident Landolt des Lobes voll: «Einmal mehr bin ich beeindruckt von ihrer Belastbarkeit.»
Pleiten, Pech und Pannen
Selbst Politiker, die ihr wenig wohlgesinnt sind, anerkennen Widmer-Schlumpfs Schaffenskraft. Viele Parlamentarier halten sie auch für diejenige Bundesrätin mit den besten Dossierkenntnissen. Doch trotz diesen Qualitäten gelingt ihr selbst in ihrem Departement derzeit wenig: Das Steuerabkommen mit Deutschland ist gescheitert. Mit den USA ist eine Lösung nicht in Sicht, obwohl Widmer-Schlumpf eine solche für Ende Jahr in Aussicht gestellt hat. Das Informatikprojekt Insieme, das gegen 100 Millionen Franken verschlungen hat, musste sie abbrechen. Das neue Erbschaftssteuerabkommen mit Frankreich liess sie schreddern, kaum war die Tinte der Unterschriften trocken.Für viele dieser Probleme ist Widmer-Schlumpf nicht allein verantwortlich. Ihre Verantwortung ist es jedoch, wenn sie zusätzlich zu den bestehenden Problemen neue und oftmals unnötige Fronten eröffnet: Etwa, wenn sie ankündigt, das Bankgeheimnis nun rasch auch im Inland aufweichen zu wollen, noch bevor die Steuerkonflikte mit dem Ausland auch nur ansatzweise gelöst sind.
Immer wieder macht sie auch Versprechen, die sie später nicht einhalten kann – so bei der Weissgeldstrategie gegenüber der Linken. Oder beim Fatca-Abkommen: Noch am 25. September sagte Widmer-Schlumpf, sie werde das Abkommen erst unterzeichnen, wenn die USA eine Globallösung akzeptierten. Nur zweieinhalb Monate später galt das Gegenteil: Am 5. Dezember erklärte Widmer-Schlumpf, warum eine Verknüpfung von Fatca und Globallösung der Schweiz schaden würde.
Ein strategisches Problem
Neben solchen taktischen Fehlern hat Widmer-Schlumpf ein strategisches Problem: Ihr fehlt die Hausmacht. Ihre Kleinpartei BDP stellt nur 10 der 246 National- und Ständeräte. In ihren ersten Jahren konnte sie dies teilweise kompensieren, indem sie sich auf jene Mitte-Links-Koalition stützte, die sie 2007 zur Bundesrätin gemacht hatte.Seit der Abwahl von Christoph Blocher sind nun aber fünf Jahre vergangen, und die damalige Anti-Blocher-Koalition fühlt sich ihrer damaligen Sprengkandidatin immer weniger verpflichtet. Von links weht ihr der Wind mittlerweile steif ins Gesicht. Als Widmer-Schlumpf in der Weissgeldstrategie nicht so wollte wie die SP, drohte ihr deren Parteichef Levrat unverhohlen, sie werde mit der SP «ernsthafte Probleme» bekommen.
Einem Regierungsmitglied ohne Hausmacht bleibt nur eines übrig: Es muss pausenlos für seine Anliegen lobbyieren, dauernd mit allen Seiten Gespräche führen und kreative Gegengeschäfte suchen. Doch das ist nicht ihre Art des Politisierens. Zwar erweist sie sich politisch immer wieder als beweglich – Kritiker würden es Opportunismus nennen. Gleichzeitig hat sie bei einzelnen Themen tiefe Überzeugungen, etwa, wenn es um Steuergerechtigkeit geht. «Sie hat ein grosses Gerechtigkeitsempfinden und kann sehr hartnäckig sein, wenn sie diese Gerechtigkeit verletzt sieht», sagt der Urner Ständerat Markus Stadler (glp.).
In diesen Fällen versucht sie mit Fachwissen und Argumenten zu überzeugen. Doch in der Realpolitik genügt das oft nicht. Im Bundeshaus hat sie sich den nicht schmeichelhaften Ruf einer «Dossierfresserin» erworben, die sozial wenig vernetzt sei – weder im Bundesrat noch im Parlament. Hinzu kommt, dass sie einen Hang zu «Sololäufen» hat, wie Philipp Müller jüngst im Schweizer Fernsehen kritisierte. Immer wieder stelle sie das Parlament vor vollendete Tatsachen, sagte der FDP-Präsident. Das Gleiche tue sie manchmal auch im Bundesrat, heisst es in den Stäben anderer Bundesräte.
Das verflixte dritte Jahr
So steht Widmer-Schlumpf am Ende ihres Präsidialjahrs in einer deutlich schwierigeren Situation als am Anfang. Doch politisch abschreiben darf man sie deswegen nicht. So könnte ihr Herzensanliegen, die ökologische Steuerreform, neuen Auftrieb erhalten durch die Volksinitiative «Energie- statt Mehrwertsteuer», die die Grünliberalen soeben eingereicht haben.Zudem hat sie mehrfach bewiesen, dass sie von einmaligen Konstellationen zu profitieren weiss – angefangen bei ihrer Wahl 2007. Oder 2010, als sie im dritten Jahr Justizministerin war und mit einer verkorksten Reorganisation des Bundesamts für Migration alle Seiten verärgerte. Just als es für sie eng wurde, wurde das Finanzdepartement frei. Das erlaubte Widmer-Schlumpf einen Neustart; die Probleme im Migrationsamt konnte sie ihrer Nachfolgerin Simonetta Sommaruga überlassen.
2013 beginnt nun ihr drittes Jahr im neuen Departement. Ein Notausgang wie 2010 ist diesmal nicht in Sicht. Eveline Widmer-Schlumpf muss versuchen, wieder politisch Tritt zu finden. Dossierkenntnis allein wird nicht genügen.
Aus TAGI
«Widmer-Schlumpf spielt ein falsches Spiel»
Philipp Müller kritisiert Eveline Widmer-Schlumpf: Sie habe ihre Meinung zur Finanzplatzstrategie von einem Tag auf den andern geändert. Der FDP-Präsident will die Finanzministerin nun entmachten. Mehr...
Aus 20 min:
Kommentare:
25 Nov. 2012
Norbert
Walter Borjans heisst der Sieger, Eveline Widmer Schlumpf die
Verliererin. Der Finanzminister des deutschen Bundeslandes
Nordrhein-Westfalen frohlockte nach dem wuchtigen Nein zum Steuerdeal:
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04 Nov. 2012
Leider
leidet das Kommunikationsklima erneut unter der Unverträglichkeit
zwischen den beiden Frauen Eveline Widmer-Schlumpf und Doris Leuthard.
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30 Sept. 2012
Indiskretionen
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Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf am Jahreskongress des
Verbandes Schweizer Medien in Lausanne. Die Finanzministerin sorgt mit
ihrer ...
12 Nov. 2012
Ein
BDP-Politiker formulierte es einmal so: Bundespräsidentin Eveline
Widmer-Schlumpf betreibe einen Riesenaufwand für ihre Dossiers, riskiere
dann aber wegen ihres Vorgehens den Absturz wichtiger Vorlagen wie
jetzt ...
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